Heimweh

9 Tage auf dem Land….

Heute ist mein letzter Urlaubstag im Familienhotel. Ab morgen Nachmittag wohnt jeder wieder da, wo er wohnt. Familie Holzbock* kommt zurück aus dem Sommerurlaub und ich fahre in mein Zuhause.

8 Tage sind überstanden – das heißt, heute ist mein letzter richtiger Tag hier. Nochmal das ganze Programm und dann ist Schluss. Früher fand ich ‚Frauentausch‘ immer sehr interessant und nun stecke ich selber in der Situation, nur ohne Tauschfamilie. Hier muss ich mich lediglich um die Tiere kümmern. 2x füttern, bisschen spielen, bisschen Auslauf im Garten und das war‘s. Paar Späße sind natürlich auch drin. Ich kann nicht drauf verzichten, Tiere zu veräppeln…

Maja lag gestern Abend vor der Treppe. Plötzlich kullerte ihr geliebter Tennisball die Treppe hinunter. Hinunter in den Bereich, den sie nicht betreten darf. Die darf nicht ins Wohnzimmer, das hat sie als Welpe in der Hundeschule gelernt. Ich musste lachen, als der Ball wie in Zeitlupe die Treppe hinunter rollte. Majas Blick war einmalig lustig. Sie sah perplex zu und wirkte hilflos. Ich lachte so laut, dass Maja mich total verstört ansah. Sie wusste nicht, was sie machen sollte und konnte mein schadenfrohes Verhalten nicht einordnen. Natürlich holte ich ihr den Ball und sie lud mich gleich freudig zum Spielen ein.

Katze Lori werde ich vermissen. Sie guckt extrem verpeilt und hat einfach einen richtig komischen Ausdruck in ihren Augen. Sie ist niedlich, aber irgendwie auch nicht. Ihre Augen sind ganz anders, als die von anderen Katzen. Dafür hatte sie einen liebevollen, schönen und schlauen Charakter. Sie ist sehr zart, unnormal verschmust und kann sich durchsetzen. Eine mutige Katze, die nach Autos schaut, bevor sie über die Straße geht. Ihren dämlichen Blick werde ich jedenfalls nicht vergessen, der hat mir viel Freude bereitet.

Heute hatte ich richtig Heimweh. Eigentlich schon, seitdem ich ankam – aber heute am meisten, obwohl es nur noch ein Tag ist. Meine Laune sah man mir bestimmt am Gesicht an. Dabei habe ich doch gar keinen Grund zum Meckern. Immerhin wohne ich in einem Haus mit Garten und habe alles, was man braucht. Ist ja nicht so, als würde ich in einer Bruchbude hausen. Für viele mag dieses Landleben ein Traum sein und manche würden sicher gerne tauschen. Für viele nicht verständlich, dass ich mich beschwere, paar Tage auf ein Haus aufzupassen, gibt es doch so viel Schlimmeres. Aber: Es ist einfach nicht mein Leben und das merke ich. Ich führe gerade den Alltag einer anderen Familie und bewohne deren Zuhause. Klar ist das befremdlich. Anderer Ort, anderer Tagesablauf. Keine Möglichkeit einkaufen zu gehen oder Sport zu machen, da die Tiere pünktlich gefüttert werden sollten. Sonst fängt Maja an, den Hausschuh zu zerbeißen und Lori guckt doof aus der Wäsche.

Ja, woanders ist nicht Zuhause. Ich finde es nicht wirklich schlecht, aber auch nicht wirklich schön. Es gibt Vorteile, jedoch überwiegen die Nachteile für mich. Zumal das Wetter all die Tage leider auch nicht mitspielte. Im Garten konnte ich nicht sitzen und die Sonne genießen, denn sie war nicht da. Höchstens mal für wenige Minuten. Aber so, wie ich es mir vorgestellt habe, war es nicht. Ich habe 4 Zeitungen mit, die ich unbedingt lesen wollte, bin jedoch aus vielen Gründen nicht dazu gekommen. Innerlich war ich zu unruhig und war mehr mit Nachdenken beschäftigt. Einfach zu deprimiert zum Lesen. Lesen wollte ich im sonnigen Garten, mit Kaffee – so war der ursprüngliche Plan. Nun nehme ich die schönen Zeitungen ungelesen wieder mit und habe ein schlechtes Gewissen.

Und weil ich mich hier nicht so wohl fühle, habe ich vermehrt Hunger. Das müssen die Stresshormone sein, die auf dem Land ansteigen. Bei all der Einsamkeit und dem gestörten Tagesablauf ist das bei mir kein Wunder. Ich bin sehr sensibel. All das sind Anzeichen, dass ich inzwischen völlig unter Heimweh leide. Ich brauche meinen morgendlichen Weg zur Arbeit – die 10 Minuten mit dem Fahrrad. Das ist toll, um wach zu werden und sich auf den Tag einzustimmen. Dabei spielt das Wetter keine große Rolle, da mein Kleiderschrank alles hergibt. Den vermisse ich übrigens auch sehr. Manchmal dauert es zwar, bis ich mich entscheide, was ich anziehe, aber das ist immer noch besser, als beschränkte Auswahl zu haben. Jetzt lebe ich nur aus dem Koffer und mit den Outfits, die ich mir vor über einer Woche ausgesucht habe. Mit den Konsequenzen muss ich jetzt zurecht kommen. Hätte heute lieber etwas anderes angezogen…

Vorhin habe ich zum letzten Mal den Staubsauger benutzt. Auch da bin ich froh, bald wieder meinen zu haben, da dieser für mich fast nur Nachteile hat. Mit dem werde ich mich nicht mehr anfreunden, er wird meinen (gar nicht allzu hohen) Ansprüchen nicht gerecht. Und auch mit den Mülleimern bin ich nicht zufrieden. Eingebaut in die Küchenzeile, zum rein- und rausschieben. Gar nicht mein Ding. Und vor allem sind die Eimer viel zu klein…und die Mülltüten sind nicht dicht, der ganze Inhalt ist in die Eimer gelaufen. Ekelhaft….. Für eine Familie völlig ungeeignet. Okay, genug genörgelt. Ist ja nicht mein Problem.

Morgen ist die Welt wieder in Ordnung. Mein Freund Bubu kommt und wir begrüßen zusammen meine Wohnung. Dann ist wieder alles hell und mit positiver Energie gefüllt. Dort gibt es gute Laune und mein Alltag läuft wieder geregelt. Zusammen mit Bubu ist alles außerdem noch viel schöner. Im Moment steigt also die Vorfreude wieder leicht an, denn es ist schon abends und alles ist bald geschafft. Die Tiere kriegen gleich ihr Futter und ich werde noch eine abendliche Runde durch den Garten drehen und die Mülltonne vor die Einfahrt stellen, denn morgen in der Früh kommt das Müllauto und nimmt den Abfall der letzten zwei Wochen mit.

Vielleicht schaue ich abends Fernsehen, das habe ich mir in den letzten gut verkniffen, denn im Wohnzimmer ist es mir zu kalt. Trotz Decke kommt kein Wohlbefinden auf. Da verzichtet man dann auch mal auf seine Lieblingsserien und schiebt Depri oben im Gästezimmer. Im Bett mit über den Kopf gezogener Decke. Ja, es war eine seltsame Zeit… dennoch verging sie überraschenderweise schnell. Dass ich schon so lange hier bin, kommt mir gar nicht so vor.

Nächstes Jahr werde ich wahrscheinlich wieder das Haus betreuen, wenn Familie Holzwurm in den Urlaub fliegt. Vielleicht komme ich dann besser mit den Umständen klar und bin vorbereitet. Eine Landfrau werde ich trotzdem nicht….


Landhaus-Romantik
Auch die Blumen wollen versorgt werden
Blumenpracht
Stockrosen
Pavillon. Ein perfekter Ort zum Entspannen, wenn die Tür aufgehen würde 😂
Fahrradschuppen
Hochbeet und Kräuter

* Name geändert

Abendstunde am Freitag

Momentan mache ich Urlaub im 2 km entfernten Nachbarort und passe auf das Haus meiner Familie (Bruder, Schwägerin und Nichte) auf, die gerade woanders im 30 Grad heißen Süden Urlaub macht. Dabei muss man gar nicht weit reisen, wenn man auf Insel Usedom lebt, denn das ist schon Urlaub genug. Andere fahren weite und stresserfüllte Strecken, um hier her zu kommen und ich, …ich wohne seit knapp 2 Jahren wieder hier in der alten Heimat und fühle mich wohl.

9 Tage pures Dorfleben erwarten mich, so lange bin ich alleine im Haus und versorge Tiere, Garten und natürlich das Haus. Da fällt einiges an. Morgens und abends pünktlich die Tiere füttern und spielen, denn Labrador Maja legt mir immer wieder den zerkauten Tennisball vor die Füße (besonders gerne während ich staubsauge). Am liebsten würde sie ihn wahrscheinlich fressen, da sie ständig so aussieht, als hätte sie Hunger auf den Ball. Sie weiß genau, wo sie suchen muss und welche Gelegenheiten günstig sind, um etwas Essbares zu ergattern. Mülleimer und Geschirrspüler sind für sie die Orte, an denen sie ihr Fressglück wittert, da werden dann schnell mal die Krümel von den Tellern gelegt, die unten im Geschirrspüler stehen…

Das Leben auf dem Land in einem großen Haus kann sich jedoch auch einsam anfühlen, wenn man es nicht gewohnt ist. Man merkt schnell, dass man alleine ist. Alles wirkt still und dunkel, etwas kalt. Die vielen Räume sind leer, unbewohnt… kein Leben. Ab und zu knackt es irgendwo und man weiß nicht, woher die Geräusche kommen. Das Licht spielt manchmal sein Eigenleben, geht an und aus,…und die rustikale Küchenlampe mit dem Dimmer ging schon am ersten Abend kaputt. Neue Glühbirnen wurden sofort nachbestellt, denn ohne Auto hat man nicht die Möglichkeit, exklusive dimmbare Lampen in der Nähe zu bekommen.

Gerade wenn das Haus schon älter ist, passieren Kleinigkeiten, die man nicht gleich einer Ursache zuordnen kann, außer, dass die Technik einfach schon älter ist und das Haus schon einiges erlebt hat. Außerdem gibt es nicht genug Licht und die Steckdosen sind auch rar verteilt. Der Keller ist alt, eine steile Holztreppe führt hinunter. Angst macht es mir nicht. Mich stört nur diese seltsame Einsamkeit. Das verleiht dem Haus eine leicht depressive Grundstimmung – vor allem in den ersten Stunden und Tagen nach der Ankunft. Man könnte meinen, es liegen negative Energien in der Luft. Keine Nachbarn im Haus… Auch die Katze schaut nur morgens und abends kurz zum Fressen vorbei. Sie ist den ganzen Tag unterwegs, trägt aber eine gut funktionierende Uhr in sich.

Das Problem mit den negativen Energien hat sich einige Tage später größtenteils erledigt. Die Gewöhnung tritt ein und man akzeptiert die Situation – es ist schließlich ein Abenteuer, mal woanders leben zu dürfen und dort den Haushalt zu führen. Auch wenn ich keine Menschen versorgen muss 😉 Ich denke einfach nicht mehr zu viel nach, will ich mir sowieso abgewöhnen. Vielleicht findet man durch die Stille wieder mehr zu sich selbst und es tut mittlerweile ganz gut. Ich mag Stille sowieso gerne, bevorzuge es jedoch, dass es in der Nähe noch andere Leute gibt und etwas mehr ‚Treiben‘ herrscht. Sei es der Nachbar, der fröhlich schief singt oder jemand, der mit seinem Auto vor meiner Wohnung parkt und ich ihn aus dem Küchenfenster heimlich beobachten kann.

Nach 5 Tagen Einsamkeit auf dem Land kam Mutti mich für eine Nacht besuchen – vom Freitag zu Samstag, das passte am besten und rüttelte sie nicht zu sehr aus ihrer täglichen Routine. Ich freute mich drauf, weil wir uns gut verstehen und immer viel Spaß zusammen haben. Und ich war mir sicher, dass mit Mutti die häusliche Depri-Stimmung bald wieder vergeht. Ist ja meist so, wenn man abgelenkt wird. Dann vergisst man seine Pseudo-Probleme schnell und alles ist wieder gut.

Am Nachmittag fuhr ich noch Einkaufen, um letzte Besorgungen zu machen. Es fehlten noch paar Sachen für den tollen Mädelsabend. Dabei ist es gar nicht so leicht, Muttis Geschmack in Sachen Essen zu treffen. Egal, was ich kaufe, sie wird es entweder nicht mögen, es ist schon zu spät zum Essen oder sie hat zu Hause schon genug genug gegessen. Es gibt immer einen Grund, Nein zu sagen. Das macht die Sache irgendwie leichter!

Danach fuhr ich kurz in meine Wohnung, ein geliefertes Paket aus dem Schuppen holen. Wäre ja schlimm, wenn jemand es wagt, es zu klauen. Obwohl meine Nachbarn keine Gefahr darstellen. Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Good vibes only! In meiner Wohnung ist es schön, positiv und hell. Ja, das vermisse ich. Jeder ist da zu Hause, wo er wohnt. Woanders ist man der Eindringling, der fremde Energien aufsaugt und dann eventuell darunter leidet. So wie ich…

Abends spielte ich mit Maja im Garten und wartete auf die langersehnte Anreise von Mutti, welche von Papa in mein idyllisches Urlaubsdomizil gebracht wurde. Gegen 19:30 Uhr kamen sie dann endlich an und Maja freute sich enorm. Sie sprang die beiden an und verschluckte sich fast an ihrer Sabber,…oder am Ball? Nein, der blieb 3 Tage lang im Dickicht des Rasens verschwunden…bis sie ihn irgendwo wieder fand, obwohl ich alles genau abgesucht hatte….

Papa blieb nicht lange und fuhr nach Hause, um sie am nächsten Morgen um 9 wieder abzuholen. Ich zeigte Mutti das Haus und schlug ihr vor, erstmal anzukommen und sich einzurichten, denn eine gefüllte Reisetasche hatte sie selbstverständlich dabei. Natürlich hatte sie auch etwas zu Essen dabei, aber nicht für sie, sondern für mich. Unter anderem ein Glas Honig. Nachdem sie das Haus ausreichend bezogen hatte, gingen wir auch schon spazieren, um den Ort zu erkunden, den wir wir schon so lange kannten – aber noch nicht gut genug, denn wir fanden neue Wege, die uns unbekannt waren.

Vorbei an Straßen, die wir nicht kannten, an Häusern, die wir noch nie gesehen haben und sehr gemütlich aussagen. Mit Gärten, die zum Verweilen einluden und auch da herrschte wieder diese pure längliche, verschlafene Einsamkeit. Die Einwohner des Dorfes wissen das zu schätzen. Wir staunten über die Schönheit der Häuser und der Natur. Alles war so herrlich einmalig und auch die Abendluft war besonders. Dazu orange Sonnenstahlen auf den Gesichtern vom Sonnenuntergang, der auch Felder und Wiesen in goldenes Licht tauchte. Es war sehr besonders das zu erleben und wir genossen den warmen Abend in der Natur. Weit und breit war niemand zu sehen. Nur Kühe, die in der Abendsonne grasten und es sich gut gehen ließen.

Wir machten viele Fotos, redeten über alles und nichts und philosophierten über die Zukunft. Themen wie: Was wäre wenn…. Werde ich noch zur Landfrau? Mit Haus und Garten? Solche Themen… Meist reden wir so viel, dass wir am Ende wieder vergessen, über was wir gesprochen haben. Nur die wichtigsten Sätze bleiben. Und die Eindrücke des unvergesslichen Abends auf dem Land. Ein Abend, der in Erinnerung bleibt. Natur und ein lauer Sommerabend können sehr nostalgisch und teils auch melancholisch wirken. Das mag ich. Deswegen haben wir eine Menge Fotos gemacht, um uns immer wieder an diese Momente zu erinnern.

Als wir zurück im Haus waren, war der Abend auch schon vorbei. Ich ging in die Badewanne und Mutti machte sich bettfertig, um anschließend noch in ihrem Krimi zu lesen, in dem meist nicht so schöne Sachen passieren, wie die tödlichen Titel bereits verraten. So hatte jeder seine Abendroutine, die man nicht durcheinander bringen darf. Wir sind nämlich beide sehr routiniert.

Gegen 23 Uhr gingen wir schlafen. Da wurde nicht mehr viel geredet. Ich war noch recht unruhig und aufgedreht vom schönen Abend. Zum Glück schlief ich dann allmählich doch noch ein. Gefühlt jedoch nur halb, denn ich hörte Mutti schnarchen. Aber eigentlich schlief ich. Die Nacht war sehr schnell vorbei, um 6 klingelte Muttis Wecker schon, wie immer. Auch am Wochenende als Besucher ist es nicht anders. Natürlich stand ich mit auf, obwohl ich extrem müde war und ich am Wochenende lieber bisschen länger schlafe, bei meinem Schlafmangel. Egal, die Tiere mussten ja auch versorgt werden. Ich trottete so in den Morgen und wurde nicht richtig wach. Bin eben ein kleiner Morgenmuffel.

Wir aßen zusammen Frühstück. Natürlich hatte ich nicht das richtige Brot, nicht die richtigen Kekse und nicht die richtigen Kekse gekauft. Mutti probierte und aß aber trotzdem, um mir eine Freude zu machen. Dazu noch eine Tasse Kaffee, wobei Mutti einen Schluck draufgießen musste, da die Tasse nicht genau bis oben voll war. War klar! Ein Morgen voller Missverständnisse, die nicht schlimm waren. Es ist nichts Neues und wir mögen uns trotzdem. Wir sind eben zwei Steinböcke.

Danach legte ich mich für eine Stunde ins Bett, so müde war ich. Ich döste vor mich hin und hörte Musik. Meist hilft das schon gegen Müdigkeit. Einfach nur entspannen. Nach und nach wurde ich wacher und kurz vor 9 ging ich runter. Mutti stand im Garten und spielte mit Maja. Dann kam Papa auch schon und der Samstag lief für alle so weiter, wie gewohnt. Die Eltern fuhren einkaufen und ich tat, wonach mir spontan war. Erstmal Kaffee trinken und wieder ins Bett legen.

Der Besuch war kurz, aber gefüllt mit schönen Erinnerungen und eine tolle Zeit zu zweit. Komisch, wie schnell die Zeit verfliegt. Danach war wieder alles so, als wäre nichts gewesen. Das machte mich nachdenklich. Alles vergeht so schnell. Minuten, Stunden, Wochen, Jahre… Momente, die erst waren, sind bald Vergangenheit. Manches war gefühlt erst gestern, dabei liegen 15 Jahre dazwischen…

😍
Feldweg, ehemalige Strecke unserer Radtouren – auch abends
Lauer Sommerabend
❤️
Happy
Selfie 🤳🏻
Grasende Kühe, die neugierig sind
Dancing in the sun ☀️
Entspannung im Garten

Landleben und mittendrin Katze Lori

Guten Appetit, kleiner Gartenbewohner
Maja
Landhaus Idylle

Radtour und Momente

Sehnsucht (Oktober 2013)

Ich sitze fast wie erstarrt und still in meinem Zimmer. Es ist Abend und ich bin allein. Das einzige Geräusch ist der Regen, der gegen das Fenster schlägt. Mein Blick fällt auf einen großen Stapel Zeitungen, die in meinem Schrank ungeordnet aufeinander liegen. Wenn ich auf das Datum schaue, überkommen mich Wehmut und Sehnsucht. Die Zeitungen sind alt, aber wenn ich darin blättere, könnten sie von heute sein. Jedes Bild ist mir bekannt, kein Text ungelesen.

Das Zimmer ist auf einmal gefüllt mit Melancholie und gemischten Gefühlen. Gefühle von heutigem Zweifel und früherer Vorfreude, sowie Glück. Es gab Zeiten, in denen alles perfekt schien. Diese Zeiten liegen heute in Scherben in der Vergangenheit und existieren nur noch in dunkler Erinnerung.

Wird es diese Zeiten je wieder geben – zwar in anderer Form, aber vielleicht ähnlich? Ich werde nachdenklich. Schwer, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Nichts wird wieder so, wie es mal war. Veränderungen kommen, bleiben und gehen. Nie wieder wird Vorfreude so sein, wie sie einst war, die Enttäuschungen der Zeit hat sie vertrieben.

Und wo ist die Unbeschwertheit, die mich stets begleitet hat? Auch sie hat sich im Laufe der Erfahrungen schleichend verabschiedet.

Draußen ist es nass, kalt und bunt. Der Herbst steht vor der Tür. Die Jahreszeit, die trüben Gefühlen die Tür öffnet und sie traurig begrüßt. Ich bin gerne allein und genieße es, mich in meiner Sehnsucht nach dem Vergangenen zu suhlen und alte Jahre wieder aufleben zu lassen.

Eine einzige Kerze brennt nur noch, die anderen sind bereits abgebrannt. Um mich herum ist es halbdunkel, aber warm.

Meine Gedanken wechseln zwischen gestern, heute und morgen. Alles ist möglich. Nur ich entscheide in welcher Realität ich leben möchte und was ich will.

Meine Entscheidung ist: Loslassen und mit einem Lächeln durch den Regen und durch die Pfützen zu springen. Durch das Herbstlaub zu rascheln und mit dem Moment eins zu sein.

Die Kerze erlischt mit einem Hauch, das Zimmer wird dunkel. In mir kehrt Frieden ein, Zweifel verschwinden in der Dunkelheit und verstecken sich. Es liegt an mir, ob ich sie morgen suchen möchte, um sie dann erneut in mein Leben zu holen.

Ich werde müde und schaue im silbernen Mondlicht an die runde verzierte Deckenlampe meiner Oma. Draußen bellt ein Hund in der Nacht, während ich in dem alten Gäste-Bett liege und auf meine Eltern warte, die noch spät in der Küche sitzen und sich mit meinen Großeltern über alte Zeiten unterhalten.

Ich wünschte, die Zeit würde stillstehen oder wiederkommen. Oder wird es eine andere, neue Zeit geben, die dieser ähnelt? Läuft das Leben nicht in einer Endlosschleife, in der sich alles nach einer Weile ähnlich wiederholt?

Der Gedanke lässt mich hoffen und ich werde müde.

Flucht ins Kino 


Welch seltsamer, emotional belastender Tag, der nun endlich zu Ende ist.
Wobei ich mich vor einem Jahr noch auf dem Rückweg nach Hause befand, mit Anflügen von Übelkeit im Zug. Ich erinnere mich gerade genau, wie der Apfelsaft-Gin mir dort fast zum Verhängnis wurde, ich mich jedoch beherrschen konnte, indem ich mich auf die Musik aus meinen Ohrstöpseln konzentrierte. Danach machte ich mitten in der Nacht einen Spaziergang vom Bahnhof nach Hause, da keine Straßenbahn mehr fuhr. Somit hatte ich auch gleich genug frische Luft. War ein gutes Mittel gegen die Übelkeit, die zu Hause ihren Ausbruch im Klo fand. Schönes Treffen, schöne Nacht. Herrlich. Da war noch alles in Ordnung.

Ich zelebrierte diesen gestrigen besonderen Samstag tatsächlich melancholisch im Bett, mit einer Duftkerze und im abgedunkelten Zimmer. Die Sonne schien sowieso nicht. Umso dunkler war es mit heruntergelassenem Rollo. Ich schwelgte in Gedanken und Erinnerungen. Viel zu viel. Und zugleich spürte ich diese gewisse Leere, die mich permanent erfüllt. Widersprüche gehören zu meinem Leben eben dazu, das ist meine Normalität. Ich wünschte, meine Gefühle wären insgesamt nicht so extrem, sondern auch normaler. Aber dann wäre ich vielleicht eine Langweilerin, was ich auch sehr ätzend fände. Langweilig mag ich nicht, war nie mein Ding.
Zwischendurch ging ich kurz shoppen, las drei kleine Kapitel eines spannenden Buches und zappte durch meinen iPod. Auch Lieblingssongs übersprang ich. Innerlich völlig unruhig und aufgewühlt. Ich fand in keiner Tätigkeit Ruhe, nicht einmal beim Mandala ausmalen. Nichts konnte mich gedanklich ablenken und nichts machte richtig Spaß, sondern endete in Zerfahrenheit. Schaute nur auf die Uhr und sah die Szenen des vergangenen Jahres. Wie krank sich das anhört,..oder? Ich klinge wie eine ewig verheiratete Witwe. Oder nach einer Frau, die nach zehn Jahren Beziehung wieder Single ist. Dabei handelt es sich in meinem Fall nur um ein dreistündiges Treffen. Kein Anlass für all diese dramatische Trauer. Und dennoch geht es mir so bescheuert. Vielleicht bin ich jetzt auch durch mit dem Thema, da ich schon dabei bin, mein unsinniges Verknalltsein hier in der Öffentlichkeit ins Lächerliche zu ziehen und es mir dadurch umso bewusster wird, wie dämlich es eigentlich ist. Aber es hat mich leider erwischt. Man erlebt ja auch mal krankhafte Episoden im Leben. Eigentlich eher auf Depressionen bezogen, aber bei mir nennt sich das anders. Emotional instabil…
Abends ging ich ins Kino. Alleine. Ich wusste, dass das die beste Idee ist, um anderen Input zu bekommen. Alleine in Gesellschaft fremder Mensche, zusammen in einem gemütlichen Kino ist immer eine gute Wahl. Kino ist mein zweites Wohnzimmer. Neben mir saß niemand und ich fühlte mich, bis auf das vereinzelte Popcorngeraschel, gut und ungestört. Der Gruselfilm lenkte mich komplett ab, obwohl er gar nicht so toll war. Aber es reichte und es war besser für mich, den Abend nicht alleine zu Hause zu verbringen. Sonst hätte ich diesen nur stumm im Bett verbracht und hätte wieder teilnahmslos die Decke angestarrt. Ich musste unbedingt herauskommen aus diesem Stumpfsinn. Gegen 23 Uhr kam ich nach Hause und war froh, als dieser schräge Tag fast vorbei war. Die letzte Stunde verbrachte ich mit Nachrichten schreiben..an Freunde, bei denen ich mich lange nicht mehr gemeldet habe. Mal wieder mit der Hoffnung auf Ablenkung. Mir war egal, was sie schrieben. Hauptsache, ich fühlte mich in dieser Stunde nicht so einsam. Was tut man nicht alles aus Verzweiflung. Shit. 
Ich hoffe, dass es mir bald besser geht und ich mich privat emotional wieder positiv verändere. Immer wieder rede ich mir ein, dass es keinen Grund gibt, traurig zu sein und dass alles gut so ist, wie es ist und dass andere tolle Männer auf mich warten. Es muss nur einfach mal richtig in meinem Hirn ankommen. Und in meinem Herzen. 

Das 5 Minuten Date

 

klein

„Ich dachte, du wohnst in Warnemünde“, schrieb Alex.
Ich saß auf meiner Couch und schaute Nachrichten, als die Mitteilung als vibrierendes Glockenping eintraf. Normalerweise schaltete ich mein Handy meist auf stumm, um nicht genervt zu werden. Aber diesmal wartete ich auf Ablenkung, egal in welcher Form. Inzwischen war ich auf alles gefasst und der Unterschied zwischen guten und schlechten Erfahrungen verwandelte sich allmählich in neutrale Oberflächlichkeit. Eine Mischung aus großem Interesse und dem nötigen Abstand zur unnötigen Vorfreude. Denn letztendlich muss man sich auf nichts freuen, was im Herzen noch gar nicht existiert.

„Nee, aber fast“, antwortete ich nach ein paar Minuten. „Warum?“
„Na weil ich jetzt in Warnemünde auf dich warte. Hab die richtige Straße im Navi eingegeben, aber den falschen Ort. Und nun bin ich hier gelandet.“
Okay, das bedeutete spontane Planänderung.
„Na gut, ist nicht schlimm. Bin in einer Stunde in Warnemünde, falls du so lange warten willst.“
„Sehr gut, dann kann ich noch einige Dinge besorgen, mein Wagen ist leer.“
„Würde vorschlagen, wir treffen uns am Bahnhof. Okay?“
„In Ordnung! Bis später.“

Kurz darauf klingelte mein Handy wieder. Meine beste Freundin schickte mir ein Video von unserem letzten gemeinsamen Urlaub in Moskau, als ich vor Lachen kaum noch atmen konnte.
Sie schrieb: „Ich liebe dein Lachen, mein Herz! Du machst mich so glücklich!“
„Ich liebe dich auch, Süße“, schrieb ich grinsend zurück und freute mich.
Wir machten uns fast täglich Liebeserklärungen, das war normal.
Aber von meinem Blinddate erzählte ich ihr nichts. Irgendwie wollte ich nicht darüber reden. Weil ich noch selber nicht wusste, was ich davon halten sollte. Immerhin war der Typ nur zwei Jahre älter als ich. Das hieß, es war das erste Date mit einem Gleichaltrigen und entsprach absolut nicht meinem Schema. Aber ich wollte mal sehen, wie es ist.

Natürlich finde ich es immer besser, wenn man sich nicht zu Hause trifft.
Ich mag es nicht, wenn jemand in mein kreatives Revier eindringt und die Harmonie meiner Wohnung stört. Allerdings wollte ich es diesmal wagen und wissen, wie es ist, einen fremden Mann direkt in meiner Wohnung kennenzulernen. Einfach aus Neugier, Bequemlichkeit und um mir zu beweisen, wie extrem locker ich sein kann. Als Frau sollte man eigentlich auf solche gefährlichen Experimente verzichten. Immerhin kann man durch fremde Typen schnell umgebracht werden, falls man versehentlich seinen Mörder datet. Dennoch kamen mir solche Ängste nie ins Bewusstsein, weil ich nicht ängstlich bin und nicht Monika heiße.

Also schnappte ich mir noch ein paar Gummitiere und machte mich fertig. Zehn Minuten stand ich nachdenklich im Flur, weil mir die letzten Entscheidungen unglaublich schwer fielen: Welche Jacke? Welche Schuhe? Vielleicht sollte ich meinen Konsum endlich einmal einschränken. Viel zu haben macht das Leben nicht unbedingt leichter. Ich entschied mich für bequeme Strand-Schuhe und einer femininen Militärjacke, die ich erst eine Woche hatte. Die liebte ich sofort, weil sie unvernünftig teuer war.

Bevor ich aus dem Haus ging, fragte ich mich, ob man es mir ansah, dass ich innerhalb einer Woche ein Glas Nutella vernichtet hatte. Jeden Tag Nutella zwischen zwei Scheiben Weizenbrot mit Vollkornanteil. Meine ausgelaugten Fettzellen freuten sich bestimmt. Ich zog abrupt mein Shirt hoch, kniff mir in den Bauch und stellte beruhigt fest, dass meine Figur perfekt ist.
Danach plante ich trotzdem eine Detox-Woche mit viel Sport, um den ganzen Müll wieder aus dem Körper zu spülen. Ich kaufte mir die wichtigsten Detox-Produkte und war begeistert, was diese Dinge nach wenigen Tagen im Körper bewirkten. Ich fühlte mich besser und glücklicher, als sonst. Detox-Tee und Detox-Creme gehörten von da an zum Alltag dazu, obwohl ich nicht behaupten würde, dass es bei mir einen gewöhnlichen Alltag gibt.

Ich fuhr mit der Straßenbahn, weil ich keine Lust auf den Feierabendverkehr hatte. Außerdem brauchte ich mein Auto nur für die Arbeit und für die Insel, wenn ich mal einige Tage frei hatte.
In der Straßenbahn saßen einige Menschen, die auch ohne Feierabendverkehr gestresst wirkten. Vielleicht hatten sie nicht so tolle Arbeitsstellen oder Stress mit ihren Partnern oder waren mit sich unzufrieden. Wie auch immer. Beobachten mochte ich gerne. Die Aktionen auf meinem Handy beobachtete ich allerdings kaum. So kam es, dass ich in Warnemünde ankam und nicht wusste, nach wem ich eigentlich Ausschau halten soll. Ich suchte einen Fremden.

Mir kamen viele Leute entgegen und alle wuselten um mich herum. Dazwischen ein Mann, der mir gleich auffiel. Groß, mit Sonnenbrille, Mütze und schwarzem Parka. Ich sprach ihn nicht an, ärgerte mich über meine seltsame Schüchternheit und lief weiter. Immer noch auf der Suche nach Mr. Unbekannt, der Alex hieß.
Am Bahnhof stand niemand, der auf mich wartete.
Aber um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht zu genau hingucken. Es gehörte nicht zu meinem Talent, offensiv nach Personen Ausschau zu halten und zu suchen.
Es dauerte nicht lange, und der Bahnhof leerte sich wieder. Die Leute aus dem Zug tummelten sich auf den Wegen des Hafengeländes und strebten mit Essen in der Hand zum Wasser.
Ich ging woanders hin und setzte mich auf eine Steinmauer. Es war ziemlich kalt, der Wind zog durch meinen Parka und kroch unter mein sommerliches Blumenshirt. Ich fror so sehr, dass ich spürte, wie ich blass anlief und wieder dieses ungesunde Aussehen annahm, das durch die Nutella-Woche noch verstärkt wurde.

Mein Handy lag immer noch unbeachtet in der Handtasche. Als mir immer kälter wurde, stand ich auf, irrte verfroren zum Bahnhof zurück und landete dort auf einer Bank aus Metall. Die kältere Steigerung. Der nächste Zug kam und wieder stiegen zig Leute aus, die alle spazieren gehen und Fischbrötchen essen wollten. Viel mehr konnte man in Warnemünde im Frühling nicht machen. Essen, Shoppen und Wasser, das waren die Hauptattraktionen. Gefolgt von Kaffeetrinken und den beliebten Schlagerpartys im Sommer.

Dann schaute ich auf mein Handy.
Die letzten beiden Nachrichten von Alex waren zwanzig Minuten her.
„Schwarzer Parka.“
„Warte am Bahnhof auf dich!“
Okay, hätte ich vielleicht doch mal früher mein Handy benutzen sollen.
Ich schrieb: „Hab dich vorhin gesehen.. bin vorbeigelaufen..zu spät…wo bist du nun?“
Danach wartete ich auf seine Antwort. Er war eine ganze Weile online, las meine Nachricht, aber nichts kam. Seltsam.
Ich versuchte ihn anzurufen, aber die Computerstimme am anderen Ende meinte, dass er gerade nicht erreichbar wäre. Noch komischer. Zum Schluss sendete ich ihm eine altertümliche SMS und hatte somit alles unternommen, um Kontakt aufzunehmen. Aber keine Antwort.

Wollte er mich jetzt etwa verarschen? Ich fand das alles sehr merkwürdig. Aber dennoch störte es mich nicht besonders. Schließlich störte mich überhaupt nichts mehr. Ich nahm es so hin, wie es war. Was soll mich an einem Fremden stören? Diese anonyme Funkstille passte doch super zum Image eines Fremden! Der Krimi konnte beginnen. Aber mir wurde diese Situation schnell zu blöd.

Ich ging zum Ticketautomaten und kaufte die Rückfahrt, denn länger einsam frieren wollte ich nicht. Die Bahn fuhr in zwei Minuten und als ich mich auf den Weg dorthin machte, meldete sich Alex plötzlich.
„Sorry, mein Handy ist abgestürzt.“
Wie kann denn so etwas passieren, dachte ich mir. Welch ungewöhnlicher Zufall.
„Hmm, ich wollte gerade nach Hause, weil ich dachte, das wäre alles nur ein Scherz.“
„Waaaas? Quatsch…hatte am Bahnhof gewartet und als ich dich nicht sah, bin ich woanders hingegangen.“
Er schickte mir seinen aktuellen Standort, der sich in der Nähe befand. Trotzdem wusste ich erst einmal nicht genau, wie ich dort hinkam und lief in die entgegengesetzte Richtung. Navis waren nämlich nicht so mein Ding.
„Sitze draußen im Café.“
„Na gut, ich komme gleich.“
Das Café war nach einigen Orientierungsfehlversuchen schnell gefunden, aber ich wollte nicht über diesen menschenbesiedelten Vorplatz laufen und ihn irgendwo in der Menge suchen.
„Trink du mal deinen Kaffee aus, ich sitze an der Seite bei den Büschen.“
Ich fand es gut, dort zu sitzen und zu warten, was passiert. Sonst hatte ich mit Büschen ja nicht viel zu tun.

Nach einer Minute kam Alex schon die Straße entlang gelaufen und fand mich. Er lachte. War mein verlorener Anblick etwa so lustig?
Keine Spur von Aufregung bei mir, weil seine Sonnenbrille zu schwarz war und ich insgesamt nicht viel von ihm erkennen konnte, bis auf die Größe und seine Stimme, die ziemlich normal war. Er war schließlich erst dreißig. Was sollte ich also erwarten?
Alles war unauffällig und seine schwarze Mütze versteckte den Rest. Alles schwarz, bis auf die Jeans. Damit hatte er mit gewissen Branchen doch gar nichts zu tun.
Außerdem war er viel dicker angezogen, als ich. Konnte Mann eigentlich noch mehr übertreiben? Ich dachte immer, Männer wären nicht solche sensiblen Frostbeulen. Als er dann noch sagte, es ist ganz schön kalt und windig, rollte ich heimlich mit den Augen.

Wir gingen am Hafen entlang und endeten an der Ostsee vorm Leuchtturm. Sein Blick fiel gleich auf die Wassersportler, die seine vollste Aufmerksamkeit erregten. Alex war schließlich ein vielfältiger Abenteurer, der mit wenig Geld auskam und sogar auf ein richtiges Zuhause verzichtete. Das war ihm alles nichts, er wollte Freiheit und in den Tag hineinleben. Immer woanders sein, ohne richtigen Job und ohne Verpflichtungen. Außerdem war das Meer seine Leidenschaft. Alex war ein moderner Robinson Crusoe und somit wieder jemand, der völlig anders tickte.
Man denkt immer, man kennt alle Arten von Typen, bis man neu überrascht wird. Ich hörte zu, ohne mir ein Urteil zu bilden. Einfach nur zuhören mit keinen Zwischentönen im Kopf. Ich verhielt mich entspannt.
Bis er mir eine Frage stellte: „Und du so?“
„Ich bin deine Nicht-Wellenlänge“, antwortete ich knapp, weil mein Leben komplett anders war.
Daraufhin folgte ein Schweigen, das erst an einem Fischbrötchenstand wieder gebrochen wurde.
„Kannst du mir eine Sorte empfehlen? Du musst doch Ahnung haben, wenn du am Meer wohnst.“
„Nein, ich hab da keine Vorlieben. Ich esse alles, was aus dem Wasser kommt. Auch Muscheln und Mini-Hummer.“
Muscheln gab es am Stand leider nicht.
Alex guckte von links nach rechts und war sichtlich überfordert mit der Auswahl.
Dann nahm er ein geräuchertes Makrelenfischbrötchen.
„Und was möchtest du?“
„Nichts, danke.“
„Wie nichts?“
„Ich hab keinen Hunger, weil ich noch satt bin.“
„Wirklich nicht?“
„Nein, danke, hab vorhin zu Hause Mittag gekocht.“ Mein Mittag war eine Tüte Gummibärchen und zwei Kekse.
„Na gut..ich kann jedenfalls immer sehr viel essen und hab immer Hunger.“
Wie unterschiedlich Männer und Frauen doch ticken. Frauen sind Künstlerinnen in Zurückhaltung und Disziplin. Manchmal jedoch auch im Lügen.
„Willst du dich nicht hinsetzen beim Essen?“
„Nein, stört mich nicht, wenn wir laufen.“

Dann liefen wir einfach ohne Ziel und ohne Plan durch Warnemünde. Zusammen mit einer Menge Gesprächsstoff, trotz der Ungemeinsamkeiten.
Alex wollte gerne Kaffeetrinken und bevorzugte den besten Laden, den es gab. Er wollte den besten Kaffee und guckte sich jede Kaffeemaschine von draußen an.
Nach all der Sucherei setzten wir uns doch in ein recht einfaches Bäcker-Café. Dann nahm er endlich mal seine Brille ab. Ich hatte schon Angst, dass er sie nie abnehmen würde. Es gab schließlich keinen Grund, so undercover unterwegs zu sein.

Erst, als er die Brille abnahm, begann für mich das richtige Date. Er hatte so tolle Augen, dass ich nicht verstand, warum er sie so versteckte. Gerade, weil die Sonne an dem Tag gar nicht schien. Alex hatte ungewöhnlich strahlend blaue Augen. Fast so, als würde sich das Meer permanent darin befinden.
Ich bestellte einen schwarzen Kaffee und Alex einen Cappuccino.
„Mist, ich hab so gut wie nie Bargeld dabei“, gestand ich Alex, als ich nachguckte, wie viel Geld ich überhaupt mit hatte. Es waren 5 Euro.
„Ich bezahle sowieso alles, ist doch selbstverständlich.“
„Wollen Sie den Kaffee hier trinken, oder mitnehmen“, fragte die Frau, die neben Getränken auch Kuchen und andere Backwaren verkaufte.
„Zum hier trinken“, sagte ich fix, bevor Alex die aktivere Variante vorschlug. Denn ich hatte keine Lust, den Kaffee beim Spazierengehen im Wind zu trinken.
Alex nahm das Tablett mit den beiden Tassen und als wir den Tisch erreichten, floss die oberste Schicht meines Kaffees auf dem Tablett und umarmte den Boden der weißen Porzellantasse.
Sein Cappuccino hingegen blieb in Topform, denn der Schaum beschützte den wertvollen Inhalt.

Dann kam wieder diese Situation: Das intime Gegenübersitzen zwischen zwei Fremden. Oft erlebt, aber immer wieder unterschiedlich. Jeder Mann ist nicht gleich und schenkt mir diverse Erfahrungen im Bereich meiner persönlichen Männerpsychologie.
Ich konnte nicht anders, als Alex genau zu beobachten und starrte ihn regelrecht an. Vor allem seine Augen, die so toll waren mit den dunklen dichten Augenbrauen. Faszinierend! Diese Augen zogen mich an. Danach analysierte ich seine Mimik und Gestik, obwohl ich mir das langsam einmal abgewöhnen sollte, da ich mich nicht auf der Arbeit befand. Dabei möchte ich meinen Job so gerne heiraten.

Alex trank seinen Cappuccino, obwohl er noch heiß war. Dann stand Alex plötzlich auf und ging nicht zur Toilette, sondern holte sich einen Löffel, damit sich der Schaum besser essen ließ. Er stippte den Löffel in den Schaum und leckte den Löffel ab. Ich empfand das als interessantes Schauspiel und ließ meinen penetranten Blick nicht von ihm. Scheinbar hatte Alex auch kein Problem damit. Mein limbisches System hatte sich schon etwas auf Alex eingeschossen, denn ich fand ich einfach richtig toll, ohne es erklären zu können. Es war eben so. Plötzlich auftretende Gefühle unterliegen keiner Rechtfertigung.

Ich trank meinen Kaffee, der nicht so heiß war, wie ich dachte. Alex erzählte währenddessen von seiner letzten aufregenden Weltreise und von Kopi Luwak, den ich auch gerne mal trinken wollte.
Als ich sah, dass Alex mit seinem Cappuccino fertig war, trank ich meinen Kaffee umso schneller aus.
Alex musste lachen, als er feststellte, dass in Warnemünde nur alte Leute in Funktionskleidung herumliefen, das kannte er gar nicht. Und meist trugen sie diese Kleidung im Partnerlook.

Das Kaffeetrinken war unser kurzes Hauptdate. Innerlich fühlte ich mich zwar euphorisch, aber diese Euphorie sprudelte nicht über, sondern ebbte schnell ab. Alex passte nicht zu mir, meine Begeisterung für ihn lebte nur kurz. Es war komisch und ich merkte, wie sehr mich meine innere Schutzmauer im Griff hat und meine Emotionen immer mehr abschwächt, damit nichts zu stark für mich wird. Ich spürte diese Schutzmauer zum ersten Mal in ihrer vollsten Intensität und fühlte mich beschützt.
Alex zog seine Jacke an und ließ das Tablett einfach auf dem Tisch stehen, bis ich es nahm und es in die dafür vorgesehene Ablage schob. Als Gast kann man sich schließlich auch benehmen und selber den Tisch abräumen. Zumal wir uns auch nicht in einem Restaurant befanden.

Draußen war es immer noch windig und bewölkt. Nicht gerade mein Lieblingswetter.
„Ich muss noch mal zur Sparkasse. Ich brauche Bargeld“, sagte ich.
„Okay, danach können wir ja wieder zum Strand.“
„Gerne!“
Ich ging in die Sparkasse und Alex spielte draußen mit seinem Handy. Es war ein gutes Gefühl, wieder echtes Geld bei sich zu haben, als immer nur mit Kreditkarten unterwegs zu sein, obwohl es bequemer ist, weil man seltener nachdenkt.

Die Sparkasse war leer und geräumig. Ich schaute mich um und danach zu Alex, der beschäftigt war.
Dann sah ich noch einen zweiten Ausgang. Ich musste nicht lange überlegen, was ich als nächstes tun würde. Der zweite Ausgang rettete mich und ich schlich mich unbemerkt aus diesem weniger erfolgsversprechenden Dating-Verhältnis. Es handelte sich um einen einseitigen Kompromiss, dessen Folgen nicht weiter schlimm sein würden. Ich wollte nicht wieder mit Vollgas im nächsten Gefühlschaos landen. Vor allem lohnte sich dieses Chaos bei diesem chaotischen Typen noch nicht einmal. Außerdem war mir Alex bedeutend zu jung.

Ich suchte mir ein anderes Café zum Verweilen und hoffte, dass Alex mich nicht suchen würde. Aber da er Warnemünde eh nicht kannte, hatte er schon verloren. Ich bestellte mir wieder einen großen Kaffee und ein Stück Quarkkuchen. Mein Handy bekam natürlich keine Beachtung.
Im Café war nicht viel los, da die Saison noch nicht begonnen hatte. Deswegen konnte ich die Ruhe um mich herum genießen. Ich nahm mein Notizbuch aus der Tasche und schrieb die wichtigsten Gedanken, die mir in den Kopf kamen, wie gewöhnlich auf. Diese Notizen sind oft nützliche Bruchstücke, die mein Leben mit neuen Inspirationen füllen. Zumal ich auch nervös werde, wenn ich mein Notizbuch nicht dabei habe. Zu Hause hatte ich 184 volle Notizbücher, die sich seit meinem 9. Lebensjahr ansammelten. Ich hatte schon eine Menge Gedanken.

Was Alex jetzt wohl machte? Inzwischen musste er bemerkt haben, dass ich nicht mehr anwesend war und mir einen anderen Ausweg suchte.
Ich schaute kurz auf mein Handy, auf dem ‚Wo bist du?‘ stand. Zwar war es gemein, einfach abzuhauen. Aber ob man nun abhaut oder gleich sagt, dass man kein Interesse hat, ist doch das gleiche. Das Band zwischen zwei Fremden ist unverbindlich und ich wollte daraus nicht mehr werden lassen, weil ich wusste, dass es nicht gut ist. Alex ist ein Weltenbummler. Dem macht es sicher nichts aus, wenn er kein menschliches Souvenir mit sich herumtragen muss. Wenn er stets Unabhängigkeit wollte, so durfte er diese auch behalten. Bindung wäre eine Sackgasse mit Zaun auf seiner Reise.

Nach einer Stunde ging ich zurück zum Bahnhof und da die Züge ständig fuhren, musste ich auch nicht warten. Alex sah ich nirgendwo. Wahrscheinlich fuhr er zu anderen Freunden, da er überall jemanden kannte, der ihn aufnahm und sich freute, ihn zu sehen. Schließlich war er selten in Deutschland. Im Zug war ich wie erstarrt, da mein Zustand immer noch vage zwischen Begeisterung und Ablehnung pendelte. Wenn aus zwei extrem gegensätzlichen Gefühlen ein Gefühl wird, dann ist es meistens die feine Apathie. Eine gute Lösung, um mit emotionalen Widersprüchen klarzukommen und um wieder zu sich zu finden. Apathie macht alles ein wenig einfacher, da man Dinge so hinnimmt, wie sie sind und oft anfängt, zu träumen.

Als ich zu Hause war, schmiss ich mich auf die Couch, lag minutenlang einfach so da und schaute mir das surreale Ölbild mit den Schafen an. Das drückte meine Stimmung immer perfekt aus, da es nach meinen Vorstellungen gemalt wurde.
Danach schaute ich mir einen Film an und freute mich mit einem Glas Champagner auf den Rest des Abends.
Alex schrieb: „Was ist denn los mit dir? Geht’s dir gut? Was machst du?“
Dann schaute ich den Film weiter, ohne weitere innere Regung und ohne Antwort. Meine Konzentration galt nur dem Film, der war spannender und wirkte bei mir besser, als Alex.
Anschließend machte ich noch ein bisschen Bauchtraining und ging duschen. Ich verblieb eine ganze Weile im Bad, da ich regelmäßig einen Wellnesstag mit Komplettprogramm einlegte. Gerade nach dem Date mit Alex war das auf jeden Fall nötig.
Als ich im Bett lag, beschloss ich, Alex zu antworten, damit er sich keine Sorgen machte.
„Mein Herz ist woanders“, schrieb ich, machte die Augen zu und schlief bald darauf ein.

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Ich texte dich zu.

  
Ich texte dich zu.

Morgens.

Mittags.

Abends.

…eventuell auch nachts.

Je nachdem, wie ich mich gerade fühle und was sich innerlich anbahnt.

Neugier. Frust. Freude. Lust. Sonstige Minderwertigkeitskomplexe. Und andere Arten von Zuständen.

Alles muss raus.

Egal wann, egal wie, egal wo.

Andauernd schreibe ich dir irgendetwas. Irgendetwas!

Dinge, die für dich weniger Sinn ergeben, als für mich. Wahrscheinlich.

Hauptsache, ich fege dir meine Gefühle irgendwie zu.

Mit meiner Schaufel, die sich Tastatur nennt.

Notfalls auch mit der Bitte, mich anzurufen. 

– Bitte!

Mir geht es dann besser und es herrscht eine kurzfristige Erleichterung mit rasch nachlassender Wirkung. Obwohl ich weiß, was du meinst. Ganz genau. Eigentlich.

Danach texte ich dich wieder zu.

Als ob ich dir nie zugehört hätte. 

Aber doch, das habe ich. Es kommt nur nicht permanent durch. Es stockt. Pause. Dann kommt es wieder. Es sickert zu mir.

Ich höre dir zu. Es wirkt. Bis es verschwindet. Bald darauf.

Jedes Mal erinnere ich mich an deine Worte. Aber irgendwie haben sie ihre Wirkung verloren. Weil Worte eine ganz andere Bedeutung kriegen, wenn man länger nachdenkt. Und wenn du nicht da bist.

Ich texte dich zu. Weil ich an allem zweifele, was gerade ist…war…oder sein könnte oder wird. Dabei gibt es keinen Grund. Eigentlich. 

Du sagst, es ist wie in einem Kreis. Und du hast Recht. 

Der Kreis ist rund. Mache ich einen Anfang, ist es auch gleich das Ende. 

Denn: Für jede Frage gab es bereits eine Antwort. Irgendwann vor etlichen Nachrichten. 

Einmal reicht. Normalerweise. 

Die Antworten kenne ich noch. Ich weiß sie. Und ich möchte sie wiederhören. Mit einem süßen Aroma. Nicht so bitter.

Ich texte dich zu.

Mit der Bitte, die Vergangenheit zur Gegenwart zu machen. Bevor es den Kreis gab. 

Mit meinem Versprechen, mich zusammenzureißen. Locker zu bleiben. Frei zu sein. Runter vom Gas. So, wie es sein soll, damit es funktioniert. Endlich.

Es funktioniert. 

Einen Tag.

Zwei Tage.

Drei Tage.

Dann fängt es an zu bröckeln. Zuerst ganz langsam, dann immer schneller.

Zweifel kommen auf.

Und ich frage mich, ob das alles noch stimmt, was du je gesagt hast.

Ich fange an zu weinen und bin sogleich wieder gefangen. Im Kreis.

Aus Sehnsucht und Lust.

Verzweiflung und falschem Ich-Sein.

Frigides tragic ending.

Klobürstenkauf

Manche Einkäufe sind unangenehm. Vor allem die, bei denen es um die natürlichsten Dinge des Lebens geht. Dazu gehören auch die intimen Grundbedürfnisse hinter verschlossenen Türen, von denen am besten nie einer etwas erfahren sollte: Ausscheidung. Jeder tut es – keiner macht es. Zumindest nicht offiziell und schon gar nicht Frauen, weil es geheime Tatsachen sind. Denn alles, was auf der Toilette geschieht, geht niemandem etwas an. Schon gar nicht fremden Menschen. 

Aber was ist, wenn man auf einmal dazu gezwungen wird, seine Privatsphäre in der Öffentlichkeit bloßzustellen?

Früher als Teenie war es mir peinlich, als ich einmal ein Big-Pack Klopapier und Joghurt kaufte. Mehr nicht. Beim Einkaufen hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht, aber als die beiden Teile so verloren auf dem langen Fließband lagen und alle Leute vor mir nur Lebensmittel kauften, war der Anblick schon ein bisschen absurd. Mir wurde plötzlich klar, dass die Kombi aus Klopapier und Joghurt ziemlich doof gewählt war. Besonders, wenn man dabei an die Trenderscheinung Laktoseintoleranz dachte. (Nein, damals kaufte ich noch keinen Soya-Joghurt, so, wie es heute in und die Laktoseintoleranz wieder out ist.)

Ich hoffte einfach, dass den anderen Leuten das nicht auffiel und sie erwachsener dachten, als ich. Insgeheim musste ich mir außerdem sehr das Lachen verkneifen, weil es einfach nur scheiße lustig aussah, wie der Joghurt mitten auf dem Klopapier stand und auf dem Fließband ruckartig geradeaus zum Ziel fuhr.

Nach dieser Erfahrung überlegte ich genauer, wann, wie und womit ich Klopapier kaufte. Bis es mir irgendwann völlig egal wurde. Wenn ich heute andere Leute beobachte, habe ich das Gefühl, dass nie jemand Klopapier kauft. Außer ich. 

Nach Klopapier gibt es noch eine Steigerung: Klobürste. Das nächste Level der äußeren Unannehmlichkeiten. Solche Käufe gehören zu meinen aktuellsten Herausforderungen und das, obwohl ich inzwischen 10 Jahre älter bin und mir nichts mehr peinlich sein müsste.

Und heute war es soweit. Lange genug stand die Klobürste auf meiner Einkaufsliste und lange genug verzögerte ich diesen speziellen Kauf. Es war auch nicht wichtig, ich teile meine Wohnung mit niemandem und die Bürste sah noch gut aus. Sie hatte nur geringfügige Verschleißerscheinungen vom Wasser und hatte sich um eine Nuance verfärbt. Vom Rost, der es irgendwie schaffte, sich in die Kunststoffborsten zu beißen.

Schon vor einem Monat wollte ich die Klobürste kaufen. Aber da hat der Rest der Ware nicht gestimmt. Zwischen Kosmetik-Produkten und Schminke hätte sie nichts zu suchen gehabt. Das hätte nicht zum Image gepasst. Nicht zur Ware und nicht zu mir. 

Alle hätten sich wahrscheinlich gefragt, warum ich eine Klobürste brauche? Geht dieses Püppchen etwa auf Klo? Die ist ja eklig. Bäh.

Also hatte ich einen perfekten Grund, den Kauf zu verschieben und war für gewisse Zeit erleichtert.

Nun stand das beschämende Ding wieder auf meiner Liste. Diesmal wohl überlegt zusammengestellt mit anderen Produkten des Haushaltsbereichs. Ich brauchte Putzmittel gegen Schimmel, Kalk, Rost, Blutflecken, Urinsteine, Dreck, Bakterien und gegen alles, was es sonst noch im gewöhnlichen Haushalt gab. Ich brauchte das alles nur, damit die Klobürste sich optisch den Bedingungen anpasste, denn das war genau die Konstellation, in der die Bürste kaum noch auffiel. Sie wurde dadurch ein normales Mittel zum Zweck, das den Haushalt erträglicher machte. 

Trotzdem hasste ich das Gefühl, dieses Teil JETZT kaufen zu müssen. Nachdem ich mir die Bürste unauffällig in den Korb holte, ignorierte ich sie und wurde erst wieder an sie erinnert, als ich sie forsch auf das vollbepackte Fließband legte. Die Kundin vor mir kaufte Schminke. So, wie es sich für eine anständige Frau gehörte. Eine Frau mit Stil und Sinn für Ästhetik. Mir kam es so vor, als würden alle Leute hinter mir mich misstrauisch anstarren und sich fragen, ob ich pervers wäre.

– Ja, ich bin pervers und diesmal sehen’s alle. Freut euch!

Erst, als ich die neue Bürste endgültig vor den neugierigen Blicken und dem heimlichen Spott der Anderen einstecken konnte, entspannte ich mich. Es war toll, als dieser Kaufprozess endlich abgeschlossen war und ich mich in nächster Zeit nicht mehr darum kümmern musste.

Wenn ich jemanden sehen würde, der eine Klobürste kauft, hätte ich sicher auch Probleme, meine damit verbundenen Gedanken abzuschalten und ich bin froh, dass ich nicht Kassiererin geworden bin. Weil dann würde ich wahrscheinlich nicht mehr hinter der Kasse sitzen, sondern im Knast der traurigen Humorlosigkeit.

…Und wenn ich mich daran erinnere, wie ich früher als Kind von meinem Vater getröstet wurde, ist es nur noch halb so schlimm, eine Klobürste zu kaufen: „Stell‘ dir andere Menschen/Feinde auf der Toilette vor und du hast keine Angst mehr vor ihnen. Die gehen auch nur sch*****.“