Heimweh

9 Tage auf dem Land….

Heute ist mein letzter Urlaubstag im Familienhotel. Ab morgen Nachmittag wohnt jeder wieder da, wo er wohnt. Familie Holzbock* kommt zurück aus dem Sommerurlaub und ich fahre in mein Zuhause.

8 Tage sind überstanden – das heißt, heute ist mein letzter richtiger Tag hier. Nochmal das ganze Programm und dann ist Schluss. Früher fand ich ‚Frauentausch‘ immer sehr interessant und nun stecke ich selber in der Situation, nur ohne Tauschfamilie. Hier muss ich mich lediglich um die Tiere kümmern. 2x füttern, bisschen spielen, bisschen Auslauf im Garten und das war‘s. Paar Späße sind natürlich auch drin. Ich kann nicht drauf verzichten, Tiere zu veräppeln…

Maja lag gestern Abend vor der Treppe. Plötzlich kullerte ihr geliebter Tennisball die Treppe hinunter. Hinunter in den Bereich, den sie nicht betreten darf. Die darf nicht ins Wohnzimmer, das hat sie als Welpe in der Hundeschule gelernt. Ich musste lachen, als der Ball wie in Zeitlupe die Treppe hinunter rollte. Majas Blick war einmalig lustig. Sie sah perplex zu und wirkte hilflos. Ich lachte so laut, dass Maja mich total verstört ansah. Sie wusste nicht, was sie machen sollte und konnte mein schadenfrohes Verhalten nicht einordnen. Natürlich holte ich ihr den Ball und sie lud mich gleich freudig zum Spielen ein.

Katze Lori werde ich vermissen. Sie guckt extrem verpeilt und hat einfach einen richtig komischen Ausdruck in ihren Augen. Sie ist niedlich, aber irgendwie auch nicht. Ihre Augen sind ganz anders, als die von anderen Katzen. Dafür hatte sie einen liebevollen, schönen und schlauen Charakter. Sie ist sehr zart, unnormal verschmust und kann sich durchsetzen. Eine mutige Katze, die nach Autos schaut, bevor sie über die Straße geht. Ihren dämlichen Blick werde ich jedenfalls nicht vergessen, der hat mir viel Freude bereitet.

Heute hatte ich richtig Heimweh. Eigentlich schon, seitdem ich ankam – aber heute am meisten, obwohl es nur noch ein Tag ist. Meine Laune sah man mir bestimmt am Gesicht an. Dabei habe ich doch gar keinen Grund zum Meckern. Immerhin wohne ich in einem Haus mit Garten und habe alles, was man braucht. Ist ja nicht so, als würde ich in einer Bruchbude hausen. Für viele mag dieses Landleben ein Traum sein und manche würden sicher gerne tauschen. Für viele nicht verständlich, dass ich mich beschwere, paar Tage auf ein Haus aufzupassen, gibt es doch so viel Schlimmeres. Aber: Es ist einfach nicht mein Leben und das merke ich. Ich führe gerade den Alltag einer anderen Familie und bewohne deren Zuhause. Klar ist das befremdlich. Anderer Ort, anderer Tagesablauf. Keine Möglichkeit einkaufen zu gehen oder Sport zu machen, da die Tiere pünktlich gefüttert werden sollten. Sonst fängt Maja an, den Hausschuh zu zerbeißen und Lori guckt doof aus der Wäsche.

Ja, woanders ist nicht Zuhause. Ich finde es nicht wirklich schlecht, aber auch nicht wirklich schön. Es gibt Vorteile, jedoch überwiegen die Nachteile für mich. Zumal das Wetter all die Tage leider auch nicht mitspielte. Im Garten konnte ich nicht sitzen und die Sonne genießen, denn sie war nicht da. Höchstens mal für wenige Minuten. Aber so, wie ich es mir vorgestellt habe, war es nicht. Ich habe 4 Zeitungen mit, die ich unbedingt lesen wollte, bin jedoch aus vielen Gründen nicht dazu gekommen. Innerlich war ich zu unruhig und war mehr mit Nachdenken beschäftigt. Einfach zu deprimiert zum Lesen. Lesen wollte ich im sonnigen Garten, mit Kaffee – so war der ursprüngliche Plan. Nun nehme ich die schönen Zeitungen ungelesen wieder mit und habe ein schlechtes Gewissen.

Und weil ich mich hier nicht so wohl fühle, habe ich vermehrt Hunger. Das müssen die Stresshormone sein, die auf dem Land ansteigen. Bei all der Einsamkeit und dem gestörten Tagesablauf ist das bei mir kein Wunder. Ich bin sehr sensibel. All das sind Anzeichen, dass ich inzwischen völlig unter Heimweh leide. Ich brauche meinen morgendlichen Weg zur Arbeit – die 10 Minuten mit dem Fahrrad. Das ist toll, um wach zu werden und sich auf den Tag einzustimmen. Dabei spielt das Wetter keine große Rolle, da mein Kleiderschrank alles hergibt. Den vermisse ich übrigens auch sehr. Manchmal dauert es zwar, bis ich mich entscheide, was ich anziehe, aber das ist immer noch besser, als beschränkte Auswahl zu haben. Jetzt lebe ich nur aus dem Koffer und mit den Outfits, die ich mir vor über einer Woche ausgesucht habe. Mit den Konsequenzen muss ich jetzt zurecht kommen. Hätte heute lieber etwas anderes angezogen…

Vorhin habe ich zum letzten Mal den Staubsauger benutzt. Auch da bin ich froh, bald wieder meinen zu haben, da dieser für mich fast nur Nachteile hat. Mit dem werde ich mich nicht mehr anfreunden, er wird meinen (gar nicht allzu hohen) Ansprüchen nicht gerecht. Und auch mit den Mülleimern bin ich nicht zufrieden. Eingebaut in die Küchenzeile, zum rein- und rausschieben. Gar nicht mein Ding. Und vor allem sind die Eimer viel zu klein…und die Mülltüten sind nicht dicht, der ganze Inhalt ist in die Eimer gelaufen. Ekelhaft….. Für eine Familie völlig ungeeignet. Okay, genug genörgelt. Ist ja nicht mein Problem.

Morgen ist die Welt wieder in Ordnung. Mein Freund Bubu kommt und wir begrüßen zusammen meine Wohnung. Dann ist wieder alles hell und mit positiver Energie gefüllt. Dort gibt es gute Laune und mein Alltag läuft wieder geregelt. Zusammen mit Bubu ist alles außerdem noch viel schöner. Im Moment steigt also die Vorfreude wieder leicht an, denn es ist schon abends und alles ist bald geschafft. Die Tiere kriegen gleich ihr Futter und ich werde noch eine abendliche Runde durch den Garten drehen und die Mülltonne vor die Einfahrt stellen, denn morgen in der Früh kommt das Müllauto und nimmt den Abfall der letzten zwei Wochen mit.

Vielleicht schaue ich abends Fernsehen, das habe ich mir in den letzten gut verkniffen, denn im Wohnzimmer ist es mir zu kalt. Trotz Decke kommt kein Wohlbefinden auf. Da verzichtet man dann auch mal auf seine Lieblingsserien und schiebt Depri oben im Gästezimmer. Im Bett mit über den Kopf gezogener Decke. Ja, es war eine seltsame Zeit… dennoch verging sie überraschenderweise schnell. Dass ich schon so lange hier bin, kommt mir gar nicht so vor.

Nächstes Jahr werde ich wahrscheinlich wieder das Haus betreuen, wenn Familie Holzwurm in den Urlaub fliegt. Vielleicht komme ich dann besser mit den Umständen klar und bin vorbereitet. Eine Landfrau werde ich trotzdem nicht….


Landhaus-Romantik
Auch die Blumen wollen versorgt werden
Blumenpracht
Stockrosen
Pavillon. Ein perfekter Ort zum Entspannen, wenn die Tür aufgehen würde 😂
Fahrradschuppen
Hochbeet und Kräuter

* Name geändert

Abendstunde am Freitag

Momentan mache ich Urlaub im 2 km entfernten Nachbarort und passe auf das Haus meiner Familie (Bruder, Schwägerin und Nichte) auf, die gerade woanders im 30 Grad heißen Süden Urlaub macht. Dabei muss man gar nicht weit reisen, wenn man auf Insel Usedom lebt, denn das ist schon Urlaub genug. Andere fahren weite und stresserfüllte Strecken, um hier her zu kommen und ich, …ich wohne seit knapp 2 Jahren wieder hier in der alten Heimat und fühle mich wohl.

9 Tage pures Dorfleben erwarten mich, so lange bin ich alleine im Haus und versorge Tiere, Garten und natürlich das Haus. Da fällt einiges an. Morgens und abends pünktlich die Tiere füttern und spielen, denn Labrador Maja legt mir immer wieder den zerkauten Tennisball vor die Füße (besonders gerne während ich staubsauge). Am liebsten würde sie ihn wahrscheinlich fressen, da sie ständig so aussieht, als hätte sie Hunger auf den Ball. Sie weiß genau, wo sie suchen muss und welche Gelegenheiten günstig sind, um etwas Essbares zu ergattern. Mülleimer und Geschirrspüler sind für sie die Orte, an denen sie ihr Fressglück wittert, da werden dann schnell mal die Krümel von den Tellern gelegt, die unten im Geschirrspüler stehen…

Das Leben auf dem Land in einem großen Haus kann sich jedoch auch einsam anfühlen, wenn man es nicht gewohnt ist. Man merkt schnell, dass man alleine ist. Alles wirkt still und dunkel, etwas kalt. Die vielen Räume sind leer, unbewohnt… kein Leben. Ab und zu knackt es irgendwo und man weiß nicht, woher die Geräusche kommen. Das Licht spielt manchmal sein Eigenleben, geht an und aus,…und die rustikale Küchenlampe mit dem Dimmer ging schon am ersten Abend kaputt. Neue Glühbirnen wurden sofort nachbestellt, denn ohne Auto hat man nicht die Möglichkeit, exklusive dimmbare Lampen in der Nähe zu bekommen.

Gerade wenn das Haus schon älter ist, passieren Kleinigkeiten, die man nicht gleich einer Ursache zuordnen kann, außer, dass die Technik einfach schon älter ist und das Haus schon einiges erlebt hat. Außerdem gibt es nicht genug Licht und die Steckdosen sind auch rar verteilt. Der Keller ist alt, eine steile Holztreppe führt hinunter. Angst macht es mir nicht. Mich stört nur diese seltsame Einsamkeit. Das verleiht dem Haus eine leicht depressive Grundstimmung – vor allem in den ersten Stunden und Tagen nach der Ankunft. Man könnte meinen, es liegen negative Energien in der Luft. Keine Nachbarn im Haus… Auch die Katze schaut nur morgens und abends kurz zum Fressen vorbei. Sie ist den ganzen Tag unterwegs, trägt aber eine gut funktionierende Uhr in sich.

Das Problem mit den negativen Energien hat sich einige Tage später größtenteils erledigt. Die Gewöhnung tritt ein und man akzeptiert die Situation – es ist schließlich ein Abenteuer, mal woanders leben zu dürfen und dort den Haushalt zu führen. Auch wenn ich keine Menschen versorgen muss 😉 Ich denke einfach nicht mehr zu viel nach, will ich mir sowieso abgewöhnen. Vielleicht findet man durch die Stille wieder mehr zu sich selbst und es tut mittlerweile ganz gut. Ich mag Stille sowieso gerne, bevorzuge es jedoch, dass es in der Nähe noch andere Leute gibt und etwas mehr ‚Treiben‘ herrscht. Sei es der Nachbar, der fröhlich schief singt oder jemand, der mit seinem Auto vor meiner Wohnung parkt und ich ihn aus dem Küchenfenster heimlich beobachten kann.

Nach 5 Tagen Einsamkeit auf dem Land kam Mutti mich für eine Nacht besuchen – vom Freitag zu Samstag, das passte am besten und rüttelte sie nicht zu sehr aus ihrer täglichen Routine. Ich freute mich drauf, weil wir uns gut verstehen und immer viel Spaß zusammen haben. Und ich war mir sicher, dass mit Mutti die häusliche Depri-Stimmung bald wieder vergeht. Ist ja meist so, wenn man abgelenkt wird. Dann vergisst man seine Pseudo-Probleme schnell und alles ist wieder gut.

Am Nachmittag fuhr ich noch Einkaufen, um letzte Besorgungen zu machen. Es fehlten noch paar Sachen für den tollen Mädelsabend. Dabei ist es gar nicht so leicht, Muttis Geschmack in Sachen Essen zu treffen. Egal, was ich kaufe, sie wird es entweder nicht mögen, es ist schon zu spät zum Essen oder sie hat zu Hause schon genug genug gegessen. Es gibt immer einen Grund, Nein zu sagen. Das macht die Sache irgendwie leichter!

Danach fuhr ich kurz in meine Wohnung, ein geliefertes Paket aus dem Schuppen holen. Wäre ja schlimm, wenn jemand es wagt, es zu klauen. Obwohl meine Nachbarn keine Gefahr darstellen. Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Good vibes only! In meiner Wohnung ist es schön, positiv und hell. Ja, das vermisse ich. Jeder ist da zu Hause, wo er wohnt. Woanders ist man der Eindringling, der fremde Energien aufsaugt und dann eventuell darunter leidet. So wie ich…

Abends spielte ich mit Maja im Garten und wartete auf die langersehnte Anreise von Mutti, welche von Papa in mein idyllisches Urlaubsdomizil gebracht wurde. Gegen 19:30 Uhr kamen sie dann endlich an und Maja freute sich enorm. Sie sprang die beiden an und verschluckte sich fast an ihrer Sabber,…oder am Ball? Nein, der blieb 3 Tage lang im Dickicht des Rasens verschwunden…bis sie ihn irgendwo wieder fand, obwohl ich alles genau abgesucht hatte….

Papa blieb nicht lange und fuhr nach Hause, um sie am nächsten Morgen um 9 wieder abzuholen. Ich zeigte Mutti das Haus und schlug ihr vor, erstmal anzukommen und sich einzurichten, denn eine gefüllte Reisetasche hatte sie selbstverständlich dabei. Natürlich hatte sie auch etwas zu Essen dabei, aber nicht für sie, sondern für mich. Unter anderem ein Glas Honig. Nachdem sie das Haus ausreichend bezogen hatte, gingen wir auch schon spazieren, um den Ort zu erkunden, den wir wir schon so lange kannten – aber noch nicht gut genug, denn wir fanden neue Wege, die uns unbekannt waren.

Vorbei an Straßen, die wir nicht kannten, an Häusern, die wir noch nie gesehen haben und sehr gemütlich aussagen. Mit Gärten, die zum Verweilen einluden und auch da herrschte wieder diese pure längliche, verschlafene Einsamkeit. Die Einwohner des Dorfes wissen das zu schätzen. Wir staunten über die Schönheit der Häuser und der Natur. Alles war so herrlich einmalig und auch die Abendluft war besonders. Dazu orange Sonnenstahlen auf den Gesichtern vom Sonnenuntergang, der auch Felder und Wiesen in goldenes Licht tauchte. Es war sehr besonders das zu erleben und wir genossen den warmen Abend in der Natur. Weit und breit war niemand zu sehen. Nur Kühe, die in der Abendsonne grasten und es sich gut gehen ließen.

Wir machten viele Fotos, redeten über alles und nichts und philosophierten über die Zukunft. Themen wie: Was wäre wenn…. Werde ich noch zur Landfrau? Mit Haus und Garten? Solche Themen… Meist reden wir so viel, dass wir am Ende wieder vergessen, über was wir gesprochen haben. Nur die wichtigsten Sätze bleiben. Und die Eindrücke des unvergesslichen Abends auf dem Land. Ein Abend, der in Erinnerung bleibt. Natur und ein lauer Sommerabend können sehr nostalgisch und teils auch melancholisch wirken. Das mag ich. Deswegen haben wir eine Menge Fotos gemacht, um uns immer wieder an diese Momente zu erinnern.

Als wir zurück im Haus waren, war der Abend auch schon vorbei. Ich ging in die Badewanne und Mutti machte sich bettfertig, um anschließend noch in ihrem Krimi zu lesen, in dem meist nicht so schöne Sachen passieren, wie die tödlichen Titel bereits verraten. So hatte jeder seine Abendroutine, die man nicht durcheinander bringen darf. Wir sind nämlich beide sehr routiniert.

Gegen 23 Uhr gingen wir schlafen. Da wurde nicht mehr viel geredet. Ich war noch recht unruhig und aufgedreht vom schönen Abend. Zum Glück schlief ich dann allmählich doch noch ein. Gefühlt jedoch nur halb, denn ich hörte Mutti schnarchen. Aber eigentlich schlief ich. Die Nacht war sehr schnell vorbei, um 6 klingelte Muttis Wecker schon, wie immer. Auch am Wochenende als Besucher ist es nicht anders. Natürlich stand ich mit auf, obwohl ich extrem müde war und ich am Wochenende lieber bisschen länger schlafe, bei meinem Schlafmangel. Egal, die Tiere mussten ja auch versorgt werden. Ich trottete so in den Morgen und wurde nicht richtig wach. Bin eben ein kleiner Morgenmuffel.

Wir aßen zusammen Frühstück. Natürlich hatte ich nicht das richtige Brot, nicht die richtigen Kekse und nicht die richtigen Kekse gekauft. Mutti probierte und aß aber trotzdem, um mir eine Freude zu machen. Dazu noch eine Tasse Kaffee, wobei Mutti einen Schluck draufgießen musste, da die Tasse nicht genau bis oben voll war. War klar! Ein Morgen voller Missverständnisse, die nicht schlimm waren. Es ist nichts Neues und wir mögen uns trotzdem. Wir sind eben zwei Steinböcke.

Danach legte ich mich für eine Stunde ins Bett, so müde war ich. Ich döste vor mich hin und hörte Musik. Meist hilft das schon gegen Müdigkeit. Einfach nur entspannen. Nach und nach wurde ich wacher und kurz vor 9 ging ich runter. Mutti stand im Garten und spielte mit Maja. Dann kam Papa auch schon und der Samstag lief für alle so weiter, wie gewohnt. Die Eltern fuhren einkaufen und ich tat, wonach mir spontan war. Erstmal Kaffee trinken und wieder ins Bett legen.

Der Besuch war kurz, aber gefüllt mit schönen Erinnerungen und eine tolle Zeit zu zweit. Komisch, wie schnell die Zeit verfliegt. Danach war wieder alles so, als wäre nichts gewesen. Das machte mich nachdenklich. Alles vergeht so schnell. Minuten, Stunden, Wochen, Jahre… Momente, die erst waren, sind bald Vergangenheit. Manches war gefühlt erst gestern, dabei liegen 15 Jahre dazwischen…

😍
Feldweg, ehemalige Strecke unserer Radtouren – auch abends
Lauer Sommerabend
❤️
Happy
Selfie 🤳🏻
Grasende Kühe, die neugierig sind
Dancing in the sun ☀️
Entspannung im Garten

Landleben und mittendrin Katze Lori

Guten Appetit, kleiner Gartenbewohner
Maja
Landhaus Idylle

Sehnsucht (Oktober 2013)

Ich sitze fast wie erstarrt und still in meinem Zimmer. Es ist Abend und ich bin allein. Das einzige Geräusch ist der Regen, der gegen das Fenster schlägt. Mein Blick fällt auf einen großen Stapel Zeitungen, die in meinem Schrank ungeordnet aufeinander liegen. Wenn ich auf das Datum schaue, überkommen mich Wehmut und Sehnsucht. Die Zeitungen sind alt, aber wenn ich darin blättere, könnten sie von heute sein. Jedes Bild ist mir bekannt, kein Text ungelesen.

Das Zimmer ist auf einmal gefüllt mit Melancholie und gemischten Gefühlen. Gefühle von heutigem Zweifel und früherer Vorfreude, sowie Glück. Es gab Zeiten, in denen alles perfekt schien. Diese Zeiten liegen heute in Scherben in der Vergangenheit und existieren nur noch in dunkler Erinnerung.

Wird es diese Zeiten je wieder geben – zwar in anderer Form, aber vielleicht ähnlich? Ich werde nachdenklich. Schwer, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Nichts wird wieder so, wie es mal war. Veränderungen kommen, bleiben und gehen. Nie wieder wird Vorfreude so sein, wie sie einst war, die Enttäuschungen der Zeit hat sie vertrieben.

Und wo ist die Unbeschwertheit, die mich stets begleitet hat? Auch sie hat sich im Laufe der Erfahrungen schleichend verabschiedet.

Draußen ist es nass, kalt und bunt. Der Herbst steht vor der Tür. Die Jahreszeit, die trüben Gefühlen die Tür öffnet und sie traurig begrüßt. Ich bin gerne allein und genieße es, mich in meiner Sehnsucht nach dem Vergangenen zu suhlen und alte Jahre wieder aufleben zu lassen.

Eine einzige Kerze brennt nur noch, die anderen sind bereits abgebrannt. Um mich herum ist es halbdunkel, aber warm.

Meine Gedanken wechseln zwischen gestern, heute und morgen. Alles ist möglich. Nur ich entscheide in welcher Realität ich leben möchte und was ich will.

Meine Entscheidung ist: Loslassen und mit einem Lächeln durch den Regen und durch die Pfützen zu springen. Durch das Herbstlaub zu rascheln und mit dem Moment eins zu sein.

Die Kerze erlischt mit einem Hauch, das Zimmer wird dunkel. In mir kehrt Frieden ein, Zweifel verschwinden in der Dunkelheit und verstecken sich. Es liegt an mir, ob ich sie morgen suchen möchte, um sie dann erneut in mein Leben zu holen.

Ich werde müde und schaue im silbernen Mondlicht an die runde verzierte Deckenlampe meiner Oma. Draußen bellt ein Hund in der Nacht, während ich in dem alten Gäste-Bett liege und auf meine Eltern warte, die noch spät in der Küche sitzen und sich mit meinen Großeltern über alte Zeiten unterhalten.

Ich wünschte, die Zeit würde stillstehen oder wiederkommen. Oder wird es eine andere, neue Zeit geben, die dieser ähnelt? Läuft das Leben nicht in einer Endlosschleife, in der sich alles nach einer Weile ähnlich wiederholt?

Der Gedanke lässt mich hoffen und ich werde müde.

Das 5 Minuten Date

 

klein

„Ich dachte, du wohnst in Warnemünde“, schrieb Alex.
Ich saß auf meiner Couch und schaute Nachrichten, als die Mitteilung als vibrierendes Glockenping eintraf. Normalerweise schaltete ich mein Handy meist auf stumm, um nicht genervt zu werden. Aber diesmal wartete ich auf Ablenkung, egal in welcher Form. Inzwischen war ich auf alles gefasst und der Unterschied zwischen guten und schlechten Erfahrungen verwandelte sich allmählich in neutrale Oberflächlichkeit. Eine Mischung aus großem Interesse und dem nötigen Abstand zur unnötigen Vorfreude. Denn letztendlich muss man sich auf nichts freuen, was im Herzen noch gar nicht existiert.

„Nee, aber fast“, antwortete ich nach ein paar Minuten. „Warum?“
„Na weil ich jetzt in Warnemünde auf dich warte. Hab die richtige Straße im Navi eingegeben, aber den falschen Ort. Und nun bin ich hier gelandet.“
Okay, das bedeutete spontane Planänderung.
„Na gut, ist nicht schlimm. Bin in einer Stunde in Warnemünde, falls du so lange warten willst.“
„Sehr gut, dann kann ich noch einige Dinge besorgen, mein Wagen ist leer.“
„Würde vorschlagen, wir treffen uns am Bahnhof. Okay?“
„In Ordnung! Bis später.“

Kurz darauf klingelte mein Handy wieder. Meine beste Freundin schickte mir ein Video von unserem letzten gemeinsamen Urlaub in Moskau, als ich vor Lachen kaum noch atmen konnte.
Sie schrieb: „Ich liebe dein Lachen, mein Herz! Du machst mich so glücklich!“
„Ich liebe dich auch, Süße“, schrieb ich grinsend zurück und freute mich.
Wir machten uns fast täglich Liebeserklärungen, das war normal.
Aber von meinem Blinddate erzählte ich ihr nichts. Irgendwie wollte ich nicht darüber reden. Weil ich noch selber nicht wusste, was ich davon halten sollte. Immerhin war der Typ nur zwei Jahre älter als ich. Das hieß, es war das erste Date mit einem Gleichaltrigen und entsprach absolut nicht meinem Schema. Aber ich wollte mal sehen, wie es ist.

Natürlich finde ich es immer besser, wenn man sich nicht zu Hause trifft.
Ich mag es nicht, wenn jemand in mein kreatives Revier eindringt und die Harmonie meiner Wohnung stört. Allerdings wollte ich es diesmal wagen und wissen, wie es ist, einen fremden Mann direkt in meiner Wohnung kennenzulernen. Einfach aus Neugier, Bequemlichkeit und um mir zu beweisen, wie extrem locker ich sein kann. Als Frau sollte man eigentlich auf solche gefährlichen Experimente verzichten. Immerhin kann man durch fremde Typen schnell umgebracht werden, falls man versehentlich seinen Mörder datet. Dennoch kamen mir solche Ängste nie ins Bewusstsein, weil ich nicht ängstlich bin und nicht Monika heiße.

Also schnappte ich mir noch ein paar Gummitiere und machte mich fertig. Zehn Minuten stand ich nachdenklich im Flur, weil mir die letzten Entscheidungen unglaublich schwer fielen: Welche Jacke? Welche Schuhe? Vielleicht sollte ich meinen Konsum endlich einmal einschränken. Viel zu haben macht das Leben nicht unbedingt leichter. Ich entschied mich für bequeme Strand-Schuhe und einer femininen Militärjacke, die ich erst eine Woche hatte. Die liebte ich sofort, weil sie unvernünftig teuer war.

Bevor ich aus dem Haus ging, fragte ich mich, ob man es mir ansah, dass ich innerhalb einer Woche ein Glas Nutella vernichtet hatte. Jeden Tag Nutella zwischen zwei Scheiben Weizenbrot mit Vollkornanteil. Meine ausgelaugten Fettzellen freuten sich bestimmt. Ich zog abrupt mein Shirt hoch, kniff mir in den Bauch und stellte beruhigt fest, dass meine Figur perfekt ist.
Danach plante ich trotzdem eine Detox-Woche mit viel Sport, um den ganzen Müll wieder aus dem Körper zu spülen. Ich kaufte mir die wichtigsten Detox-Produkte und war begeistert, was diese Dinge nach wenigen Tagen im Körper bewirkten. Ich fühlte mich besser und glücklicher, als sonst. Detox-Tee und Detox-Creme gehörten von da an zum Alltag dazu, obwohl ich nicht behaupten würde, dass es bei mir einen gewöhnlichen Alltag gibt.

Ich fuhr mit der Straßenbahn, weil ich keine Lust auf den Feierabendverkehr hatte. Außerdem brauchte ich mein Auto nur für die Arbeit und für die Insel, wenn ich mal einige Tage frei hatte.
In der Straßenbahn saßen einige Menschen, die auch ohne Feierabendverkehr gestresst wirkten. Vielleicht hatten sie nicht so tolle Arbeitsstellen oder Stress mit ihren Partnern oder waren mit sich unzufrieden. Wie auch immer. Beobachten mochte ich gerne. Die Aktionen auf meinem Handy beobachtete ich allerdings kaum. So kam es, dass ich in Warnemünde ankam und nicht wusste, nach wem ich eigentlich Ausschau halten soll. Ich suchte einen Fremden.

Mir kamen viele Leute entgegen und alle wuselten um mich herum. Dazwischen ein Mann, der mir gleich auffiel. Groß, mit Sonnenbrille, Mütze und schwarzem Parka. Ich sprach ihn nicht an, ärgerte mich über meine seltsame Schüchternheit und lief weiter. Immer noch auf der Suche nach Mr. Unbekannt, der Alex hieß.
Am Bahnhof stand niemand, der auf mich wartete.
Aber um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht zu genau hingucken. Es gehörte nicht zu meinem Talent, offensiv nach Personen Ausschau zu halten und zu suchen.
Es dauerte nicht lange, und der Bahnhof leerte sich wieder. Die Leute aus dem Zug tummelten sich auf den Wegen des Hafengeländes und strebten mit Essen in der Hand zum Wasser.
Ich ging woanders hin und setzte mich auf eine Steinmauer. Es war ziemlich kalt, der Wind zog durch meinen Parka und kroch unter mein sommerliches Blumenshirt. Ich fror so sehr, dass ich spürte, wie ich blass anlief und wieder dieses ungesunde Aussehen annahm, das durch die Nutella-Woche noch verstärkt wurde.

Mein Handy lag immer noch unbeachtet in der Handtasche. Als mir immer kälter wurde, stand ich auf, irrte verfroren zum Bahnhof zurück und landete dort auf einer Bank aus Metall. Die kältere Steigerung. Der nächste Zug kam und wieder stiegen zig Leute aus, die alle spazieren gehen und Fischbrötchen essen wollten. Viel mehr konnte man in Warnemünde im Frühling nicht machen. Essen, Shoppen und Wasser, das waren die Hauptattraktionen. Gefolgt von Kaffeetrinken und den beliebten Schlagerpartys im Sommer.

Dann schaute ich auf mein Handy.
Die letzten beiden Nachrichten von Alex waren zwanzig Minuten her.
„Schwarzer Parka.“
„Warte am Bahnhof auf dich!“
Okay, hätte ich vielleicht doch mal früher mein Handy benutzen sollen.
Ich schrieb: „Hab dich vorhin gesehen.. bin vorbeigelaufen..zu spät…wo bist du nun?“
Danach wartete ich auf seine Antwort. Er war eine ganze Weile online, las meine Nachricht, aber nichts kam. Seltsam.
Ich versuchte ihn anzurufen, aber die Computerstimme am anderen Ende meinte, dass er gerade nicht erreichbar wäre. Noch komischer. Zum Schluss sendete ich ihm eine altertümliche SMS und hatte somit alles unternommen, um Kontakt aufzunehmen. Aber keine Antwort.

Wollte er mich jetzt etwa verarschen? Ich fand das alles sehr merkwürdig. Aber dennoch störte es mich nicht besonders. Schließlich störte mich überhaupt nichts mehr. Ich nahm es so hin, wie es war. Was soll mich an einem Fremden stören? Diese anonyme Funkstille passte doch super zum Image eines Fremden! Der Krimi konnte beginnen. Aber mir wurde diese Situation schnell zu blöd.

Ich ging zum Ticketautomaten und kaufte die Rückfahrt, denn länger einsam frieren wollte ich nicht. Die Bahn fuhr in zwei Minuten und als ich mich auf den Weg dorthin machte, meldete sich Alex plötzlich.
„Sorry, mein Handy ist abgestürzt.“
Wie kann denn so etwas passieren, dachte ich mir. Welch ungewöhnlicher Zufall.
„Hmm, ich wollte gerade nach Hause, weil ich dachte, das wäre alles nur ein Scherz.“
„Waaaas? Quatsch…hatte am Bahnhof gewartet und als ich dich nicht sah, bin ich woanders hingegangen.“
Er schickte mir seinen aktuellen Standort, der sich in der Nähe befand. Trotzdem wusste ich erst einmal nicht genau, wie ich dort hinkam und lief in die entgegengesetzte Richtung. Navis waren nämlich nicht so mein Ding.
„Sitze draußen im Café.“
„Na gut, ich komme gleich.“
Das Café war nach einigen Orientierungsfehlversuchen schnell gefunden, aber ich wollte nicht über diesen menschenbesiedelten Vorplatz laufen und ihn irgendwo in der Menge suchen.
„Trink du mal deinen Kaffee aus, ich sitze an der Seite bei den Büschen.“
Ich fand es gut, dort zu sitzen und zu warten, was passiert. Sonst hatte ich mit Büschen ja nicht viel zu tun.

Nach einer Minute kam Alex schon die Straße entlang gelaufen und fand mich. Er lachte. War mein verlorener Anblick etwa so lustig?
Keine Spur von Aufregung bei mir, weil seine Sonnenbrille zu schwarz war und ich insgesamt nicht viel von ihm erkennen konnte, bis auf die Größe und seine Stimme, die ziemlich normal war. Er war schließlich erst dreißig. Was sollte ich also erwarten?
Alles war unauffällig und seine schwarze Mütze versteckte den Rest. Alles schwarz, bis auf die Jeans. Damit hatte er mit gewissen Branchen doch gar nichts zu tun.
Außerdem war er viel dicker angezogen, als ich. Konnte Mann eigentlich noch mehr übertreiben? Ich dachte immer, Männer wären nicht solche sensiblen Frostbeulen. Als er dann noch sagte, es ist ganz schön kalt und windig, rollte ich heimlich mit den Augen.

Wir gingen am Hafen entlang und endeten an der Ostsee vorm Leuchtturm. Sein Blick fiel gleich auf die Wassersportler, die seine vollste Aufmerksamkeit erregten. Alex war schließlich ein vielfältiger Abenteurer, der mit wenig Geld auskam und sogar auf ein richtiges Zuhause verzichtete. Das war ihm alles nichts, er wollte Freiheit und in den Tag hineinleben. Immer woanders sein, ohne richtigen Job und ohne Verpflichtungen. Außerdem war das Meer seine Leidenschaft. Alex war ein moderner Robinson Crusoe und somit wieder jemand, der völlig anders tickte.
Man denkt immer, man kennt alle Arten von Typen, bis man neu überrascht wird. Ich hörte zu, ohne mir ein Urteil zu bilden. Einfach nur zuhören mit keinen Zwischentönen im Kopf. Ich verhielt mich entspannt.
Bis er mir eine Frage stellte: „Und du so?“
„Ich bin deine Nicht-Wellenlänge“, antwortete ich knapp, weil mein Leben komplett anders war.
Daraufhin folgte ein Schweigen, das erst an einem Fischbrötchenstand wieder gebrochen wurde.
„Kannst du mir eine Sorte empfehlen? Du musst doch Ahnung haben, wenn du am Meer wohnst.“
„Nein, ich hab da keine Vorlieben. Ich esse alles, was aus dem Wasser kommt. Auch Muscheln und Mini-Hummer.“
Muscheln gab es am Stand leider nicht.
Alex guckte von links nach rechts und war sichtlich überfordert mit der Auswahl.
Dann nahm er ein geräuchertes Makrelenfischbrötchen.
„Und was möchtest du?“
„Nichts, danke.“
„Wie nichts?“
„Ich hab keinen Hunger, weil ich noch satt bin.“
„Wirklich nicht?“
„Nein, danke, hab vorhin zu Hause Mittag gekocht.“ Mein Mittag war eine Tüte Gummibärchen und zwei Kekse.
„Na gut..ich kann jedenfalls immer sehr viel essen und hab immer Hunger.“
Wie unterschiedlich Männer und Frauen doch ticken. Frauen sind Künstlerinnen in Zurückhaltung und Disziplin. Manchmal jedoch auch im Lügen.
„Willst du dich nicht hinsetzen beim Essen?“
„Nein, stört mich nicht, wenn wir laufen.“

Dann liefen wir einfach ohne Ziel und ohne Plan durch Warnemünde. Zusammen mit einer Menge Gesprächsstoff, trotz der Ungemeinsamkeiten.
Alex wollte gerne Kaffeetrinken und bevorzugte den besten Laden, den es gab. Er wollte den besten Kaffee und guckte sich jede Kaffeemaschine von draußen an.
Nach all der Sucherei setzten wir uns doch in ein recht einfaches Bäcker-Café. Dann nahm er endlich mal seine Brille ab. Ich hatte schon Angst, dass er sie nie abnehmen würde. Es gab schließlich keinen Grund, so undercover unterwegs zu sein.

Erst, als er die Brille abnahm, begann für mich das richtige Date. Er hatte so tolle Augen, dass ich nicht verstand, warum er sie so versteckte. Gerade, weil die Sonne an dem Tag gar nicht schien. Alex hatte ungewöhnlich strahlend blaue Augen. Fast so, als würde sich das Meer permanent darin befinden.
Ich bestellte einen schwarzen Kaffee und Alex einen Cappuccino.
„Mist, ich hab so gut wie nie Bargeld dabei“, gestand ich Alex, als ich nachguckte, wie viel Geld ich überhaupt mit hatte. Es waren 5 Euro.
„Ich bezahle sowieso alles, ist doch selbstverständlich.“
„Wollen Sie den Kaffee hier trinken, oder mitnehmen“, fragte die Frau, die neben Getränken auch Kuchen und andere Backwaren verkaufte.
„Zum hier trinken“, sagte ich fix, bevor Alex die aktivere Variante vorschlug. Denn ich hatte keine Lust, den Kaffee beim Spazierengehen im Wind zu trinken.
Alex nahm das Tablett mit den beiden Tassen und als wir den Tisch erreichten, floss die oberste Schicht meines Kaffees auf dem Tablett und umarmte den Boden der weißen Porzellantasse.
Sein Cappuccino hingegen blieb in Topform, denn der Schaum beschützte den wertvollen Inhalt.

Dann kam wieder diese Situation: Das intime Gegenübersitzen zwischen zwei Fremden. Oft erlebt, aber immer wieder unterschiedlich. Jeder Mann ist nicht gleich und schenkt mir diverse Erfahrungen im Bereich meiner persönlichen Männerpsychologie.
Ich konnte nicht anders, als Alex genau zu beobachten und starrte ihn regelrecht an. Vor allem seine Augen, die so toll waren mit den dunklen dichten Augenbrauen. Faszinierend! Diese Augen zogen mich an. Danach analysierte ich seine Mimik und Gestik, obwohl ich mir das langsam einmal abgewöhnen sollte, da ich mich nicht auf der Arbeit befand. Dabei möchte ich meinen Job so gerne heiraten.

Alex trank seinen Cappuccino, obwohl er noch heiß war. Dann stand Alex plötzlich auf und ging nicht zur Toilette, sondern holte sich einen Löffel, damit sich der Schaum besser essen ließ. Er stippte den Löffel in den Schaum und leckte den Löffel ab. Ich empfand das als interessantes Schauspiel und ließ meinen penetranten Blick nicht von ihm. Scheinbar hatte Alex auch kein Problem damit. Mein limbisches System hatte sich schon etwas auf Alex eingeschossen, denn ich fand ich einfach richtig toll, ohne es erklären zu können. Es war eben so. Plötzlich auftretende Gefühle unterliegen keiner Rechtfertigung.

Ich trank meinen Kaffee, der nicht so heiß war, wie ich dachte. Alex erzählte währenddessen von seiner letzten aufregenden Weltreise und von Kopi Luwak, den ich auch gerne mal trinken wollte.
Als ich sah, dass Alex mit seinem Cappuccino fertig war, trank ich meinen Kaffee umso schneller aus.
Alex musste lachen, als er feststellte, dass in Warnemünde nur alte Leute in Funktionskleidung herumliefen, das kannte er gar nicht. Und meist trugen sie diese Kleidung im Partnerlook.

Das Kaffeetrinken war unser kurzes Hauptdate. Innerlich fühlte ich mich zwar euphorisch, aber diese Euphorie sprudelte nicht über, sondern ebbte schnell ab. Alex passte nicht zu mir, meine Begeisterung für ihn lebte nur kurz. Es war komisch und ich merkte, wie sehr mich meine innere Schutzmauer im Griff hat und meine Emotionen immer mehr abschwächt, damit nichts zu stark für mich wird. Ich spürte diese Schutzmauer zum ersten Mal in ihrer vollsten Intensität und fühlte mich beschützt.
Alex zog seine Jacke an und ließ das Tablett einfach auf dem Tisch stehen, bis ich es nahm und es in die dafür vorgesehene Ablage schob. Als Gast kann man sich schließlich auch benehmen und selber den Tisch abräumen. Zumal wir uns auch nicht in einem Restaurant befanden.

Draußen war es immer noch windig und bewölkt. Nicht gerade mein Lieblingswetter.
„Ich muss noch mal zur Sparkasse. Ich brauche Bargeld“, sagte ich.
„Okay, danach können wir ja wieder zum Strand.“
„Gerne!“
Ich ging in die Sparkasse und Alex spielte draußen mit seinem Handy. Es war ein gutes Gefühl, wieder echtes Geld bei sich zu haben, als immer nur mit Kreditkarten unterwegs zu sein, obwohl es bequemer ist, weil man seltener nachdenkt.

Die Sparkasse war leer und geräumig. Ich schaute mich um und danach zu Alex, der beschäftigt war.
Dann sah ich noch einen zweiten Ausgang. Ich musste nicht lange überlegen, was ich als nächstes tun würde. Der zweite Ausgang rettete mich und ich schlich mich unbemerkt aus diesem weniger erfolgsversprechenden Dating-Verhältnis. Es handelte sich um einen einseitigen Kompromiss, dessen Folgen nicht weiter schlimm sein würden. Ich wollte nicht wieder mit Vollgas im nächsten Gefühlschaos landen. Vor allem lohnte sich dieses Chaos bei diesem chaotischen Typen noch nicht einmal. Außerdem war mir Alex bedeutend zu jung.

Ich suchte mir ein anderes Café zum Verweilen und hoffte, dass Alex mich nicht suchen würde. Aber da er Warnemünde eh nicht kannte, hatte er schon verloren. Ich bestellte mir wieder einen großen Kaffee und ein Stück Quarkkuchen. Mein Handy bekam natürlich keine Beachtung.
Im Café war nicht viel los, da die Saison noch nicht begonnen hatte. Deswegen konnte ich die Ruhe um mich herum genießen. Ich nahm mein Notizbuch aus der Tasche und schrieb die wichtigsten Gedanken, die mir in den Kopf kamen, wie gewöhnlich auf. Diese Notizen sind oft nützliche Bruchstücke, die mein Leben mit neuen Inspirationen füllen. Zumal ich auch nervös werde, wenn ich mein Notizbuch nicht dabei habe. Zu Hause hatte ich 184 volle Notizbücher, die sich seit meinem 9. Lebensjahr ansammelten. Ich hatte schon eine Menge Gedanken.

Was Alex jetzt wohl machte? Inzwischen musste er bemerkt haben, dass ich nicht mehr anwesend war und mir einen anderen Ausweg suchte.
Ich schaute kurz auf mein Handy, auf dem ‚Wo bist du?‘ stand. Zwar war es gemein, einfach abzuhauen. Aber ob man nun abhaut oder gleich sagt, dass man kein Interesse hat, ist doch das gleiche. Das Band zwischen zwei Fremden ist unverbindlich und ich wollte daraus nicht mehr werden lassen, weil ich wusste, dass es nicht gut ist. Alex ist ein Weltenbummler. Dem macht es sicher nichts aus, wenn er kein menschliches Souvenir mit sich herumtragen muss. Wenn er stets Unabhängigkeit wollte, so durfte er diese auch behalten. Bindung wäre eine Sackgasse mit Zaun auf seiner Reise.

Nach einer Stunde ging ich zurück zum Bahnhof und da die Züge ständig fuhren, musste ich auch nicht warten. Alex sah ich nirgendwo. Wahrscheinlich fuhr er zu anderen Freunden, da er überall jemanden kannte, der ihn aufnahm und sich freute, ihn zu sehen. Schließlich war er selten in Deutschland. Im Zug war ich wie erstarrt, da mein Zustand immer noch vage zwischen Begeisterung und Ablehnung pendelte. Wenn aus zwei extrem gegensätzlichen Gefühlen ein Gefühl wird, dann ist es meistens die feine Apathie. Eine gute Lösung, um mit emotionalen Widersprüchen klarzukommen und um wieder zu sich zu finden. Apathie macht alles ein wenig einfacher, da man Dinge so hinnimmt, wie sie sind und oft anfängt, zu träumen.

Als ich zu Hause war, schmiss ich mich auf die Couch, lag minutenlang einfach so da und schaute mir das surreale Ölbild mit den Schafen an. Das drückte meine Stimmung immer perfekt aus, da es nach meinen Vorstellungen gemalt wurde.
Danach schaute ich mir einen Film an und freute mich mit einem Glas Champagner auf den Rest des Abends.
Alex schrieb: „Was ist denn los mit dir? Geht’s dir gut? Was machst du?“
Dann schaute ich den Film weiter, ohne weitere innere Regung und ohne Antwort. Meine Konzentration galt nur dem Film, der war spannender und wirkte bei mir besser, als Alex.
Anschließend machte ich noch ein bisschen Bauchtraining und ging duschen. Ich verblieb eine ganze Weile im Bad, da ich regelmäßig einen Wellnesstag mit Komplettprogramm einlegte. Gerade nach dem Date mit Alex war das auf jeden Fall nötig.
Als ich im Bett lag, beschloss ich, Alex zu antworten, damit er sich keine Sorgen machte.
„Mein Herz ist woanders“, schrieb ich, machte die Augen zu und schlief bald darauf ein.

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Ich wisch dich weg

  
Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich Dating immer mehr zum Trend entwickelt. Zum oberflächlichen Trend, in dem es kaum noch um echte Gefühle geht, sondern um ein knallhartes Auswahlverfahren, welches durch spezielle Apps verstärkt und erleichtert wird. Der Slogan ‚…wisch und weg‘ bekommt dabei eine ganz neue Bedeutung. Wenn ein Bild mit einem Mann erscheint, habe ich die Wahl, was als nächstes passiert. Wer mir nicht gefällt, wird unliebsam weggewischt, als ob es sich dabei um ein Objekt handelt und nicht um einen Menschen. Es ist, als würde man jemanden in die stinkende Mülltonne schmeißen..minderwertige Ware, sozusagen. Ignoranz. Oder der Gedanke: Hoffentlich meldet der sich nicht zurück. Gefällt mir hingegen jemand, wird er angeklickt und als grünes Häkchen in den Dating-Warenkorb gelegt. Oder in der Merkliste für später gespeichert. Immer nach Reihenfolge, da man nicht mehrere Dates gleichzeitig haben kann. Dann heißt es: Abarbeiten. Die richtig interessanten Leute zuerst und danach die, die sympathisch sind oder in echt richtig gut aussehen könnten, denn Bilder täuschen natürlich oft. Zumindest bei Frauen. Männer haben mehr Talent, sich auf Selfies authentischer darzustellen, da sie es einfach zu kitschig finden, die Bilder danach mit verschiedenen Filtern aufzubessern. 
Wie man sieht, könnte man Dating via App ein bisschen mit Shopping vergleichen. Kostenlos oder auf Kosten der Gefühle des anderen oder der eigenen Gefühle, sofern sich etwas entwickelt und Enttäuschung durch einseitiges Verknalltsein droht. Das kann alles vorkommen und es gibt zig Varianten, wie es nach einem Date weitergeht. 
Aber kann sich überhaupt etwas entwickeln, wenn man immer die Hoffnung hat, noch jemand Besseren zu finden?
Ich denke, dann würde man ewig suchen oder nie richtig glücklich sein, mit dem, den man gerade hat.
Allerdings können Dating-Apps tatsächlich Hoffnungen aufrechterhalten. Schließlich melden sich jeden Tag genug neue Leute an und dann geht das Klick-Auswahlverfahren von vorne los. 
Wisch – wisch – wisch – klick – wisch – wisch – wisch ….
Stellt sich die Frage: Was macht man mehr – klicken oder wischen?

Bessere Tipps gegen Liebeskummer 

  

Analyse

Denke an sein Leben und denke an dein Leben. War wirklich alles so toll, wie du es dir jeden Tag schönredest? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte es keine Trennung gegeben. Um es dir einfacher zu machen, stelle seine Schwachpunkte in den Vordergrund und denke vermehrt an die Dinge, die dir nicht gefielen, anstatt deinen Ex zu glorifizieren.

Archivieren

Du musst nicht gleich alle Fotos endgültig löschen oder vernichten. Bewahre sie lieber woanders auf und verschiebe sie z.B. in einen Ordner auf deinem Rechner oder lege sie in eine Kiste, die du danach versteckst. So wirst du nicht dazu verleitet, dir die Bilder mehrmals täglich anzugucken. Du solltest lernen, die Fotos zu ignorieren, weißt aber gleichzeitig, dass sie noch da sind. Irgendwann wird es dir leicht fallen, sie zu vergessen.

Vielfalt

Auch wenn du davon überzeugt bist, dass dein Ex der Beste ist – triff dich mit anderen Männern! Du kannst dich ablenken, wenn du mehrere Männer parallel datest. Der Vorteil daran ist, dass du dich nie alleine fühlst und ausreichend mit Komplimenten versorgt wirst. So ein entzückendes Dating-Chaos wird dich sicher auf andere Gedanken bringen. Vor allem, weil du dich auf ganz unterschiedliche Typen konzentrierst und die Chance hast, neue Abenteuer zu erleben.

Vergleiche

Vielleicht hat einer deiner Freunde auch gerade Liebeskummer und ist viel schlimmer dran, als du. Eine kurze Affäre tut lange nicht so weh, wie eine 5-jährige Beziehung mit gemeinsamer Wohnung, inklusive Anhängsel. Wahrscheinlich hat es dich im Gegensatz zu deiner besten Freundin gar nicht so mies erwischt, wie du zuerst dachtest. Deine Freunde können dich mit ihren Geschichten über Glück und Pech bestimmt bald aufmuntern. 

Langweiler

Du schreibst ihm und er antwortet nie. Oder er betrachtet dich mit Ignoranz, wenn ihr euch zufällig seht. Er gönnt dir nur noch seine völlige Abwesenheit. Bei ihm gibt es nichts mehr zu holen und das wird schnell langweilig. Stempel ihn als Langweiler ab, bei dem sich jede Form von Verschwendung (Gedanken + Gefühle) nicht lohnt. Es gibt spannendere Alternativen, als sinnlose Monologe, die im Nirgendwo enden. Dein Ex ist mit seinem passiven Verhalten viel zu langweilig für dich.

Mittelpunkt 

Rücke dein eigenes Leben wieder in den Mittelpunkt und kümmere dich um dich selbst. Im Moment ist nichts wichtiger, als du dir selber. Werde zum defensiven Egozentriker, der sich eine Auszeit nimmt, um sich seine Wünsche zu erfüllen und von neuen Zielen zu träumen. Du bist ein selbständiger Mensch, der es nicht nötig hat, sich von einer anderen Person abhängig zu machen, die auch selbstbewusst ihr eigenes Leben führt. Du kannst dir auch alleine ein wunderschönes Leben machen, denn du bist frei und darfst machen, was du willst.

Notfall

Wenn diese Tipps nach einer Laufzeit von ca. 12 Wochen nichts bewirken, oder sich dein emotionaler Zustand weiterhin verschlechtert, dann ist das eine kritische Phase, die sehr tiefgreifend ist. Du solltest nicht versuchen, dich mit destruktiven Mitteln zu betäuben, sondern locker bleiben und eventuell ein intimes Gespräch mit deinem Ex führen. Rede mit ihm über Sex, denn damit erzielst du schneller eine positive Reaktion, als mit deiner Heulerei. Denke immer daran, dass Männer Stress hassen und versuche, ihn mit Absicht zu vermeiden.

  

Ich texte dich zu.

  
Ich texte dich zu.

Morgens.

Mittags.

Abends.

…eventuell auch nachts.

Je nachdem, wie ich mich gerade fühle und was sich innerlich anbahnt.

Neugier. Frust. Freude. Lust. Sonstige Minderwertigkeitskomplexe. Und andere Arten von Zuständen.

Alles muss raus.

Egal wann, egal wie, egal wo.

Andauernd schreibe ich dir irgendetwas. Irgendetwas!

Dinge, die für dich weniger Sinn ergeben, als für mich. Wahrscheinlich.

Hauptsache, ich fege dir meine Gefühle irgendwie zu.

Mit meiner Schaufel, die sich Tastatur nennt.

Notfalls auch mit der Bitte, mich anzurufen. 

– Bitte!

Mir geht es dann besser und es herrscht eine kurzfristige Erleichterung mit rasch nachlassender Wirkung. Obwohl ich weiß, was du meinst. Ganz genau. Eigentlich.

Danach texte ich dich wieder zu.

Als ob ich dir nie zugehört hätte. 

Aber doch, das habe ich. Es kommt nur nicht permanent durch. Es stockt. Pause. Dann kommt es wieder. Es sickert zu mir.

Ich höre dir zu. Es wirkt. Bis es verschwindet. Bald darauf.

Jedes Mal erinnere ich mich an deine Worte. Aber irgendwie haben sie ihre Wirkung verloren. Weil Worte eine ganz andere Bedeutung kriegen, wenn man länger nachdenkt. Und wenn du nicht da bist.

Ich texte dich zu. Weil ich an allem zweifele, was gerade ist…war…oder sein könnte oder wird. Dabei gibt es keinen Grund. Eigentlich. 

Du sagst, es ist wie in einem Kreis. Und du hast Recht. 

Der Kreis ist rund. Mache ich einen Anfang, ist es auch gleich das Ende. 

Denn: Für jede Frage gab es bereits eine Antwort. Irgendwann vor etlichen Nachrichten. 

Einmal reicht. Normalerweise. 

Die Antworten kenne ich noch. Ich weiß sie. Und ich möchte sie wiederhören. Mit einem süßen Aroma. Nicht so bitter.

Ich texte dich zu.

Mit der Bitte, die Vergangenheit zur Gegenwart zu machen. Bevor es den Kreis gab. 

Mit meinem Versprechen, mich zusammenzureißen. Locker zu bleiben. Frei zu sein. Runter vom Gas. So, wie es sein soll, damit es funktioniert. Endlich.

Es funktioniert. 

Einen Tag.

Zwei Tage.

Drei Tage.

Dann fängt es an zu bröckeln. Zuerst ganz langsam, dann immer schneller.

Zweifel kommen auf.

Und ich frage mich, ob das alles noch stimmt, was du je gesagt hast.

Ich fange an zu weinen und bin sogleich wieder gefangen. Im Kreis.

Aus Sehnsucht und Lust.

Verzweiflung und falschem Ich-Sein.

Frigides tragic ending.

Erdbeerwoche 

  
Eigentlich hatte ich keinen Hunger, sondern nur Appetit. Wobei Appetit auch kein Synonym für Heißhunger ist. Also: Ich hatte Heißhunger, obwohl ich längst noch vom Frühstück satt war. Und von den drei Tassen Kaffee, die mich inzwischen fast verrückt machten und zum Schwitzen brachten. Irgendwie war ich hyperaktiv und gleichzeitig völlig geschafft. Ich war voller Tatendrang und gleichzeitig zu faul, um paar Schritte weiterzudenken. Ich machte mir sinnlose Gedanken, die es nicht Wert waren, in meinem Kopf zu sein. Schräge Gedanken zwischen hier, früher, später und dazwischen.

Durch den Kaffee flossen die stupiden Gedanken noch schneller durch mein Hirn und versackten dann irgendwo, bevor ich den Stuss vernünftig zu Ende denken konnte. Ich fühlte mich dabei wie ein Freak auf Speed. Manchmal kam es mir vor, als würde Kaffee zu den Amphetaminen gehören. Obwohl Kaffee noch lange nicht so schlimm war, wie 1 Liter Guarana-Tee mit Zucker, der obendrein für verdächtiges Nasenbluten sorgte.

Heute ist der Anfang dieser Tage, die jeden Monat zur gleichen Zeit wiederkehren. Immer dann, wenn meine Pillenpackung leer ist und mein Körper und meine Hormone komplett durchdrehen. Mein Monat hat 21 Tage, danach fühlt sich alles unnormaler an, als gewöhnlich. Die vierte Woche gleicht immer einer manisch-depressiven Episode in Mädelsversion.
Wenn alles zu wenig und alles zu viel ist. Gerade beim Shoppen, beim Essen und beim Sex.

Es sind diese Tage, an denen ich eigentlich alles falsch und alles richtig mache. Je nachdem, wie ich es mir in dem Moment hindrehe. Es wechselt im Stundentakt. Ungefähr. Aber meist schon eher.

Diese Tage beginnen harmlos. Schon zwei Tage vor Beginn kündigt mein Körper die Umstellung leise an. Mit so einem dumpfen Gefühl im Unterbauch, aber ohne weitere Symptome. So eine Art Auftakt, dass sich etwas Großes anbahnt und es ist warm im Bauch. Irgendwie schön, recht angenehm. 
Paar Stunden danach habe ich meist mehr ‚Appetit‘, als sonst und auf Sachen, die in meiner Küche verboten sind. Ich bekomme Appetit auf Schokolade und Chips – gleichzeitig. Nur gleichzeitig essen funktioniert nicht, da salzig und süß nicht zusammenpasst. Deswegen: Erst die Schokolade (meist 2 Tafeln) und dann die Chips (meist Käse-Tortillas..ohne Dipp…).

Diesmal habe ich vor zwei Tagen allerdings nur eine Tafel Schokolade gegessen. Ich wollte es in diesem Monat nicht übertreiben. Vielleicht konnte ich meinen Appetit diesmal überlisten und meine Begierde auf Ungesundes unterdrücken. Dafür hatte ich Lust auf bodenständige Kartoffeln – ungeschält – mit übertrieben viel Meerrettich, Salz und Pizzagewürz.
Ich will nicht immer das Opfer meines Körpers sein, wenn mein Körper mir mit seinem roten Trotz signalisiert, dass ich schon wieder kein Kind gekriegt habe. Jeden Monat der gleiche Zoff mit meinem Körper. 

Dennoch ist es so besser, als anders. Rot ist sowieso meine Lieblingsfarbe. Aber die Hormonüberdosis, die mein Unterleib an mein Gehirn sendet, nervt mich.

Mein Körper hat sich heute übel gerächt.
Mit einer überraschenden Heißhungerattacke, die aus dem Nichts über mich herfiel, während ich auf der Couch lag und über viel interessanten Unsinn nachdachte, der meinen freien Tag füllte.

Der Schoko-Muffin vom Frühstück war schnell vergessen. Die Brötchen auch. Den Kaffee spürte ich noch lange im Blut fließen. Mein Herz raste, mir war heiß. Alles in mir pochte komisch bis in die Halsschlagader. Ich war aufgedreht ohne Ende und panisch, weil ich merkte, dass ich zu viel unwichtigen Kram im Kopf hatte. Es fühlte sich an, wie ein atypischer Frauenherzinfarkt, nur dass die Übelkeit fehlte. Also gab es keinen Grund zur Sorge. 

Genau in dem Moment bekam ich Heißhunger auf Milchnudeln aus der Tüte. 

Eigentlich eine völlig dumme Idee, nach einem Frühstück, das gerade mal drei Stunden zurücklag. Der Muffin, die Brötchen und das Kaffeewasser brauchten noch keinen Besuch. Die hatten noch genug mit sich zu tun. 

Aber….ich konnte nicht anders. 

Ich konnte nicht verzichten, auf diese ollen Nudeln, die ich damals viel zu oft aß. Mein Körper vermittelte mir, dass er diese blöden Nudeln genau jetzt brauchte. Oder vielleicht war es auch meine Seele, die versüßt werden wollte, bei all den unnützen und bitteren Gedanken, die im Kauderwelsch meiner Gefühle kurz auftauchten.
Danke Körper, dass du dir all den Mist reinholst, vor dem ich mich sonst fast konsequent fernhalte. 

Milchnudeln stehen schon seit ein paar Wochen auf meiner roten No-Go-Liste, auf der all meine Lieblingsgerichte stehen. Auf meiner aktuellen grünen Liste stehen nur noch Sachen, die nicht chemisch hergestellt wurden und nur von mir persönlich zubereitet werden. Das heißt, ich koche selber, wenn ich nicht gerade gar nichts esse oder nur einen Apfel und/oder eine Gurke. Oder eine ganze Packung Bio-Maiswaffeln mit Butter.

Dann stellte ich den Kochtopf auf die Herdplatte und legte los. Ein wenig genervt, ein wenig traurig und ein wenig glücklich. Ich schüttete eine halbe Packung Vanille-Soyamilch hinein und wartete, bis diese beinahe überkochte. Zum Schluss rührte ich die Nudeln in die schaumige Milch und das Fast Food war fertig.
Da mir das süße Gericht so in der Form noch nicht reichte, entschied ich mich für 5 Esslöffel Zucker als Extra. Somit war das Essen eklig süß und genau richtig für meine Bedürfnisse. Normalerweise waren die Nudeln nach dem Kochen länger heiß. Aber diesmal konnte ich gleich mit dem Essen loslegen, da sie lauwarm waren, was mich wunderte, aber nicht weiter störte. Vielleicht war mein Empfinden gerade etwas eingeschränkt oder der Zucker war zu kalt. Endlich mal essen, ohne 10 Minuten zu warten. 

Nach 3 Minuten waren die Nudeln in der Schale verschwunden. Als ob sie nie da gewesen wären. Ich schmeckte mehr Zucker, als Nudeln. Von dem Gericht selber merkte ich nicht viel, außer, dass es matschig warm war. Es war also tatsächlich eine Heißhungerattacke, die danach völlig umsonst war. Der Genuss blieb auch vollkommen auf der Strecke. Aber das Bedürfnis nach etwas Süßem wurde befriedigt. Erstmal. 
Danach stellte ich die Schale ins Waschbecken, füllte sie mit Wasser auf und es war endgültig vergessen.

Nur mein Bauch musste nun damit leben, was er sich angetan hat, mit seinem Willen, unbedingt etwas Süßes drin haben zu wollen.

Ich lag mit dem Bauch auf der Couch. Satt und überfressen. Hemmungslos. Fett. Aber das schlechte Gewissen blieb fern, da ich mir der Ursache bewusst war.
Erdbeerwoche. Da passieren immer Dinge, die sonst nie passieren. Mein Körper holt sich dann all den Dreck zurück, den er für diese schwierige Zeit braucht. Die Zeit der Ausschwemmung und des Neuaufbaus.

Also hörte ich meinem Bauch zu, was er zu sagen hatte, während ich auf ihm lag. Er gluckerte ungefähr alle 10 Sekunden vor sich hin. Dieses Gluckern musste wohl aus der Bauchspeicheldrüse kommen, die mit all dem Zucker und Fett überfordert war. Wie sollte sie auch so schnell so viel Hormon- und Enzym-Saft produzieren, um den Scheiß zu zerlegen? So viel wie heute hatte sie selten zu tun. Aber nach einer Weile ließ das Gluckern nach und alles beruhigte sich wieder. Nach einer Stunde war alles wieder draußen. Mein Körper wollte nicht mehr, zeigte Protest und Nachsicht. 

Danach war alles leise. Auch meine Gedanken wurden wieder geordneter und ich spürte innerliche Ruhe.
Koffein und Zucker hatten sich neutralisiert. Alles war wieder normal und nicht so psychotisch und krank. 

Alle Vorbereitungen sind getroffen, nun kann die Erdbeerwoche anfangen und bitte schnell wieder aufhören. Damit mein armer Kater nicht allzu sehr unter mir leiden muss. Und mit mir.

  

Vergessener Mond

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Wie jeden Abend entspannte Herr Feddersen sich mit einem Glas Rotwein vor dem Fernseher. Der Wein beruhigte ihn und sorgte für wohlige Wärme, die sich in seinem Körper ausbreitete. In dem Zustand konnte er gut einschlafen und machte anschließend den Fernseher aus. Mit diesem Ritual war sein stets routinierter Tag gelaufen und der Stress folgte ihm nicht in seine Träume.

Mitten in der Nacht klingelte plötzlich das Telefon auf dem Nachttisch und Herr Feddersen erschrak sich fürchterlich. Er meldete sich mit einem heiseren ‚Hallo‘, aber am Ende der Leitung ertönte keine Stimme, sondern nur ein diffuses Rauschen. Feddersen lauschte kurz und legte sich mit einem Blick auf den Wecker wieder schlafen. Es war zwei Uhr und es gab keinen Grund, weiter über komische Anrufe nachzudenken, da ihm gleich wieder die Augen vor Müdigkeit zufielen.

Kurze Zeit später wurde Herr Feddersen durch eine Art Bewegung wach, die sich subtil anfühlte. Es war, als hätte etwas seinen Rücken gestreift oder gar berührt. Er drehte sich um, aber was sollte er erwarten? Schließlich schlief seit Jahren keine Frau an seiner Seite. Dennoch lag das Bettlaken seltsam in Falten. So, als ob jemand dort gesessen hätte. Er strich es glatt und zog seine Hand reflexartig wieder weg, als ihm dabei ein Schauer über den Rücken lief.

Was war hier los?

Herr Feddersen schaute sich suchend um. „Quatsch, was soll das. Ich bin doch nicht paranoid. Wer soll hier schon sein“, murmelte er vor sich hin und zog sich die Decke über den Kopf, da ihm kalt wurde. Vielleicht tat ihm der Wein diesmal nicht gut.

Es war drei Uhr, seine Lider waren schwer und wollten Schlaf. Herr Feddersen verfiel ab jetzt in einen unerholsamen Halbschlaf, da sich diese Nacht anders anfühlte, als sonst. Jedes kleine Knacken im Zimmer war wie ein lautes Krachen und erweckte seine ganze Aufmerksamkeit. In ihm machte sich eine gewisse Unruhe breit, er fühlte sich auf einmal beobachtet. Als ob ihn etwas anstarrte. Er spürte Blicke, die unsichtbar waren und sein Herz fing an zu rasen. Sein Körper wurde schweißig und er traute sich kaum, sich zu bewegen.

Auf einmal hörte er aus der Küche ein schepperndes Geräusch. Es konnte nur die Blumenvase vom Tisch sein, die auf dem Boden zerbrach, denn das Geschirr stand längst abgetrocknet im Schrank.

Wie konnte die Vase ohne Weiteres vom Tisch fallen? Herr Feddersens Magen zog sich fast krampfartig zusammen. Er hatte schon als Kind all diese Gruselgeschichten gehasst, da er sehr ängstlich war und er in allem eine Wahrheit sah. Nun wartete er angespannt auf weitere Geräusche oder auf Schritte oder auf irgendetwas anderes. Aber es blieb vorerst still. Kein Rascheln. Nichts. Nur Stille. Er hoffte, dass es dabei blieb.

Die Uhr zeigte auf vier und Herr Feddersen war klitschnass vor Angst.

Er beschloss, nachzuschauen, was in der Küche passiert war, getrieben von Angst, Neugierde und eingeredetem Mut. Die Vase war tatsächlich vom Tisch gefallen und lag verstreut in vielen kleinen Teilen auf dem Boden. Er nahm sie erst letzte Woche von zu Hause mit, als Geschenk von seiner Mutter, da er diese Vase sehr liebte. Die Vase war sogar einige Jahre älter als er. Und nun lag sie dort erbärmlich in Scherben, die keinen Sinn mehr ergaben. Herr Feddersen war traurig und es tat ihm im Herzen weh, die Scherben zu entsorgen. Als er zurück ins Bett ging, dauerte die Nacht noch zwei Stunden. Tatsächlich versank er noch einmal in einem tiefen festen Schlaf und nahm in diesem Zustand nichts mehr von dem wahr, was in seiner Wohnung passierte. Von dem schwerfälligen Schlurfen im Flur wurde er nicht wach. Erst, als das Schlurfen direkt in seinem Zimmer endete, ihm schroff die Decke wegzog und ihn mit einem Ruck an den Füßen aus dem Bett schleifte.

Herr Feddersen erwachte völlig gelähmt vom Schock auf dem Fußboden. Um ihn herum war alles dunkel, obwohl sich um diese Zeit schon die Sonne durch die Jalousien ankündigte. Nur heute nicht. So lag er nun da, apathisch und in voller Panik, was als nächstes passiert. Er konnte nicht einmal weglaufen, sein Körper regte sich nicht und kein einziger Schrei entglitt aus seinem Mund.

Um fünf Uhr klingelte das Telefon erneut und sein Körper tat sofort wieder das, was er sollte. Herr Feddersen stand zitterig auf und lauschte. Am anderen Hörer meldete sich mit monotoner Stimme ein Arzt, um ihm mitzuteilen, dass seine Mutter im Laufe der Nacht verstorben war. Danach legte der Arzt den Hörer wortlos auf, ohne weitere Fragen zu beantworten und die Leitung begann zu knistern.

Herr Feddersen strömten die Tränen über das Gesicht und ließen seine Augen brennen, wie ein Feuer. Er konnte sie nur noch schließen. Die Lider wurden so schwer, als würden sie sich nie mehr öffnen.

Ein tiefer Schlaf folgte nach diesem nahezu unwirklichen Moment.

Um sechs Uhr klingelte wie gewöhnlich der Wecker und Herr Feddersen war bereit, für seine alltägliche Routine. Er wusste, die Nacht war nur ein Alptraum. Denn Alpträume hatte er immer bei Vollmond. Er hatte sich nur nicht darauf vorbereitet, weil er den Vollmond jedes Mal vergaß.

Einige Minuten saß er still auf der Bettkante, damit dieses unbehagliche Gefühl verschwand, dass er im Bauch hatte. Irgendetwas war heute anders.

Dann klingelte das Telefon. Herr Feddersen schrak auf. Er war im ersten Moment irritiert und zögerte. Sonst rief niemand so früh an, dann es gab nie einen Grund für frühe Anrufe. Nachdem das Telefon fünf Mal klingelte, nahm er vorsichtig ab.

Hallo“, fragte er mit einem ängstlich gereizten Unterton.

Guten Morgen, hier ist Dr. Clement.“

Herr Feddersen spürte eine Art von Übelkeit in sich hochkommen und er erinnerte sich sofort an den geträumten Anruf von letzter Nacht. Er kannte Doktor Clement. Er war der Hausarzt seiner Mutter.

Guten Morgen, Dr. Clement.“

Herr Feddersen war auf alles gefasst. Er hatte eine Ahnung, was jetzt kommt, denn Hausärzte rufen nie an, bevor nicht alles zu spät ist.

Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter am Morgen tot in ihrer Wohnung aufgefunden wurde, wobei die Todesursache noch ungeklärt ist. Die Nachbarn haben sie schreien gehört und haben mich dann angerufen. Die Polizei ist auch hier. Ich werde Sie benachrichtigen, wenn wir Genaueres wissen. Es tut mir sehr Leid.“

Herr Feddersen fehlten die Worte und die Sprache. Er legte wie gelähmt den Hörer auf und war nicht einmal mehr in der Lage zu weinen. Er blieb stumm auf seinem Bett sitzen. Und wartete. 

 

Er war besoffen

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Er war besoffen und am Ende beides: besoffen und ekelhaft.

‚Ich bin in 15-20 Mins da‘, schrieb ich ihm per SMS.
‚Okay, bis gleich‘, war seine Antwort.

Ich saß im Zug und freute mich auf das Treffen. Dabei hatte ich zuerst keine Lust, weil ich müde und kaputt von der Arbeit war. Während der Zugfahrt wurde ich zum Glück wieder etwas munterer und schaute mir die verschneite Landschaft an, die im Sonnenlicht blitzte.
Als ich am Bahnhof ankam, ging ich langsamer als sonst, da ich die Winteridylle noch etwas genießen und nicht früher da sein wollte, als abgemacht. Ich hatte mich zeitlich ein wenig verschätzt, 5-10 Minuten wären exakter gewesen.

Vom Bahnhof war es nicht mehr weit zu ihm – meinem Freund (Kumpel).
Nachdem ich zwei Mal an der Tür klingelte und seinen Hund schon aufgedreht bellen hörte, machte er endlich die Tür auf. Hatte mich schon gewundert, was da los war.
Eine richtige Begrüßung gab es in dem Moment nicht, da er damit beschäftigt war, seinen nervigen Hund beiseite zu räumen. Sein Hund begrüßte mich freudig, indem er mich ansprang und mich fröhlich anschaute. Von seinem Herrchen hätte ich das mehr erwartet. Danach passierte erst einmal nichts mehr. Kaffee trinken und TV gucken stand auf dem Programm, schön gemütlich alles und sehr neutral. In einer Wohnung, in der die Heizung auch im Winter aus blieb – trotz Frauenbesuch. Ich musste mir also warme Gedanken machen und die regte ich an, indem ich die ausstehende Begrüßung einfach spontan nachholte und ihn umarmte. Er reagierte eher emotionslos und gelassen, obwohl ich das bei meinem Outfit nicht verstehen konnte. Normalerweise war das die Garantie für ein vielversprechendes Treffen. Statt mit Nähe und Geborgenheit wurde die Leere mit Gesprächen über die vergangenen Wochen gefüllt. Wir sprachen über ganz normale Dinge, als er im Sessel saß und ich neben ihm auf der provisorischen Couch lag. Er fragte mich, ob ich auch was naschen wollte. Er hatte Schokokugeln, die mit Nougat gefüllt waren. Ich mochte Nougat nicht besonders, mir war das zu cremig. Außerdem hatte ich wie immer keinen Appetit auf Ungesundes. Schokolade ging mir schon lange am Arsch vorbei. Selbst an Weihnachten. Er hingegen klagte darüber, wie sehr er über die Festtage zugenommen hatte. Er konnte schlecht damit umgehen, wenn er Süßes im Haus hatte und sah sich gewissermaßen dazu gezwungen, es zu essen. Schlimm. Mir konnte das nicht passieren. Meinen bunten Teller hatte ich immer noch und konnte mich beherrschen.
Er fragte mich, ob ich ein Glas Sekt trinken wollte und ich verneinte sein Angebot. Mir war es noch zu früh für Alkohol. Dann lieber Kaffee.

Im Laufe des Nachmittags erledigten wir einige alltägliche Dinge in der Stadt, die alle nichts mit einem romantischen Date zu tun hatten. Schließlich war es auch kein Date, sondern ein freundschaftliches Treffen, bei dem einer verknallt war und der andere nicht. Ich war diejenige, die hierbei die Arschkarte gezogen hatte. Konnte mich aber damit abfinden, wenn ich die Sache mit genug Abstand betrachtete. Sein Hund kam auch mit und drängte sich zwischen unsere Zweisamkeit.
Er besorgte sich Geld, dann holten wir sein fertiges Auto von der Werkstatt ab und danach fuhren wir billig einkaufen, denn es musste immer gespart werden. Ganz zum Schluss ging es noch in den Getränkeladen, um einen Kasten Bier für die nächste Feierlichkeit zu besorgen.
Als wir gegen Abend wieder zu Hause waren, ging es zurück auf die Couch und unter die Hundedecke, weil mir langsam kalt wurde. Das Wort ‚Heizung‘ zu erwähnen war mir zu peinlich. Die anfallenden Heizkosten hätten sein Budget gesprengt.

Abends bot er mir erneut eine Flasche trockenen Rotkäppchensekt an, von der er ein ganzes Six-Pack in der Küche stehen hatte. Das war der Rest von Weihnachten, da er selber keinen Sekt trank, sondern in hasste. Frauenkram eben.
Da ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, war mir klar, dass der Sekt diesmal besonders gut anschlagen würde. Zudem wurde mir auch klar, dass ich Sekt immer sehr gut vertragen hatte, egal unter welchen Umständen. Also trank ich ein Glas nach dem anderen. Aus Frust, aus Langeweile und auf die Hoffnung, dass der Abend nett endet. Geschmeckt hatte er mir jedoch auch. Der Sekt war prickelnd genug und das Erste, was mein Bauch an dem Tag zu sich nahm.
Wie würde es jetzt wohl weitergehen, dachte ich. Abwarten.
Er holte in der Zeit seinen konservierten Hechtkopf hervor und fing an, ihn sorgfältig mit Ölfarben anzumalen. Ich schaute weiterhin meine Lieblingssendungen im TV. Wir beide gingen unseren eigenen Beschäftigungen nach, was auch gut war. Man musste ja nicht ständig alles zusammen machen.
Meine insgeheime Frage wurde nach einer Stunde prompt beantwortet. Es kam der Vorschlag in unsere Lieblingskneipe zu gehen. Davon gab es zwei. Ich ließ mich überraschen.
Er räumte seinen Hechtkopf wieder weg, dem er die Kiemen knallrot angemalt hatte, sodass es insgesamt ziemlich unecht aussah. Auch mit der weißen Farbe auf der Unterseite hatte er zu sehr übertrieben. Der Hechtkopf sah unnatürlich und plastisch aus, bis er auf die Idee kam, die Farbe nochmals mit Terpentin zu verdünnen. Danach wirkte der Hechtkopf schon etwas echter und transparenter. Mein Vorschlag, ihn pink anzumalen, kam nicht durch. Schade, es wäre mal etwas anderes gewesen.
Nun musste die Farbe erst einmal trocknen. Wer weiß, wann mein Freund das nächste Mal Zeit für die Bemalung hatte. Irgendwie stand der Hechtkopf schon ewig in der Küche und wartete auf Vollendung. Er fing kurzzeitig sogar schon einmal an zu schimmeln. Mein Freund konnte den Prozess aber noch rechtzeitig aufhalten. Der Hecht hatte also bereits eine Menge durch.

Wir rauchten noch eine und betrachteten dabei den Hecht aus geringer Entfernung. Eigentlich wusste ich gar nicht, was ich zu dem Teil noch sagen sollte, da ich nicht nachvollziehen konnte, warum man tote Tiere anmalt und sie dann als Deko an die Wand hängt.
Anschließend ging es raus aus der Wohnung, ohne Hund. Er hatte heute genug Auslauf gehabt und schlief nur noch. Der Hund war fix und fertig, aber zum Kratzen hatte er noch genug Kraft.
Endlich wieder frische Luft! In seiner Bude hielt ich es kaum aus. Dort roch es undefinierbar nach Hund und ich hatte das Gefühl, dass auch der Geruch von Alkohol in der Luft stand. Aber ich war mir nicht sicher. Auf jeden Fall lag der Geruch nah an der Kopfschmerzgrenze bei längerem Aufenthalt. In meiner Wohnung roch es anders, meist nach Duftölen.
Draußen war es angenehm mild, trotz Winter und Schnee.
Bis zur Kneipe war es nicht weit und drinnen war es nicht gerade voll, wie man von außen erkennen konnte. Von daher war auch unser Stammplatz frei.
Direkt bei uns auf der Bank saß noch ein Typ. Mein Freund fragte, ob wir uns dazusetzen durften. Die beiden kannten sich von irgendwoher flüchtig und fingen gleich ein Gespräch über das Gitarrespielen an. Dort konnte ich mich leider nicht einmischen, da ich keine Ahnung davon hatte. Mein bestelltes Bier kam erst nach einigen Minuten, sodass ich mich kaum ablenken konnte. Aber die Zigaretten taten dafür in der Zwischenzeit ihr Bestes.
Nachdem mein Bier endlich kam, rauchte und trank ich gleichzeitig. Ich versuchte mit Absicht cool zu wirken, im Halbdunkel der Kneipe. Im Hintergrund lief die ganze Zeit Rockmusik, die meine Grundstimmung unterstützte: Sex, drugs and rock’n’roll. Nur war von Sex momentan nichts zu merken, da auch ans Küssen nicht zu denken war. Unbewusst strahlte mein Freund Lustlosigkeit aus. Ich bemerkte die blaue Lichterkette über ihn.
„War die letztes Mal auch schon da?“, fragte ich und deutete mit dem Blick an die Decke.
„Nein, die ist wohl neu“, antwortete mein Freund und fand auch ein wenig Interesse an der Beleuchtung. Sie schimmerte so schön blau.

Irgendwann unterhielt sich der Typ neben mir mit anderen Leuten, da ihm wohl klar wurde, dass er uns auf eine Art störte. Ich war froh, dass wir nun unsere Ruhe hatten und uns angetrunken unterhalten konnten. Diese Gespräche sind oft sehr ehrlich und sinnvoll, da es immer darum geht, warum wir uns eigentlich treffen.
Er dachte jedes Mal, dass das keine gute Sache wäre. Weil ich verknallt war und er nicht.
Aber wir mochten uns trotzdem.
Er sagte: „Du quälst dich doch nur selber, wenn wir uns treffen. Das ist nicht gut und ich fühl mich auch nicht wohl dabei.“
„Doch, ist schon okay. Schließlich kann ich das selber entscheiden. Für mich wär’s schlimmer, wenn wir uns gar nicht mehr sehen würden. Dann lieber so wie jetzt. Auch, wenn’s nicht richtig ist. Nichts ist richtig bei uns“, antwortete ich schnell. Dabei wusste ich selber, dass das alles hier nicht in Ordnung und dass es für ihn auch nicht gerade leicht war.
Dann fragte er mich:“Was wäre, wenn ich jetzt eine Frau treffen würde, die mir gefällt und ich sie hier vor deinen Augen ansprechen würde?“
Tja, scheiß Frage, dachte ich.
„Natürlich wäre das scheiße, was sonst?“, sagte ich genervt. „Das kannst du machen, wenn du alleine bist, aber nicht, wenn ich zu Besuch bin.“
Danach stellte er mir noch einmal diese Was-wäre-wenn-Frage. Da wurde mir bewusst, dass das tatsächlich passieren konnte und ich nicht einmal ein Recht darauf hätte, ihn davon abzuhalten, andere Frauen anzuquatschen, die ich nicht toll fand.
Trotzdem wollte ich daran nicht denken. Unsere anderen Treffen liefen auch alle entspannt ab, ohne solche Fragen und ohne Dates, die nebenbei liefen.
Natürlich konnte er machen, was er wollte. Ich war nicht seine Freundin und hatte keinen Anspruch auf ihn. Selbst meine Bedürfnisse musste er nicht befriedigen.
Es gab immer nur diese eine Antwort auf alles: Wir beide waren kein Paar und eine normale Freundschaft war es auch nicht, wenn wir im Bett landeten. Es war viel mehr ein Gefühlschaos, das ich mir selber eingebrockt hatte, weil ich wahrscheinlich irgendwie masochistisch veranlagt war oder was auch immer. Sonst hätte ich mir so etwas wohl nicht angetan. Welche normale Frau ließ sich so von ihren Gefühlen herunterzuziehen und ausnutzen.

Unsere angetrunkenen Gespräche hatten also immer den gleichen armseligen Inhalt.
Die Sache mit uns und der damit verbundenen Hoffnungslosigkeit, die ich mittlerweile einigermaßen akzeptieren konnte.
Jedes Mal erklärte er mir ausführlich, dass sein Bauch gegen mich war und dass er keine Macht gegen seine Gefühle hatte. Sein Bauch sagte nein und er glaubte ihm fromm. Sein Bauch hatte mehr Macht als sein Herz und sein Gehirn. So kam es mir vor. Das Schlimmste war, dass es danach aussah, als hätte sein Bauch seinen Verstand komplett verloren.
Aber ich akzeptierte es, was blieb mir anderes übrig. Seine Meinung stand fest. Meine Vorteile konnten ihn nicht überzeugen. Jedes Mal erklärte ich ihm, dass andere Frauen ihn und sein Leben nicht tolerieren könnten und zählte dabei jeden einzelnen Grund auf, warum es mit anderen Frauen auch nicht funktionieren konnte. Ich fand meine Erklärungen gut gelungen und sehr überzeugend. Vor allem war jeder Punkt nachvollziehbar und insgeheim wusste er vielleicht, dass ich recht hatte.
Aber weil sein Bauch trotz allem nein sagte, blieb er eisern bei seiner Meinung. Schließlich hatte er genug schlechte Erfahrungen mit Frauen gesammelt. Diesmal wollte er vorsichtiger sein und lieber gleich auf sein Gefühl hören, bevor alles zu spät war. Er wurde schon zig Mal verlassen.

Ich trank nach dem Gespräch artig mein Bier aus ohne zu heulen.
Die Tränen wären umsonst gewesen, von denen gab es in den letzten Wochen schon genug. Ich konnte nicht immer wegen der gleichen aussichtslosen Sache heulen.
Als ich mein zweites Bier bestellte, ließ ich es mit Sekt mischen. Ich brauchte das.
Danach folgten wieder anstrengende Gespräche über Liebe, Zukunft und Familie. Wir schafften es nie, uns über andere Dinge zu unterhalten, da ich noch zu viele offene Fragen hatte, deren Antwort ich eigentlich längst wusste, wenn ich in mich hineinhorchte und mir eingestand, dass wir doch sehr unterschiedlich waren, was gewisse Wünsche anging.
Es waren lange Gespräche, über die Hoffnung, dass alles besser wird. Wirklich alles. Nichts ist zu spät, alles ist möglich. Ich hörte Sätze, die mir bekannt und egal waren, da ich das alles selber wusste. Dennoch konnte ich damit nichts anfangen. Meine Sturheit war einfach stärker, obwohl mir klar war, wie recht er mit jedem Satz hatte. Ich wollte es nur nicht hören, weil ich ihn wollte, anstatt mit jemand anderem glücklich zu werden, der viel besser zu mir passte.
Ich hatte mich so in meinen Freund festgebissen, dass ich nicht mehr loslassen wollte. Dabei war mir völlig klar, dass es noch viel bessere Typen da draußen gab. Ich musste sie nur finden, oder sie mich und das war keine leichte Angelegenheit.

Nun waren auch die Zigaretten im Big-Pack alle, das wir uns beide teilten, weil er keine gekauft hatte. Mein Sekt-Bier stieg mir langsam zu Kopf und ich wollte es nicht mehr trinken. Ich wusste genau, wann Schluss ist und ich war für keinen weiteren Schluck bereit. Das Glas war noch fast voll. Er hingegen trank wohl schon sein 5. Bier. Ich hatte nicht mehr gezählt, weil das Trinken bei ihm schnell ging.
Kurz nach Mitternacht schlug er vor, noch in die andere Kneipe zu gehen. Ich fand es schon sehr spät und hatte eigentlich ganz andere Gedanken. Ich wollte nach Hause, sagte aber nichts. Er wäre sicher nicht begeistert gewesen. Ich ließ Sekt-Bier stehen, denn er hasste dieses Zeug und konnte mir nicht beim Austrinken helfen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich es nicht bestellt hätte.
Trotzdem war ich bereit, der Bedienung noch genug Trinkgeld zu geben. Dann gingen wir raus in die Nacht. Auf der Straße war nichts mehr los.
Ich war etwas wackelig auf den Beinen und meine Zunge war beim Sprechen schon ziemlich lasch. Aber ich hatte noch alles perfekt unter Kontrolle, weil ich mir Mühe gab.

Die nächste Kneipe befand sich in einer anderen Nebenstraße, die nicht weit entfernt war. Dort war bisschen mehr los.
Ich sagte gleich, dass ich nur einen Orangensaft will, da ich keinen Bock mehr auf Alkohol hatte. Er bestellte dagegen sein nächstes Bier. O-Saft wurde dort bestimmt sehr selten bestellt.
In der Kneipe war es bequem, überall standen alte Polstermöbel und abgewetzte Sofas. Vergilbte, angerissene Tapeten an den Wänden und viel Ramsch, der schon einige Jahre hinter sich hatte und teilweise unvorteilhaft im Weg stand. Man konnte sagen, es wirkte schäbig und möhlig. Es war eben eine sehr alternative Kneipe und ich fühlte mich zumindest wohl auf dem Sofa. Die Kerzen waren in Flaschen gesteckt und der mit leeren Bierflaschen zugestellte Tisch vom Vorgänger wurde noch nicht aufgeräumt. Dem Betrieb war das anscheinend egal, da wurde nicht besonders auf Regeln und Sauberkeit geachtet. Voller Aschenbecher? Kümmer‘ dich selber drum!
Ich hatte nichts dagegen, denn ich hatte diesen Laden nie anders kennengelernt. Von dem Flair war auch ich sehr angetan. Es war eben eine Kneipe, die ich sympathisch fand, weil sie nicht perfekt war.

Kurz nachdem wir uns auf das Sofa in der Ecke setzten, bekamen wir schon Besuch von einem Typen, der völlig drüber war und binnen weniger Minuten seine ganze verkorkste Lebensgeschichte erzählte, ohne dass es ihm peinlich war. Er merkte nicht, dass seine Anwesenheit unsere Zweisamkeit enorm störte. Der checkte gar nichts mehr, sondern erzählte ohne eine Pause zu machen eine Story nach der anderen. Wir fragten uns, was der wohl genommen hatte? Mit Sicherheit war es nicht nur Alkohol. Der fremde Typ war überdreht und verrückt, wie man an seiner Mimik und Gestik unschwer erkennen konnte. Wir bekamen von ihm auch Getränke und Zigaretten spendiert, einfach so, weil er nicht ganz dicht war.
Er sagte mir, er hätte einen Psychiatrieüberweisungsschein vom Arzt bekommen und fragte, ob ich ihm ein paar Tipps geben könnte. Beruflich ja, aber privat wollte ich mit solchen Problemen nicht allzu viel zu tun haben. Noch ehe ich antworten konnte, erzählte er schon andere Dinge und schweifte ab.
Seine Klopausen nutzten wir, um uns über private Dinge zu unterhalten und darüber zu lästern, wie dämlich sich der Typ benahm. Leider kam er jedes Mal zu schnell zurück und nervte uns weiter. Wir ließen uns das sehr lange gefallen. Bis der nächste verrückte Typ dazu kam, der wie eine Kopie des anderen wirkte. Wir wussten nicht, ob die beiden sich kannten. Der neue verrückte Typ war sogar noch härter und prahlte, wie viele Strafen er hatte und zwischendurch auch im Knast saß. Dieser Typ geizte auch nicht mit Komplimenten, die an mich gerichtet waren. Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern grinste ihn nur gespielt an. Wahrscheinlich machte er jede Frau mit den gleichen Sprüchen an, da sie altmodisch nach Standard klangen.
Auf die die Frage:„Wie heißt du?“, entgegnete ich zickig: „Geht dich nichts an.“
Ich wollte meine Ruhe haben und nicht mit kranken Männern flirten, die notgeil waren.
Mein Freund hingegen machte kein Geheimnis aus seinem Namen.

Die beiden Verrückten verwickelten meinen Freund in komplizierte Gespräche, in denen es um Hartz IV und aktuelle Lebenssituationen ging. Anspruchsvolle Themen im betrunkenen Zustand. Ich hatte Angst, dass das ausartet und sich mein Freund um Kopf und Kragen redet. Er versuchte sich zu rechtfertigen, obwohl er das gar nicht nötig hatte. Vor allem ging das niemandem etwas an, wie mein Freund bisher in seinem Leben scheiterte. Er erzählte ihnen einige private Dinge aus seinem Lebenslauf. Ich fand es traurig und musste ohne Worte zugucken. Mir wurde das alles unangenehm und ich spürte, wie ich diesen Abend immer bescheuerter fand. Es kam mir vor, wie in einem Alptraum. Ich war mit einem Freund verabredet, damit wir uns einen schönen Abend machen konnten und andauernd wurden wir von verrückten Fremden, die nicht alle Tassen im Schrank hatten, gestört und angeflirtet. Es konnte nicht wahr sein. Vor allem diese dämlichen Gespräche die ganze Zeit. Ich war wenigstens so schlau, nicht darauf einzugehen.

Als es meinem Freund endgültig zu viel mit den beiden wurde, schlug er vor, dass wir nach vorne an den Tresen gehen. Ich fand die Idee gar nicht gut, da es dort voll war und man nicht sitzen konnte. Die Leute standen alle eng aneinandergequetscht am Tresen, der in einer Ecke endete und ich hatte keine Lust darauf, mich dort auch noch hineinzustopfen und keinen Platz zu haben. Ich hasste sowas! Aber ich ließ nach und ging mit ihm dort hin, obwohl ich mir gewünscht hätte, nach Hause zu gehen, da es fast halb drei war. Wie sollte es hier noch weitergehen? Warum wollte er unbedingt zum Tresen?

Ich stand doof herum und mein Freund fand schnell Anschluss unter all den anderen Betrunkenen. Er traf einen Bekannten und die beiden starteten eine angeregte Unterhaltung. Mein Freund war angetrunken genug, um seinen Kumpel zu erzählen, wie sympathisch er ihn fand und all solchen Kram. Nebenbei hörte ich die Worte ‚Frauen‘ und ‚Verkupplung‘ heraus und merkte, dass es hier um Sachen ging, die ich nie hören wollte. Obendrein wurde ich in meiner Anwesenheit gar nicht mehr beachtet und kam mir vor, als wäre ich gerade nicht gewollt. Ich beobachtete diese Situation noch ungefähr zwei Minuten, bis ich mich kurz und knapp mit ‚ich gehe‘ verabschiedete. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Ich hatte schon Minuten davor mit diesem Gedanken gespielt, hatte mir aber eingeredet, mich zusammenzureißen und nicht überzureagieren. Es klappte nicht, weil ich innerlich platzte.
Ich ging einfach, dabei hatte ich nicht einmal meinen O-Saft bezahlt. Mein Freund würde das schon übernehmen. Wer sonst. Die Apfelsaftschorle hatte mir ja der andere Typ spendiert. Hoffentlich wusste er es noch.

Ohne einen Schlüssel zu haben ging ich nach Hause.
Natürlich war ich der Meinung, dass mein Freund mir gleich folgen würde. Auf dem Weg nach Hause dachte ich an gar nichts mehr. Ich war völlig leer und ging wie apathisch durch die ausgestorbene Fußgängerzone. Nicht einmal weinen konnte ich, da ich nichts mehr spürte. Ich merkte nur, wie der Wind an meinen Beinen entlangzog und sah das fahle Licht der Laternen.
Als ich zu Hause ankam, setzte ich mich auf die kalte Steintreppe vor der Tür, wie ein ausgesetzter Penner. Ich trug nur eine dünne Strumpfhose und Hotpants. In meiner dunkelgrünen Winterjacke sah ich äußerlich aus wie eine Tanne und sie wärmte mich auch so. Ich konnte nicht behaupten, dass mir kalt war. Nach einer Weile zog ich meine Handschuhe an, was sollten die auch länger nutzlos in der Tasche bleiben. Die Kälte des Bodens zog sich allmählich durch die Sohle meiner Boots und ich fing an, leicht zu frösteln. Aber richtig kalt war mir immer noch nicht. Hin und wieder hörte ich Schritte durch die Straßen hallen, es kam aber nie jemand in meine Nähe.
Ob mich jemand aus dem Haus von gegenüber beobachtete? Mir war es egal. Sollten die anderen Leute denken, was sie wollten. Wahrscheinlich sah mich niemand, um die Zeit schliefen alle.
Dennoch schaute ich mich suchend nach anderen Menschen um. Aus manchen Fenstern brannte noch Licht. Ansonsten herrschte überall Stille.

Ich hoffte, dass mein Freund bald auftauchen würde und schaute andauernd auf die Uhr, während die Zeit kaum merkbar voranschritt. Es konnte doch nicht sein, dass er sich keine Sorgen macht? Ich rechnete in jeder Minute mit ihm und versuchte, ob ich seine Stimme aus der Ferne hören konnte. Aber nie war es seine, obwohl ich mir das eine Mal fast sicher war.
Normalerweise hätte er längst da sein müssen. Er wusste doch, dass ich nicht woanders hinkonnte und keinen Schlüssel hatte. Wie konnte er mich nur so lange sitzen lassen und mich vergessen?
Ich wartete ungefähr eine Stunde in der Kälte und versuchte ihn zwei Mal anzurufen, wobei ich jedes Mal das Angebot bekam, mit seiner Mailbox zu sprechen. Eine Stunde hatte ich auf der Treppe gesessen, ich konnte es kaum glauben, denn es kam mir gar nicht so lange war. Das lag wohl daran, dass ich selber nicht völlig nüchtern war und sich mein Empfinden verändert hatte.
Mir reichte es. Das war respekt- und rücksichtslos, mich alleine in der Kälte stehen zu lassen! Sicherlich war das meine eigene Schuld, da ich einfach abgehauen war, aber es gab einen Grund dafür. Ignoranz und zerstörerische Themen, von denen ich nichts wissen wollte. Welche Frau würde sich so etwas antun?

Ich beschloss, dass ich wieder zurück in die Kneipe musste.
Hier draußen hatte ich nichts mehr verloren und er würde wahrscheinlich nicht von alleine nach Hause kommen. Also ging ich durch die ganze Stadt und suchte diese verdammte Kneipe, wobei ich mich nicht genau daran erinnern konnte, wo sie war. Mir wurde wieder wärmer, als ich mich bewegte. Ich lief schnellen Schrittes einige Seitenstraßen ab und suchte auf der Straße nach bunten Lichtern, die sich vor der Kneipe befanden. Aber sie waren nirgendwo zu sehen. Vielleicht leuchteten sie nicht die ganze Nacht. Ich lief die Straßen auf und ab. Letztendlich folgte ich meinem Bauchgefühl und bog in eine ganz andere Straße ein. Mehr Möglichkeiten gab es nicht mehr.
Nachdem ich ungefähr zwanzig Minuten nervös gesucht hatte, fand ich endlich diese beschissene Kneipe und sie war noch geöffnet. Hoffentlich war mein Freund noch da, denn es wäre blöd gewesen, wenn wir uns verfehlt hätten.
Ich hatte keine Ahnung, was mich dort drinnen erwarten würde und ging mit einem flauen Gefühl in diesen Laden, der inzwischen wieder richtig voll geworden war.
Was ist in dieser einen Stunde passiert?
Wo kamen all diese Leute auf einmal her?
Es war mitten in der Nacht und in dem Laden war mehr Stimmung, als je zuvor. Ich schaute in der Menschenmenge am Tresen nach meinem Freund und sah ihn ganz versteckt in der Ecke stehen, umzingelt von anderen Leuten. Er sah mich wohl auch gleich. Ich drängte mich wütend durch die Enge und mir war es egal, wen ich dabei anrempelte. Pech, wenn kein Platz war, aber ich musste durch. Was mussten die da auch alle dicht an dicht stehen.

Ich sah, dass er sich mit einem anderen Mädel unterhielt, das am Tresen saß und er nahm einen Zug von ihrer Zigarette, warum auch immer. Sie trug eine hellblaue Jeans, eine schwarze Sweatjacke und eine schwarze Mütze auf ihrem blonden Kurzhaarschnitt. Sehr lässig. Und sie hatte ein hübsches Gesicht, mit einem lieblichen Ausdruck. Ganz entzückend.
Das Mädel hatte jedoch noch mehr Flirtpartner an jeder Seite, wirkte aber nicht allzu interessiert daran. Als ich bei meinem Freund ankam, fragte er mich nur, wo ich war und ich sagte, dass ich draußen vor der Tür herumgesessen hatte und jetzt nach Hause wollte – schon seit zwei Stunden. Laut seiner Aussage war er mir noch kurz hinterhergelaufen, als ich abhaute und ist dann wieder zurück in die Kneipe gegangen, weil es dort schöner war, als zu Hause im Bett.
Da er nichts kapierte, fragte er mich gleich noch einmal danach, ob ich nach Hause will. Das passierte noch einige Male und meine Antwort kam nicht im geringsten zu ihm durch, weil sein Hirn schon voll mit Alkohol und er verballert war. Irgendwann ist jedes Bier ein Bier zu viel. Ich schätzte, dass er inzwischen schon zwölf Biere intus hatte.

Ich stand die ganze Zeit neben all den anderen Leuten angepisst neben ihm und zog eine Fresse, die jeden vernichtete. Als er sah, dass ich nicht glücklich war, zupfte er zuerst ein paar Mal an meiner Mütze, bevor er sie mir vom Kopf zog und stupste mich liebevoll mit seinem Arm an. Das Stupsen wurde nach und nach immer stärker. Ich ignorierte all diese Zeichen und hasste es umso mehr, dass er nichts mehr merkte.
Die Musik wurde immer lauter und die anderen Leute grölten wie bekloppt und schrien zudem auch noch wie grunzende Schweine. Ich war wahrscheinlich die Einzige, die in diesem Laden noch nüchtern war und die Sache mit Abstand neutral beobachten konnte. Irgendwann wurde ein Sex-Song aus der Anlage geschossen, der alle noch einmal richtig ausrasten ließ. Ein besoffenes Mädel stieg auf den Tresen, zusammen mit einem Typen, der eventuell ihr Freund war und machten sich dort komplett zum Affen, wobei sie nicht die einzigen Affen waren, denn der ganze Laden war voll von ihnen. Mein Freund stand mit einer neuen Flasche Bier in der Hand still da und guckte heimlich zu, wobei er an meiner fiesen Fresse nicht vorbeikam. Mir konnte niemand ein Lächeln von den Lippen locken, ich zog mein Ding durch, die Stimmung wenigstens ein bisschen zu verderben und die Aufmerksamkeit meines Freundes auf mich zu ziehen. Wie konnte er nur dabei zu sehen, wie es mir immer schlechter ging? Warum konnte er nicht endlich einsehen, dass jetzt Schluss war?

Dann brodelte es wieder in mir und ich lief durch die Masse Richtung Ausgang. Im gleichen Moment wurde mir bewusst, dass ich das vorhin schon einmal gemacht hatte und dass es keine Chance gab, woanders hinzugehen. Ich wollte nicht wieder draußen in der Kälte ausgesetzt auf einer Treppe hocken und alleine sein. Mist.
Also stopfte ich mich wieder zurück durch die Menge, während mein Freund mit der hübschen Frau redete. Bei dem verletzenden Anblick quetschte ich mich prompt wieder Richtung Ausgang, weil ich keine Ahnung hatte, was ich machen und wie ich damit umgehen sollte.
Auf halbem Weg nach draußen ging wieder zurück, weil ich leider keine andere Wahl hatte.
Die anderen Gäste zeigten mir deutlich, dass ihnen dieses Durchgequetsche und Geschubse langsam auf die Nerven ging. Aber mich störte es nicht, wir kannten uns alle nicht und ich konnte mich so daneben benehmen, wie ich wollte. An diese Nacht konnte sich eh niemand mehr erinnern.

Dann stand ich wieder machtlos neben ihm.
Mir reichte das alles dermaßen, dass ich ihn erneut darauf ansprach und ihn fast darum anflehte, endlich abzuhauen, es war schon spät. Ein bisschen drang zu ihm durch und er sagte:„Ich bring dich nach Hause.“
Er ging mit mir Richtung Tür, nahm aber nicht seine Jacke mit.
„Und was ist mit dir? Du musst deine Jacke doch noch mitnehmen! Mann!“
„Ich komme nachher nochmal wieder, ich bring dich jetzt nur nach Hause und dann komm ich wieder her.“
Ich sah ihn mit großen Augen an und wollte ihn fast anspringen.
„ Du kannst mich doch jetzt nicht alleine zu Hause lassen? Wir beide waren heute verabredet und ich war dein Besuch! Das kannst du doch jetzt nicht machen?! Du kannst mich doch jetzt hier nicht so stehen lassen? Dauernd ignorierst du mich!“, und ich brach in Tränen aus.
„Ich will aber noch hier bleiben und Spaß haben. Ich will noch nicht nach Hause“, sagte er, wobei er sein Gleichgewicht kaum noch halten konnte, und nach hinten kippte.
„Du kannst doch gar nicht mehr richtig stehen! Guck dich doch mal an, du bist total dicht!“
Seine Augen waren schon ganz klein und er hielt sie beim Sprechen geschlossen, weil das alles anstrengend war.
„Ich will aber noch hier bleiben.“

So ging unser Gespräch mindestens fünfzehn Minuten. Es war sinnlos und deprimierend.
Mir schossen immer mehr Tränen in die Augen, weil ich sein Verhalten nicht verstehen konnte. Noch nie hatte er sich bei einem unserer Treffen so verhalten. Inzwischen war es halb fünf und es wäre Zeit gewesen, dass wir beide nach Hause gehen. Aber er wollte noch Spaß haben und trinken.
Noch mehr! Wie viel wollte er noch trinken, wenn jetzt schon nichts mehr ging?
Dann kam einer dieser verrückten Typen von vorher auf uns zu, weil er sah, dass wir Stress hatten und erklärte meinem Freund, dass er mich gefälligst nach Hause bringen soll. Er versuchte, auf ihn einzureden, aber erklärte auch deutlich, dass er sich nicht weiter in unsere Beziehungsangelegenheiten einmischen wollte. Er dachte immerhin, dass wir ein Paar wären, das Streit hat. Danach machte er sich mit einem Kompliment an mich langsam vom Acker.
„Deine Augen sind echt gefährlich“, sagte er mir zum vierten Mal.
Ich zeigte wütend auf meinen Freund und sagte: „Er ist an allem Schuld“, und schubste ihn.
„Sorry, was immer da gerade passiert, regel das, mein Freund. Ich kann Frauen nicht weinen sehen“, war sein letzter Satz. Danach war der verrückte Typ weg und stellte sich an den Tresen.

Mein Freund ging anschließend mit mir nach draußen, wir hatten uns lange genug drinnen angefaucht, sodass es alle mitkriegen konnten. Auf der Straße ging der selbe Alptraum weiter. Er hatte keine Einsichtsfähigkeit und ich versuchte ihm die Situation deutlich zu schildern. Ich wurde dabei sehr laut und teilweise ungehalten, aber es kam bei ihm nichts durch. Er merkte nicht, wie daneben er sich insgesamt verhielt.
Weitersaufen, obwohl schon längst das Maß überschritten war.
Weitersaufen, obwohl er eigentlich keine Kohle hatte und das Geld für andere wichtige Dinge brauchte.
Weitersaufen, obwohl er kaum noch vernünftig stehen und sprechen konnte.
Was hatte das alles mit Spaß zu tun? Eine Frau, die er im betrunkenen Zustand kennenlernen würde, wäre am nächsten Tag wieder Geschichte, da Betrunkensein mit der Realität nichts zu tun hatte. Alles nur Scheinwelt und noch mehr Probleme.

„Ich hatte mir den Abend anders vorgestellt und nicht so beschissen“, schrie ich ihn wütend an, „so scheiße hast du dich noch nie verhalten. Du merkst echt gar nichts mehr. Guck dich doch mal an! Das ist total erbärmlich!“
Er stand regungslos vor mir mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck.
„Ich will aber noch feiern! Spaß haben, da ist Stimmung.“
Als er immer wieder den selben Satz sagte und sich unsere Gespräche nur im Kreis drehten, gab ich endgültig auf und wusste, dass ich nicht erwünscht und völlig umsonst hier war. Ich war enttäuscht, so von ihm missachtet zu werden. Keine Spur von Sozialkompetenz und Empathie. Er war völlig anders, als er vorgab, zu sein. Wahrscheinlich war er mehr besoffen, als nüchtern, da die Kneipe sein Lieblingsort war. Ein Ort der Täuschung, nichts Wahres.

Ich war wütend und traurig auf ihn, aber ich konnte mich nicht ständig wiederholen.
„Entweder gibst du mir jetzt den Schlüssel oder du kommst mit“, sagte ich entschlossen.
„Wenn ich mich drauf verlassen kann, dass du mich nachher reinlässt und nicht einfach abhaust, dann ja.“
Ich wurde immer lauter:„Ich würde gerne sofort abhauen. Komm doch einfach mit jetzt, du Arschloch!“, und stampfte dabei mit den Füßen auf den Boden wie ein kleines Kind.
Schon blühte die Diskussion erneut auf.
„Nein“, sagte er emotionslos.
„Ich hasse besoffene Männer, die sind echt zum Kotzen. Ich hätte echt nie gedacht, dass du genauso scheiße bist. Du bist echt zum Kotzen. Und jetzt gib mir den ollen scheiß Schlüssel!“
Er war so betrunken, dass es ihn nicht mehr störte, wie ich ihn beleidigte und anschrie. Ich war sogar kurz davor, ihm eine zu knallen. Wäre das besser gewesen? Vielleicht hätte das ein bisschen geholfen, um ihn wach zu kriegen.
Während unseres Streits wurde er am Anfang eines Wortes kurz laut, um seine Macht kurzzeitig zum Ausdruck zu bringen. Danach wurde er wieder gleichgültig in seinem Suff, leise und fast stumm. Ich konnte ihn mit meinen vernichtenden Worten nicht erschlagen und kränken. Wäre er nüchtern gewesen, hätte er sich das niemals gefallen lassen und hätte sich dagegen gewehrt.
Dann gab er mir den Schlüssel und ging wankend zurück in die Kneipe.
An seinem Schlüsselbund hing ein kleines Sorgenfresserplüschtier. Das hatte vorne am Maul einen Reißverschluss und sollte symbolisch all die Sorgen fressen, die man hatte. Wahrscheinlich war dieses Plüschtier längst tot, bei solch gravierenden Sorgen, die mein Freund hatte.
Wieder einmal überkam mich Mitleid.

Die Polizei fuhr im Schneckentempo durch die Fußgängerzone und ich hoffte, dass sie mich nicht aufhalten würden, weil meine Schminke so verwischt war und ich fertig aussah. Ich blickte extra auf den Boden, damit mich niemand sieht.
Ja, ich war mit den Nerven am Ende. Schließlich hatte in der vorigen Nacht nur zwei Stunden geschlafen, nichts gegessen und mich nur im Toleranzbereich betrunken. Ich hatte die Schnauze voll und wollte, dass alles endlich zu Ende ist und ich wieder nach Hause fahren konnte. Die Bullen hätten meinen Freund mal mitnehmen sollen, dachte ich.

Als ich in seiner Wohnung war, atmete ich gleich wieder diesen unangenehmen Geruch ein. Was war das nur?
Dann kam sein Hund bellend auf mich zugerannt und ich stieß ihn abrupt mit dem Fuß weg. Er war das Letzte, was ich jetzt wollte. Oller Köter. Ich hatte nur wenig Liebe für ihn übrig, da er zu der Sorte gehörte, die jeden gleich anbellte und belästigte. Der Hund war ungezogen und böse veranlagt. Ich sperrte ihn in die Wohnstube, damit er mich in Ruhe ließ und nicht mit ins Bett konnte, so, wie er es sonst gewohnt war. Tiere im Bett gingen gar nicht. Er roch nicht gut und kratzte sich ständig wie besessen. Aber das Geld für einen Tierarztbesuch fehlte nun mal und der Hund musste darunter leiden.

Eigentlich wäre ich gerne Baden gegangen, um mich aufzuwärmen. Zu Hause hatte ich leider keine Wanne. Aber da ich nicht wusste, wann mein Freund kommt, ließ ich es sein. Ich zog meine aufreizenden Klamotten aus und holte mein nächstes Outfit aus dem Rucksack. Eine wärmende schwarze Cordhose, auf der man gut die weißen Haare des Hundes erkennen konnte, die überall herumlagen und einen weichen grauen Wollpullover mit bunten Pailletten. In meinem kurzen Schlafsachen hätte ich nur noch mehr gefroren. Normalerweise hätte ich gehofft, dass ich jetzt jemanden zum Kuscheln gehabt hätte. So war das eigentlich auch geplant.
Ich ging noch schnell ins Bad und schminkte mich ab, obwohl ich keine Lust hatte, mir die Wahrheit im Spiegel anzugucken. Ich sah blass und traurig aus. Die Haare lagen auch scheiße. Alles an mir wirkte enttäuscht und gestresst. Egal, mich sah sowieso keiner mehr. Dann legte ich mich auf die karge Matratze auf dem Fußboden, denn ein richtiges Bett gab es nicht.
Viele wichtige Dinge fehlten in seiner Wohnung. Das meiste war vom Sperrmüll oder alte Möbel von der Ex-Ex-Freundin, die kaputt waren. Auch der Lichtschalter war mit Klebeband lose an der Wand befestigt und machte den Eindruck, dass man ihn lieber nicht benutzen sollte.
Nichts war in der Wohnung perfekt. Nicht mal abwaschen konnte man in der Spüle, da etwas mit der Wasserleitung nicht stimmte und somit nicht funktionierte. Also wurde das winzige Waschbecken im Bad für den Abwasch missbraucht. Das Geschirr wurde dabei auf dem Klodeckel abgelegt. Alles sehr hygienisch. So what, mir war das ziemlich egal, anfangs. Ich hätte sein Leben schließlich komplett verändern können. Alles wäre mit mir anders und schöner gewesen. Aber er hatte mich abgelehnt und somit würde sein Leben vorerst so bemitleidenswert bleiben.

Ich legte mich erschöpft ins Bett und zog mir die zerlöcherte Decke über den Kopf, die der Hund in seinen Wahn zerbissen hatte. Mir war kalt, trotz der warmen Sachen und mein Kopf tat weh. Ich wusste, dass die Kopfschmerzen von dieser blöden Kneipe kamen und von der fast ausgetrunkenen Flasche Sekt am Abend. Die Kopfschmerzen waren zwar mild, aber sie störten mich trotzdem. Bei jeder Bewegung, die ich langsam ausführte, entwickelte sich ein leichter Schwindel. Ich war froh, nicht mehr getrunken zu haben, denn sonst wäre es mir jetzt richtig schlecht gegangen.
Schlafen konnte ich nicht. Ich sah ständig auf die Uhr und wartete, bis mein Freund kam. Irgendwann musste dieser Laden doch auch mal dicht machen. Sonst hatten die auch schon eher geschlossen und uns einmal fast herausgeworfen, weil wir um eins die Letzten waren. Nur diesmal waren die Inhaber selber zu besoffen und hatten Spaß an der ausschweifenden Stimmung.

Ich hatte nur noch einen einzigen Gedanken: Wann fahre ich nach Hause? Schnell überprüfte ich mit dem Handy die Zugverbindungen und musste mich zwischen Ausschlafen mit Wohlbefinden oder Abhauen mit Unwohlsein entscheiden.
Am liebsten hätte ich ausgeschlafen, da ich es jedes Mal übel fand, mit körperlichen Beschwerden nach Hause zu fahren. Dazu gehörten meist Übelkeit, Kopfschmerzen und starke Müdigkeit.
Würde ich gleich morgens einen der ersten Züge nehmen, müsste ich diese miesen Gefühle in Kauf nehmen.
Also stellte ich meinen Wecker vorerst zu um zwölf, das dürfte reichen, um halbwegs fit zu sein.
Mit den Gedanken, wann ich abhauen will, war ich eine ganze Weile beschäftigt.
Zwischendurch schloss ich die Augen, die inzwischen vor Müdigkeit wehtaten. Aber schlafen konnte ich trotzdem nicht, bei all der Aufregung.

Irgendwann, gegen fünf Uhr morgens kam er nach Hause.
Er musste klingeln, um in seine eigene Wohnung zu kommen und ich sprang sofort auf. Weil er so voll war, klingelte er gleich zwei Mal kurz hintereinander. Er hatte wohl Angst, dass ich nicht die Tür öffnete oder schon weg war. Ich wartete gespannt am Türspalt, während er sich die paar Treppen bis zur zweiten Etage hochschleppte. Aber er schaffte es ohne zu stürzen.
Als er den Flur betrat, sagte ich nichts und ging wieder angenervt ins Bett. Ich schaute ihn nicht einmal an, darauf konnte ich verzichten.
Im Bett lauschte ich dem Gepolter in der Wohnung und dachte, er würde jeden Moment hinfallen und sich den Kopf aufschlagen. Dann kam er zu mir ins Schlafzimmer, im Flur brannte noch das Licht und auch der Köter stürzte sich gleich mit ins Bett.
Mein Freund ließ sich wie ein alter Sack quer auf das Bett fallen, seine Beine gaben nun endgültig nach und konnten ihn nicht mehr halten. Welch Wunder, dass er es überhaupt nach Hause geschafft hatte, denn der Weg war unter diesen Umständen recht weit.
Da lag er nun, auf meinen Füßen. Er machte auf seine Art eine indirekte Andeutung, dass er mehr wollte. Das erkannte ich daran, wie er sich mit seinem Kopf in meine zugedeckten Füße wühlte und meine Beine über der Decke streichelte. Sehr offensichtlich und ein kleines bisschen offensiv. Merkte der echt gar nichts mehr?
Ich strampelte meine Füße weg und sagte genervt:„Lass das!“
Er war nicht in der Lage zu antworten.

Dann wurde es plötzlich ruhig, es regte sich nichts mehr und ich hörte nichts.
Das einzige was ich hörte, war ein Atmen gemischt mit einem leisen Schnarchen. Ich fragte mich, von wem das kam. Machte der Hund solche Geräusche oder mein Freund? Nachschauen wollte ich jedenfalls nicht und wartete, bis ich die Geräusche besser identifizieren konnte, da sie sich immer weiter ausprägten in ihrem Sound.
Dann war mir klar, dass diese Schnarchatmung von meinem Freund kam, der in einer ungünstigen Pose eingeschlafen war. Ich guckte vorsichtig unter der Decke hervor, um das Elend neugierig zu betrachten.
Mein Freund lag besoffen am Fußende in einer Position, die aussah, als hätte ihn jemand überfahren. Alle Gliedmaßen von sich gestreckt und den Kopf in die Matratze gedreht. Seine langen Haare verdeckten sein Gesicht teilweise. Ich hoffte nur, dass er nicht auch noch eingepullert hatte. Solche Dinge konnten leicht passieren, wenn man unter Kontrollverlust litt.
Er schnarchte so laut wie noch nie und sein Atem überschlug sich regelrecht. Es machte mir etwas Angst. Die ganze Situation war mir nicht geheuer. Ich guckte wieder dauernd auf die Uhr, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Stattdessen stellte ich mir vor, was ich nachher zu Hause mache und wie ich unter meiner Kuscheldecke auf der Couch liege. Außerdem hatte ich Lust auf warme Pizza und Sojamilch mit Vanillegeschmack.
Der Handywecker von meinem Freund klingelte ab sieben Uhr in regelmäßigen Abständen. Es lag im Flur und ich wollte nicht aufstehen. Beim letzten Treffen erlaubte er mir, dass ich es ausschalten durfte, wenn es mich störte. Er hörte den lauten Wecker nicht und ich hoffte, dass er irgendwann von alleine ausging und das tat er. Paar Minuten später ging das ganze Gedudel von vorne los. Der Wecker stresste mich mit seinem Gute-Laune-Guten-Morgen-Sound, der so gar nicht in diese triste Umgebung passte.

Ich versuchte trotz Wecker ein wenig zu schlummern und mich auf zu Hause zu freuen.
Nun war mir klar, dass ich nicht erst mittags fahren wollte, sondern so früh wie möglich. Meine Kopfschmerzen konnte ich später auskurieren, die zwei Stunden Fahrt würde ich noch aushalten, wenn mich niemand ansprach und etwas von mir wollte. Ich hatte schon schlimmere Sachen durch, wie zum Beispiel mich völlig verheult und mit starken Kopfschmerzen in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Mit der Tatsache, dass ich an dem besagten Tag obendrein auf Schienenersatzverkehr angewiesen war. Das war mies.
Ich stellte meinen überflüssigen Wecker zu um acht, damit ich gegen neun losfahren konnte. Die Zeit davor brauchte ich, um mich zu schminken und um mich eventuell zu verabschieden.

Mein Freund schnarchte und schnarchte.
Bis er auf einmal wach wurde, kurz lachte und aufstand.
Was war jetzt los, dachte ich. Er polterte in der Küche herum und wühlte im Kühlschrank, wobei es teilweise ziemlich klirrte. Bekam er nun einen Fress-Flash, so wie es oft üblich ist, wenn man verkatert ist? Konnte er überhaupt richtig gucken, bei dem verschwommenen Tunnelblick?
Dann ging er ins Bad und ich hörte, wie er sich seine Jeans auszog. War sie etwa doch vollgepullert? Nein, wahrscheinlich zog er sich nur seine Jogginghose an, damit es bequemer ist, denn die hatte er zu Hause immer an. Die Jeans war nach Weihnachten zu eng geworden und kniff ordentlich am Bauch. Das mochte er gar nicht. Dagegen musste er dringend etwas tun. Deswegen machte er sich jetzt sein Frühstück fertig.
Ich hörte ein schrilles ‚Ping‘ aus der Küche. Ah ja, er hatte sich Brötchen aus der Tüte warm gemacht. Es gab Frühstück für ihn und er fragte mich diesmal nicht, da ich Nahrung eh immer ablehnte. Heute gab es sowieso keinen Grund mehr, mich nach meinen Wünschen zu fragen. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Mein Freund hielt sich lange in der Küche auf. Dabei konnte ich mir nicht vorstellen, dass er schon ausgeschlafen hatte.
Bevor mein Wecker klingelte, stand ich auf und ging ohne eine Begrüßung ins Bad, in dem noch das Licht brannte. Ich fragte nicht, ob er fertig war. Hauptsache, ich konnte bald nach Hause und diese Bude verlassen.
Ich sah immer noch kacke aus, wie immer, wenn ich ungeschminkt war. Aber das änderte sich gleich und nach ein paar Minuten war ich wieder richtig zufrieden mit mir. Was Schminke alles kann…Auch meine Haare lagen wieder besser, dank Haarspray.

Als ich aus dem Bad kam, lag mein Freund wieder brav im Bett.
Wahrscheinlich alles Taktik, damit er mir aus dem Weg gehen konnte. Er lag genau dort, wo ich vorher gelegen hatte. Der Platz war noch warm. Ebenso gut hätte er gleich mit mir kuscheln können, wenn wir beide viel eher nach Hause gegangen wären. Er hätte alles in dieser Nacht haben können. Aber nein, es sollte nicht so sein.
Nun lag er da, ganz selig mit dem Kopf in sein Kissen gegraben mit dem Blick zur Tür gerichtet. Seine Augen waren geschlossen, damit er mich nicht sehen musste.
Ich packte meine Schminksachen in den Rücksack und schaute nach, ob ich nichts vergessen hatte. Das wäre ärgerlich gewesen, denn ich wollte nie wieder hier her kommen. In der Dunkelheit konnte ich jedoch nicht allzu viel erkennen. Eigentlich hatte ich ja auch nur mein Ladekabel ausgepackt, sonst nichts. Also, was sollte ich schon vergessen haben.
Dann ging ich in den Flur und zog mich in Zeitlupe an. In einer Lautstärke, bei der ich mir erhoffte, dass er aufmerksam wird und sich anständig von mir verabschiedete. Ich raschelte und polterte, schlug die Tür von der Schrankgarderobe zu und tritt mit den Schuhen robust auf den Boden. Aber im Schlafzimmer tat sich nichts. Okay.
Ich schaute nochmal nach, ob ich alles hatte und wühlte meine große Handtasche durch, in der sich nur wenig Inhalt befand.
Als ich bereit zum Aufbruch war, ging ich in sein Zimmer und sagte energisch:„Ciao. Wir sehen uns nie wieder.“ Danach schlug ich die Zimmertür hastig zu. Aber leider war es nicht laut genug.
Das mit dem Niewiedersehen hatte ich beim vorletzten Mal zwar auch schon gesagt, aber diesmal meinte ich es ernst. Ich wollte diese Bude nie wieder betreten und von diesem ganzen Elend nichts mehr mitbekommen. Dieses Treffen war eine Schocktherapie.
Ich hatte mehr Mitleid, als alles andere und mir war klar, dass ich mein Leben mit niemandem tauschen möchte, da ich jetzt einsah, wie viel Glück ich hatte. Es gab keinen Grund, mit dem unzufrieden zu sein, was ich hatte.
Sein Leben war nicht beneidenswert – nichts davon, nicht einmal im Ansatz. Sein Leben erinnerte mich eher an trauriges Scheitern, fernab von Glück und Gesundheit. Die Freude und der Spaß kamen nur durch das Trinken.
Ich fragte mich in der schlaflosen Nacht oft, was ich eigentlich so toll an ihm gefunden hatte und ich konnte keine Antwort finden. Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich war das alles nur eine Illusion und ich hatte mich in ihm getäuscht.

Er reagierte nicht auf meine letzten Worte und lag da, ohne sich zu regen.
Er schaute mich nicht einmal an. Ihm war es egal, dass ich für immer ging. Heute Abend gab es schließlich wieder genug zum Saufen und unser Treffen geriet somit für ihn schnell in Vergessenheit. Vielleicht wusste er dann gar nicht mehr, dass wir uns überhaupt getroffen hatten.
Ich schlug die Haustür extra laut zu, als letzten Gruß. Meinetwegen hätte es noch lauter sein können, sodass das Schloss kaputt gegangen wäre. Wäre mir egal gewesen, er hatte ja meine Adresse nicht. Zum letzten Mal lief ich diese Treppen hinunter, vorbei an seinem Briefkasten ohne Schloss und raus aus diesem Haus Nummer 11.
Danach ging ich zum Bahnhof, es war noch viel zu früh. Aber ich konnte nicht mehr bei ihm zu Hause warten. Ich wollte einfach nicht länger dort bleiben und viel wärmer war es in der Wohnung schließlich auch nicht. Also wartete ich eine dreiviertel Stunde in der kühlen Bahnhofshalle und schrieb eine letzte SMS:

P.S.: Du warst echt ekelhaft letzte Nacht. Unterstes Niveau. Du hast recht, ich gehöre nicht in dein Leben und ich will es auch nicht mehr. Du hast mich völlig abgeschreckt und angewidert in den letzten Stunden. Sorry für meine Ehrlichkeit, aber so jemand passt dann doch tatsächlich gar nicht zu mir.

Eine Antwort gab es dazu nicht mehr. Er war schon wieder mit Saufen und Party beschäftigt. Auf der Suche nach der perfekten Frau, die er nie fand.

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Tränenkuchen

Ich backe dir einen Kuchen, mit all meinen Tränen, die ich voller Kummer in den Teig weine. Weil du Geburtstag hast und ich nicht mehr eingeladen bin.
Erstens muss ich an dem Wochenende arbeiten und zweitens hast du keine Gefühle für mich, wie du mir per Mail erklärt hast. Ein Schock, nach all der Hoffnung, die du über Wochen in mir geweckt hast. Vor einigen Tagen waren wir uns noch so vertraut und nun sind wir distanzierte Fremde. Oder enge Freunde. Wie es immer üblich ist, wenn es für eine ernsthafte Beziehung nicht reicht und man die Schmerzphase überwunden hat
Gründe konntest du mir nicht nennen, nein. Aber dein Bauch ist der Meinung, dass ich nicht zu dir passe. Und du glaubst ihm. Gegenseitige Sympathie und Attraktivität werden ausgeblendet, weil dein Bauch recht hat. Basta.
Kann dein Bauch sehen?
Kann dein Bauch mehr fühlen, als dein Hirn?
Warum vertraust du deinem Bauch mehr, als uns?
Ich kapiere es nicht. Akzeptieren muss ich es trotzdem.
Weinend sitze ich auf dem Küchenstuhl, mit der traurigen Teigschüssel vor mir. Mein verschwommener Blick starrt auf deine letzte Mail, die ich immer und immer wieder durchlese und mit jedem Satz neu interpretiere, um doch noch etwas Positives zu finden. Aber es gibt nichts.
Kurz nach Mitternacht schiebe ich den Teig in den Ofen, völlig apathisch. Ich ziehe die Küchenuhr auf, damit der Kuchen nicht anbrennt, in meiner geistigen Abwesenheit. Dennoch wird er an einer Ecke schwarz. Was soll’s, die Schokoglasur wird den Fehler schon vertuschen.
Das wird der erste Kuchen sein, den ich im Paket verschicken werde und wahrscheinlich wird es keinen Anlass geben, so etwas nochmal zu tun. Wer verschickt schon verderbliche Lebensmittel mit der Post…
Damit der Kuchen nicht alleine reisen muss, kann er die Gesellschaft netter Worte, die auf Papier geschrieben sind, genießen und darf sich von Konfetti schmücken lassen, dass ich in den Karton streue. Lauter Herzchen und Kleeblättchen als Symbol, wie sehr ich dich mag.
Zum Schluss wird er in Servietten eingebettet, die ihn vor groben Stößen schützen. Außerdem habe ich nebenbei auch 18 Muffins gebacken, die als Airbag dienen.
Ob der Kuchen salzig geschmeckt hat, werde ich nie erfahren, da er nie bei dir angekommen ist (trotz Sendungsverfolgung) und die Liebe nie deinen Magen erreicht hat.
Ein vergessenes Paket und unerwiderte Gefühle, die nach und nach sterben werden, damit die Freundschaft Platz hat, die mit der nächsten festen Freundin aufhört.

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Alte Wege

Heute war ich zu Besuch in meiner alten Heimatstadt.
Eine Stadt, in der ich meine Freiheiten genoss, wie nie zuvor und in der ich vier Jahre emotionale Achterbahn fuhr.
Ein Auf und Ab zwischen Ausbildung, erster großer Liebe, erster Arbeitsstelle, Unabhängigkeit und ersten Liebeskummer. Der normale Teenie-Alltag.
Es war eine Stadt, in der ich erwachsen wurde, mich Herausforderungen stellen musste und alle Entscheidungen alleine traf.

Ich stieg aus dem Zug und schon waren sie da, die alten Gefühle und Eindrücke. Ein Bild nach dem anderen kam mir ins Gedächtnis. Diese kleine Stadt war voll mit Erinnerungen, die an jeder Ecke lauerten und auf mich warteten. Wiedersehen und Abschied geliebter Menschen und der Blick vom Bahnhof auf meine erste Wohnung, die nur paar Meter entfernt lag. Aber ich beschloss, nicht dorthin zu gehen, weil ich wusste, was ich mir damit antue. 
Wehmut an verlorenes Glück und Schmerz, sowie schöne Momente im Sommer und schlechte Laune im Winter, wenn ich mein Fahrrad durch den matschigen Schnee schieben musste.

Der Bahnhof hatte sich kaum verändert, selbst die Baustellen sind geblieben. Die ganze Stadt war eine ewige Baustelle.
Mit jedem Atemzug atmete ich einen Hauch Vergangenheit ein, es roch nach Frühling und nach Veränderung. 
Der Frühling steht für Neuanfang und ich bin froh darüber. 
Die Bäume waren hier schon viel grüner, als zu Hause und ich war überrascht. 
Die Sonne schien und ließ das helle Grün der Bäume in ihrem Licht strahlen. Die Vögel zwitscherten und leiteten mit ihrem Gesang den Frühling ein. Es war schön, alles war so wie früher. 
Die Gerüche, die Luft und die Menschen, die sich um mich herum tummelten, in ihrem Stress, in den Zug zu kommen und sich die besten Plätze zu sichern. 

Ich spazierte durch den nahe liegenden Park, in dem ich mich früher gerne aufhielt und ging die Wege, die ich damals mit meinem Freund ging. Meistens war das abends, als die Frösche aufwachten und lautstark ihr Froschkonzert im dunklen Teich gaben. Tagsüber war von ihnen nichts zu hören, nur das leichte Plätschern des Wassers oder Geräusche aus dem Tierpark.
Heute ging ich diese Wege alleine und jeder Schritt erinnerte mich daran, wie es damals war und welche Gespräche wir führten. An manchen Stellen konnte ich mich sogar noch genau an einige Sätze erinnern, die er sagte. Absurd.

Und all das soll schon fast zehn Jahre her sein? Ich konnte es kaum glauben und war ein bisschen entsetzt. Alles fühlte sich so an, als wäre es erst gestern gewesen. Die Erinnerungen sind im Gedächtnis frisch geblieben und jederzeit abrufbar.
Das machte mich nachdenklich und ich fragte mich, wie es wohl heute wäre? Zu zweit, mit ihm.
Und vor allem: Warum habe ich damals eigentlich Schluss gemacht?