August, 1 Jahr später


Diese Seite verstummt, ich weiß. Eigentlich gibt es viel zu sagen, würde ich mich nicht so verdammt gelähmt fühlen. Innerlich. Alles ist lahm geworden, dabei passiert in meinem Leben so viel. So viel Aufregendes. Neuer Job, neue Figur, neues Aussehen – all sowas. Dinge, über die man sich freuen kann und die für viele Menschen erstrebenswert sind. Ich habe so vieles erreicht. Und dennoch: Richtig gut geht es mir seit einem Jahr nicht mehr. 
Eigentlich gibt es für diese starke Melancholie, die ich spüre, gar keinen Grund, weil eigentlich alles nahezu perfekt ist. Ich müsste also glücklich und fröhlich sein, den ganzen Tag lächeln…
Der Knackpunkt ist eigentlich. Eigentlich, eigentlich, eigentlich. Wie soll ich etwas erklären, für das es eigentlich keine vernünftige Erklärung gibt. Unvernünftig ist der passendste Ausdruck für mein Verhalten. Naiv, gar kindisch. Irgendwie. Etwas stimmt einfach nicht und dieser ewige Kreislauf nimmt kein Ende, weil das Erlebnis vom vergangenen Sommer so sehr an mir haftet. Es klebt an mir und ich kann mich nicht davon befreien. Dabei ist es so schädlich, an der Vergangenheit zu kleben. Weil sie nicht mehr aktuell ist und sich Dinge nicht mehr rückgängig machen lassen. 

Was zurückbleibt ist Zerstreuung. Ich versuche mich jeden Zag zu ordnen, aber bis jetzt habe ich es an keinem Tag geschafft. Zumindest nie so, wie es sein sollte. Ich sollte in der Gegenwart leben und nicht jeden Abend in diese Traurigkeit und Sehnsucht abdriften. So gut ich mich jeden Tag auch ablenke, es funktioniert niemals vollständig. Die Wehmut findet immer zurück zu mir. Dann liege ich im Bett, starre minutenlang Gegenstände an und verschwinde in der Verlorenheit. Das passiert mir immer häufiger, dass ich einfach nur daliege und gar nichts tue. Oder morgens schlecht aus dem Bett komme und immer wieder die Decke über den Kopf ziehe, um im Dunkeln zu liegen. Oder die Rollos den ganzen Tag unten zu lassen, weil mir die Dunkelheit mehr zusagt und mein Innerstes widerspiegelt. Ich fühle mich wohl im Dunkeln. Vor einem Jahr war das noch anders. Da war ich energiegeladener und nicht so komisch drauf, wie jetzt. Mein jetziger Zustand beschreibt eher den Rückzug, der von der völligen Isolation trotzdem noch weit genug entfernt ist, denke ich.

Heute, vor genau einem Jahr hatte ich dieses Treffen, das mich emotional so sehr veränderte, dass ich mich kaum noch mit früher vergleichen kann. Manche Erlebnisse sind einfach einschneidend, auch wenn es übertrieben scheint, zu behaupten, dass man sich sofort in jemanden ‚verlieben‘ kann. Aber irgendwie kann man es. Obwohl es mehr als absurd klingt. Ich weiß…
Dabei ging das Treffen nur knapp drei Stunden und ich wurde danach aus ‚geschäftlichen‘ Gründen nach Hause geschickt. Ich wurde sogar fast vor die Straße gesetzt, ohne zu wissen, ob ich mit dem Zug noch um die Zeit nach Hause komme. Aber er war so nett und fuhr mich dann doch noch zum Bahnhof, nachdem ich mich so hilflos und weinerlich verhielt. Klingt also nicht gerade nach einem Super-Date. Genau das ist eben das Absurde daran. Eigentlich hat nichts weiter stattgefunden als: Abholen/Bahnhof/Spaziergang – Erzählen/Gin/Blickkontakt – Verabschieden/Vespa/Bahnhof. Jeder Part davon dauerte aufgeteilt also jeweils eine Stunde. Und der Blickkontakt hat es mir am meisten angetan. 

Alles so banal, und doch so wahnsinnig gravierend für mich. Weil er mich so verdammt anzog, mit allem. Seiner Persönlichkeit, seinem Aussehen, seinem Charakter.. Und dass, obwohl ich ihn so gut wie gar nicht kannte, sondern nur erahnen konnte, wie er wohl wäre,..mit all meiner Menschenkenntnis war ich der Annahme, mir von vornherein ein exaktes Bild von ihm machen zu können. Welch dummer Gedanke,..eigentlich.
Es klingt alles so schwachsinnig, obwohl ich meine Gefühle und Gedanken damit nicht verleugnen möchte. Weil sie immer noch so präsent sind, wie damals. Meine Gefühle sind immer noch da, trotz all der Umstände. 

Klar fand ich es nicht toll, als ich nach drei Stunden spontan nach Hause geschickt wurde, trotz seines tollen Gästezimmers. Aber es hatte nichts mit mir zu tun, sondern mit einem Meeting, das sich ziemlich rasch via PC aufdrängelte. Wie auch immer..Vielleicht gab es im Nachhinein doch ganz andere Gründe. Wahrscheinlich war er auch zu dem Zeitpunkt schon in einer Beziehung. Ich habe keine Ahnung. Immerhin sagte er später oft genug, er sei vieles nicht wert. Schon gar nicht, dass ich ihn mag und ihn so begehre. Entweder litt er an falscher Bescheidenheit oder weil er wusste, dass er gerne mal Frauen betrügt. Ich wüsste gerne, was damals genau passierte. Eigentlich wüsste ich am liebsten noch viel mehr über ihn. Ich hätte ich so gerne kennengelernt, insgesamt. 
Heute vor einem Jahr war noch alles in Ordnung. Ein gewöhnlicher Samstagvormittag mit meinen Lieblings-TV-Serien und einer gewaltigen Portion Aufregung. Nebenbei texteten wir miteinander und erzählten davon, was wir alles miteinander vorhatten an diesem Abend. 
Alles war super und klang eindeutig nach Happy End. Etwas anderes wäre undenkbar gewesen, da alles zwischen uns perfekt war. 

Heute weiß ich, dass es perfekt nicht mehr gibt. Er war perfekt. Aber seit ungefähr zwei Monaten brach er den Kontakt ab, da er meine seltsamen Liebeserklärungen und mein bettelndes Verhalten nicht mehr länger ertrug. Verständlich. Warum habe ich mich nicht endlich mal zusammen gerissen? Er ist schließlich in einer Beziehung und scheint diese Frau mehr zu mögen, als mich. Denn wäre es anders, hätte er sich für mich entschieden. Dieser Fakt schmerzt. Seit zwei Monaten wohne ich auf seiner Blockierliste, da ich es einfach nicht verstehen wollte, dass er jeglichen Kontakt zu mir ablehnte. Da es nicht gut für ihn war und für mich sowieso nicht. Leider wollte ich nichts davon verstehen. Ich lebte immer noch in der Überzeugung, ihn umstimmen zu können. 

Es schmerzt. Kein Kontakt mehr, keine Möglichkeiten, kein Wiedersehen. Nie mehr. Dabei versprach er mir, dass wir uns im August wiedersehen. Ein Jahr später, ganz unverbindlich. Kaffee trinken, ganz kurz. Hauptsache, wir sehen uns. Aber daraus wurde nichts und meine Traurigkeit wuchs dadurch umso mehr. Wie sehr hatte ich mich auf dieses Treffen gefreut…jeder einzelne Moment hätte für mich gezählt und mich glücklich gemacht. Jede Sekunde ist wertvoll.
Seitdem herrscht in mir Leere, emotionale Leere. Diesen Abbruch verkrafte ich nicht. Ich spüre genau, dass er mir extrem fehlt. Mir fehlt diese eigentlich fremde Person, die immer zu mir sagte, er wäre eine Projektion. So etwas, wie ein Fantasiegebilde. Vielleicht war er das auch, und dennoch kann ich ihm nicht zustimmen. Für mich war er mehr. Manche Männer muss man nicht kennen, um zu wissen, dass sie die richtigen sind. Man weiß es einfach aus dem Herzen. 

Diese Story hört sich nach einem einzigen Chaos an. Und ja, es gibt tatsächlich kaum Worte und eine Erklärung dazu. Für mich ist es auch Chaos. Diese Story ist einfach nur Gefühl und beinhaltet diese starke unerfüllte Sehnsucht, die vielleicht niemand mehr stillen kann. Es ist schwer. 
Dieses Treffen spielt sich in meinem Kopf jedes Mal wie ein Film ab. Gerade heute. Ich erinnere mich genau daran, was ich wann getan habe, wann ich wann wo war… Dieser ganze Tag ist komplett in mir abgespeichert, mit all seinen Szenen und Wort- und Gedankenfetzen. Ich habe nur Schnipsel im Kopf. Auch der damalige Chat schläft auf meinem Handy. Alles ist so frisch, obwohl es schon ein Jahr her ist und ich frage mich, ob ich jemals aus dieser Endlosschleife flüchten kann, wenn ich doch so sehr an ihm hänge. Obwohl es überhaupt gar nichts bringt. Aber diesen Gedanken verdränge ich… 

Kellermänner

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Nachdem ich mein Fahrrad sachgerecht im Keller verstaut hatte, merkte ich schnell, dass ich mal wieder nicht alleine dort war. Wie hätte es auch anders sein können..?
Als ich die Kellertür hinter mir schloss, hörte ich einen meiner Nachbarn in den anderen Kellergängen rascheln und hoffte inständig, dass ich ihm nicht über den Weg lief. Ich schaltete meinen iPod vorsichtshalber gleich auf lautlos, um mich auf eine unvermeidliche Begrüßung gefasst zu machen.
Sonntag ist Ruhetag, dachte ich immer. Normalerweise hielten sich viele ältere Leute strikt an dieses heilige Gesetz. Aber anscheinend hinderte das meinen Nachbarn nicht daran, auch sonntags in seinem Keller herumzukrauchen und Dinge zu machen, von denen ich nichts wissen wollte.

Dabei bietet ein Keller diverse erregende Möglichkeiten für Männer:
– ein Versteck für Schnaps und andere leckere Spirituosen
– Alibi/Zufluchtsort für anonyme Süchte = Suchtbunker
– heimlich trinken, damit es zu Hause keinen Ärger gibt
– Pornohefte angucken und in der hintersten Ecke im Aldibeutel horten
– auf interessante Nachbarinnen warten und im richtigen Moment freundlich vor der Tür erscheinen
– Konserven nach Haltbarkeitsdatum sortieren, obwohl man den Schimmel schon fühlen kann
– gucken, ob noch alle Schrauben im Werkzeugkasten sind und ob der Bohrer noch einwandfrei funktioniert
– sich vom modrigen Kellergeruch berauschen lassen – der feuchte Duft nach Rost, Öl und abgestandener Farbe, sowie Terpentin tut der Nase gut
– Sammellager für kaputte Geräte, die auf den übernächsten Sperrmüll warten..oder noch länger, da Mann sich nicht trennen kann – hatte ja alles mal viel Geld gekostet
– den Keller als letzten Ort der Ruhe nutzen – denn nichts ist schöner, als von altem Kram umgeben zu sein, der vergessene Erinnerungen und Wünsche hervorlockt
Zudem machen sich Männer oft durch hustende Brunftschreie bemerkbar, um allen anderen Mitgliedern des Hauses und Gästen ihre Anwesenheit im Keller zu demonstrieren.

Wahrscheinlich war es genau einer dieser Gründe, warum ich meinen Nachbarn im Keller antraf.
Ich kam gerade vom Sport und hatte keine Lust auf sinnlose Gespräche, die meinem Niveau nicht entsprachen. Unter anderem das Thema: Wetterphilosophie für Anfänger. Der Schnee vom letzten Abend hätte jedenfalls für guten Stoff gesorgt, wenn ich 70 Jahre älter gewesen wäre. Das Wetter ist der zweitwichtigste Gesprächsstoff der älteren Generation, die den Alltag sowieso gemütlich zu Hause vorm TV oder im geselligen Wartezimmer beim Arzt verbringen. Oder im Keller. Manchmal habe ich den Eindruck, als würden sich viele Männer aus oben genannten Gründen im Keller besonders wohl fühlen.
Es gibt so viele Hobbymagazine, aber eines fehlt noch: ‚Faszination Keller – Eldorado für Männer‘.

Tatsächlich kam mein Nachbar prompt aus dem Keller, als ich an der ersten Stufe der Treppe ankam und mich schon fast in Sicherheit wiegte.
Mein erster Gedanke war: Oh nein, bitte nicht…Lass mich doch in Ruhe jetzt. Du siehst doch, wie scheiße ich gerade aussehe..und dass ich kein Bock hab..Also quatsch mich nicht an. Du hast sowieso keine Chance bei mir, falls du das denkst..
Geh weg, bitte. Bitte. Schschsch…

Danach sprach mich der Kellermann an, während ich in meinen schwitzigen Sportklamotten und durchgefroren vor ihm stand. Er schaute mich an, als würde er gar nicht sehen, dass meine Schminke verwischt war.
Selbstverständlich nahm ich seine Gesprächsaufforderung mit einem Lächeln entgegen und begrüßte ihn herzlich defensiv.
Ich:“Hallo.“
Kellermann:“Guten Tag! Na, Sie sieht man ja kaum.“
Ich:“Ja, viel zu tun, viel unterwegs, viel arbeiten……“
Kellermann:“Kommen Sie gerade von der Arbeit?“
Ich:“Nee..ich war unterwegs.“
Kellermann guckte mich prüfend von oben bis unten an und merkte:“Ach, Sie kommen vom Sport? Bei dem Wetter? Och Gott, Sie kleines Ding quälen sich so ab. Das haben Sie doch gar nicht nötig.“
Kellermann wählte also die Strategie mit den schmalzigen Komplimenten, damit ich mich ihm gegenüber mehr öffnete und mich naiver verhielt. Aber das zog bei mir nicht, weil er nicht mein Typ war.
Ich:“Das Wetter stört mich nicht, es gibt kein falsches Wetter…“
Da Kellermann nun spürte, dass das Gespräch keinen Zweck hatte und er nicht in mein Beuteschema passte, konnte ich mit meinem Fuß andeuten, dass unser Zusammentreffen nun beendet war.
Apart setzte ich meinen Fuß auf die Treppenstufe und kündigte unsere Verabschiedung an.
Ich:“Tschüß, schönen Tag noch! Ich muss jetzt los!“
Kellermann:“Danke, ebenfalls! Auf Wiedersehen, junge Dame!“
Danach wurde Kellermann kleinlaut, machte keine weiteren Anstalten und verzog sich nach unserer Verabschiedung wieder zurück in seinen Keller.

Zum Glück war unsere Begegnung nur kurz und ich hatte noch nicht einmal eine Ahnung, wie er hieß, da ich jedes Mal andere Männer im Keller traf und angenommene Pakete für mich immer von deren Ehefrauen abholte, die sich treuherzig in der Wohnung aufhielten. Ich war froh, endlich in meine Wohnung gehen zu können, die sich gleich über dem Keller befand.
Zum Schluss nahm ich noch ein verräterisches Indiz wahr. Denn als ich den vollen Beutel mit leeren Flaschen und Einweggläsern hinter der Eingangstür sah, wusste ich: Alles klar, Kellermann.

Mein Mann, das Tier

 

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Es ist morgens, mein Mann schläft noch, auf dem Fußboden vor dem Bett. Aber das ist mir egal, ich habe nicht das Bedürfnis, ihn liebevoll aus seinem Tiefschlaf zu reißen. Aber manchmal stehe ich mit dem falschen Bein auf und dann wird er wach, weil er meinen nackten Fuß im Mund hat.
Mein Mann darf gerne lange schlafen, umso weniger muss ich mich mit ihm beschäftigen und der Tag kann sehr lang sein, wenn man jemanden wie ihn an seiner Seite hat. Bedürfnisse habe ich sowieso keine mehr, was ihn betrifft, denn er ist einfach nur da. Nicht mehr und nicht weniger. Er ist da, um ihn zu versorgen, mit Nahrung und Schutz vor Kälte. Ansonsten nehme ich seine Anwesenheit kaum wahr. Es ist, als würde er mir unsichtbar um die Beine schleichen, ohne mich dabei zu berühren und völlig lautlos. Den einzigen Laut, den er von sich gibt ist Schnarchen, alles andere hat er bewusst verlernt, weil ich es so wollte und ihn nebenbei gut erzogen habe. Sein sinnloses Reden und seine ewigen Standardtexte haben mich sehr genervt, deswegen drohte ich ihm mit Fußtritten, wenn er noch einen Ton sagt.
Seitdem ist Ruhe. Seitdem ist schon fast 20 Jahre.

Meine Stube ist seine Hütte, in der er es schön warm hat und jeden Abend sein Futter auf den Tisch kriegt, hübsch angerichtet auf dem hässlichsten Teller, den ich habe. Er legt keinen Wert auf Ästhetik. Ich bereite ihm sein Essen zu, in 10 Minuten. Auf das Verfallsdatum nehme ich keine Rücksicht, er merkt eh keinen Unterschied und sein Magen hält alles aus. Selbst den größten Klumpen Gammelfleisch.

Für ihn sind Wärme und Essen sehr wichtig, mehr braucht er nicht, um glücklich zu sein. Jedenfalls waren das seine letzten Worte vor paar Jahren.
Hauptsache, warm, trocken und Frauchen, was ihm abends sein Essen auf den Tisch knallt, denn es gibt nur eine Mahlzeit am Tag, mehr ist nicht drin. Kein Geld und keine Lust. Mein Mann soll ja nicht zu sehr verwöhnt werden.
Am liebsten mag er das heiße Pfannenfett, welches ich ihm über sein Fleisch gieße, oder schütte. Er ist ein richtiger Allesfresser, mein Mann, welchen ich auch gerne Hund nenne. Viel anders kann man sein Dasein nicht bezeichnen, denn so verhält er sich. Er wird von einer Ecke in die nächste geschubst, wie ein unliebsamer Straßenköter, der völlig nass vom Regen ist. Umgeben von Tritten und Beschimpfungen. Er sitzt unbeachtet in der Wohnung, wenn sich das Leben um ihn herum tummelt. Alle lachen und er winselt in sich hinein, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Tapfer. Mein Mann schaut anderen beim Leben zu und beobachtet aufmerksam. Aber sein Leben ist vergessen. Er lebt einsam in einer Familie.

Hunde brauchen nicht viel und deren Ansprüche lassen sich mit denen meines Mannes am besten vergleichen. Leider ist es so. Mein Mann interessiert sich nur für Essen, Schlafen und Wärme. Wenn er eine Frau braucht, muss er nur den Fernseher anschalten. Ich bin schon lange nicht mehr seine Frau, sondern nur seine Versorgerin, weil er alleine nicht klarkommt. Selbst die Unterhosen muss ich ihm jeden Morgen raussuchen, denn er weiß nicht, wo sein Kleiderschrank ist. Eigentlich kennt er sich überhaupt nicht zu Hause aus.

Aber etwas ist dennoch anders an ihm, als bei richtigen Hunden: Mit dem Schwanz wedeln tut er nicht mehr. Wenn er spielen will, zeigt er das auf eine andere Art. Er leckt mein Gesicht ab, was ich nicht erwidere. Ich ekel mich davor. Wenn er Annäherungsversuche macht, setze ich ihn vor die Tür oder sperre ihn im Wohnzimmer ein. Früher hat er manchmal versucht, sich auf mich zu stürzen, aber damit war schnell Schluss, weil er dann Futterentzug bekam und über Nacht auf die Straße geschickt wurde. Sollte er doch zusehen, wo er blieb und aus leeren Mülltonnen fressen.

Mein Mann..er ist pflegeleicht, ich muss ihn nur einmal in der Woche in die Wanne schicken, meistens freitags, nach dem Gassi-Gehen (Einkaufen). Ich kaufe ein und er wartet im Auto.
Rasieren muss ich ihn nur selten, denn das gefällt ihm nicht. Er fühlt sich wohl, wenn ihm sein Gesicht zuwächst. Mir ist das ganz recht so, denn ich mag nicht so viel Zeit mit ihm verbringen. Es gibt Wichtigeres.

Vor 20 Jahren war alles noch anders, denn so lange kennen wir uns inzwischen.
Da gab es Gefühle, die mir jetzt schon seit Ewigkeiten fremd sind und an die ich mich schlecht erinnere oder mir nicht vorstellen mag, weil es absurd ist. Gerne würde ich mir frühere Photos anschauen, um das alles nachzuvollziehen, wobei ich jedes Mal feststellen muss, dass ich kein einziges Photo von ihm besitze. Dafür hat er einen ganzen Karton voll mit Bildern von mir.

Mittlerweile weiß ich, warum er schon so lange bei mir wohnt.
Mit der Frage verschwendete ich viele meiner wertvollen Gedanken.. Aber es stimmt, es gab mal eine Zeit, in der ich ihn irgendwie mal kurz geliebt habe und er mich auch. Damals waren wir so überwältigt von unseren übertriebenen Gefühlen, dass wir sofort heirateten, war ja auch so üblich. Betteln konnte er schon immer ganz gut, also ließ ich mich von ihn hinreißen. Die Menschen um mich herum setzten mich zusätzlich mit unter Druck, denn wer nicht gleich heiratete, wurde schief angeguckt. Eigentlich blieb uns gar nichts weiter übrig, als die Sache schnell hinter uns zu bringen. Wir heirateten ohne Gäste und ohne Feier, denn wir sahen das als Zeit- und Geldverschwendung an. Uns reichte die Urkunde, wo drauf stand, dass wir nun offiziell den gleichen Nachnamen haben.

Nun sitze ich hier mit ihm fest und bin enttäuscht, von dem, was ich mir ins Haus geholt habe. All meine Wünsche hat er mir verdorben. Er steht mir im Weg, auch, wenn er sofort geht, wenn ich komme. Wir leben aneinander vorbei auf einer 80 qm² Mietwohnung im tristen Plattenbau, wo die bröckelnde Fassade genau unser Eheleben widerspiegelt.
Die Freude und die Gefühle hielten damals nur kurz an, dann war alles weg und kam nie wieder.

Das einzige Gefühl, welches ich noch habe, ist das Gefühl, mich um ihn kümmern zu müssen, dazu bin ich als Frau schon fast verpflichtet. Ich habe ihn durch unsere Heirat sozusagen adoptiert und fest an mich gebunden. Weggeben kann ich ihn nicht mehr, dazu fehlt mir das Geld. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er ein neues Frauchen findet, was ihn gern hat. Niemand würde ihn haben wollen. Nur ich damals, weil ich gerade meine Tage hatte und völlig durcheinander war, was Gefühle anging.

Irgendwie tut er mir Leid. Deswegen bleibt er jetzt bei mir, ich muss ja nicht viel dafür tun, damit es ihm gut geht und eigentlich kostet er weniger Geld, als ein echter Hund. Das teure Markenfutter kann sich eh keiner leisten und Tierarzt ist auch teuer. Da habe ich es mit meinem Mann schon leichter, denn er hasst Ärzte und beim Essen stellt er keine Ansprüche, oder kann auch mal verzichten.
Nicht mal Streicheleinheiten braucht er, von denen hat er am Anfang ja genug bekommen. Ihm reicht seine Kuscheldecke, unter der er seinen täglichen Mittagsschlaf hält, die gibt ihm Wärme und paar von meinen langen Haaren hängen auch dran, dann hat er auch etwas Nähe von mir.

Aber manchmal gibt es Momente, da brauche ich meinen Mann doch und rufe ihn mit einem Appell herbei, bei Befehlen wird er hellhörig. Daraufhin kommt er sofort und steht fast hechelnd vor mir, denn er macht gerne etwas für mich, weil er dann ein bisschen Aufmerksamkeit von mir bekommt und vielleicht noch ein kleines Leckerli, im Sinne von Zigaretten oder Kaffee. Je mehr Zigaretten ich ihm gebe, umso schneller kann ich ihn durch einen neuen Hund ersetzen, den ich dann vielleicht länger lieben kann. Wenn es meinem Mann schlechter gehen sollte, werde ich ihn ins Tierheim bringen, dort gibt es gute Pfleger, die mehr Ahnung haben und besser mit ihm umgehen, wenn sein Leben langsam ein Ende nimmt. Ich möchte meinem Mann im hohen Alter einfach nicht mehr belasten.
Vielleicht kriegt er dort auch eine schöne Couch, denn unsere hat er über die Jahre schon ganz schön derb zugerichtet mit seinem Übergewicht und seinem Geklecker. Unsere Couch ist genauso alt wie er.
Und vernünftig essen, ohne, dass etwas daneben geht, konnte er noch nie.

Letztendlich gibt es nur eine Sache, für die ich meinen Mann einmal im Leben brauchte.. Kindermachen. Ohne ihn hätte das nicht geklappt. Damals wollte mein Mann viele Kinder machen, aber ich wollte nur eins. Da war er traurig.
Danach ließ ich meinen Mann kastrieren, damit er nicht mehr auf dumme Gedanken kommt und mich nicht ständig anspringt. Jetzt ist er lieb, so ganz ohne Hormone. Das gefällt mir und alle beneiden mich um mein harmonisches Leben mit meinem Mann, der zugleich mein Hund ist. Der alles macht, was ich ihm sage und der an Ort und Stelle ist, wenn ich ihn brauche. Jemand, der lebt, ohne zu geben (Ausnahme: Kind) und nicht viel nimmt, um zufrieden zu sein. Ich kann machen was ich will und er nimmt es so hin. Widersprechen ausgeschlossen, weil er gut erzogen ist. Dafür ist mein Mann aber ein guter Zuhörer. Wenn ich abends Besuch kriege, steht er an der Schlafzimmertür und lauscht. Am nächsten Morgen stellt er sich ans Fenster, springt raus und hängt sich dem fremden Besucher an die Fersen.
Das passierte einige Male. Bis die Polizei kam und ihn abführte. Ich fragte nicht, wohin.
Auf Wiedersehen, treuer Weggefährte.