Das 5 Minuten Date

 

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„Ich dachte, du wohnst in Warnemünde“, schrieb Alex.
Ich saß auf meiner Couch und schaute Nachrichten, als die Mitteilung als vibrierendes Glockenping eintraf. Normalerweise schaltete ich mein Handy meist auf stumm, um nicht genervt zu werden. Aber diesmal wartete ich auf Ablenkung, egal in welcher Form. Inzwischen war ich auf alles gefasst und der Unterschied zwischen guten und schlechten Erfahrungen verwandelte sich allmählich in neutrale Oberflächlichkeit. Eine Mischung aus großem Interesse und dem nötigen Abstand zur unnötigen Vorfreude. Denn letztendlich muss man sich auf nichts freuen, was im Herzen noch gar nicht existiert.

„Nee, aber fast“, antwortete ich nach ein paar Minuten. „Warum?“
„Na weil ich jetzt in Warnemünde auf dich warte. Hab die richtige Straße im Navi eingegeben, aber den falschen Ort. Und nun bin ich hier gelandet.“
Okay, das bedeutete spontane Planänderung.
„Na gut, ist nicht schlimm. Bin in einer Stunde in Warnemünde, falls du so lange warten willst.“
„Sehr gut, dann kann ich noch einige Dinge besorgen, mein Wagen ist leer.“
„Würde vorschlagen, wir treffen uns am Bahnhof. Okay?“
„In Ordnung! Bis später.“

Kurz darauf klingelte mein Handy wieder. Meine beste Freundin schickte mir ein Video von unserem letzten gemeinsamen Urlaub in Moskau, als ich vor Lachen kaum noch atmen konnte.
Sie schrieb: „Ich liebe dein Lachen, mein Herz! Du machst mich so glücklich!“
„Ich liebe dich auch, Süße“, schrieb ich grinsend zurück und freute mich.
Wir machten uns fast täglich Liebeserklärungen, das war normal.
Aber von meinem Blinddate erzählte ich ihr nichts. Irgendwie wollte ich nicht darüber reden. Weil ich noch selber nicht wusste, was ich davon halten sollte. Immerhin war der Typ nur zwei Jahre älter als ich. Das hieß, es war das erste Date mit einem Gleichaltrigen und entsprach absolut nicht meinem Schema. Aber ich wollte mal sehen, wie es ist.

Natürlich finde ich es immer besser, wenn man sich nicht zu Hause trifft.
Ich mag es nicht, wenn jemand in mein kreatives Revier eindringt und die Harmonie meiner Wohnung stört. Allerdings wollte ich es diesmal wagen und wissen, wie es ist, einen fremden Mann direkt in meiner Wohnung kennenzulernen. Einfach aus Neugier, Bequemlichkeit und um mir zu beweisen, wie extrem locker ich sein kann. Als Frau sollte man eigentlich auf solche gefährlichen Experimente verzichten. Immerhin kann man durch fremde Typen schnell umgebracht werden, falls man versehentlich seinen Mörder datet. Dennoch kamen mir solche Ängste nie ins Bewusstsein, weil ich nicht ängstlich bin und nicht Monika heiße.

Also schnappte ich mir noch ein paar Gummitiere und machte mich fertig. Zehn Minuten stand ich nachdenklich im Flur, weil mir die letzten Entscheidungen unglaublich schwer fielen: Welche Jacke? Welche Schuhe? Vielleicht sollte ich meinen Konsum endlich einmal einschränken. Viel zu haben macht das Leben nicht unbedingt leichter. Ich entschied mich für bequeme Strand-Schuhe und einer femininen Militärjacke, die ich erst eine Woche hatte. Die liebte ich sofort, weil sie unvernünftig teuer war.

Bevor ich aus dem Haus ging, fragte ich mich, ob man es mir ansah, dass ich innerhalb einer Woche ein Glas Nutella vernichtet hatte. Jeden Tag Nutella zwischen zwei Scheiben Weizenbrot mit Vollkornanteil. Meine ausgelaugten Fettzellen freuten sich bestimmt. Ich zog abrupt mein Shirt hoch, kniff mir in den Bauch und stellte beruhigt fest, dass meine Figur perfekt ist.
Danach plante ich trotzdem eine Detox-Woche mit viel Sport, um den ganzen Müll wieder aus dem Körper zu spülen. Ich kaufte mir die wichtigsten Detox-Produkte und war begeistert, was diese Dinge nach wenigen Tagen im Körper bewirkten. Ich fühlte mich besser und glücklicher, als sonst. Detox-Tee und Detox-Creme gehörten von da an zum Alltag dazu, obwohl ich nicht behaupten würde, dass es bei mir einen gewöhnlichen Alltag gibt.

Ich fuhr mit der Straßenbahn, weil ich keine Lust auf den Feierabendverkehr hatte. Außerdem brauchte ich mein Auto nur für die Arbeit und für die Insel, wenn ich mal einige Tage frei hatte.
In der Straßenbahn saßen einige Menschen, die auch ohne Feierabendverkehr gestresst wirkten. Vielleicht hatten sie nicht so tolle Arbeitsstellen oder Stress mit ihren Partnern oder waren mit sich unzufrieden. Wie auch immer. Beobachten mochte ich gerne. Die Aktionen auf meinem Handy beobachtete ich allerdings kaum. So kam es, dass ich in Warnemünde ankam und nicht wusste, nach wem ich eigentlich Ausschau halten soll. Ich suchte einen Fremden.

Mir kamen viele Leute entgegen und alle wuselten um mich herum. Dazwischen ein Mann, der mir gleich auffiel. Groß, mit Sonnenbrille, Mütze und schwarzem Parka. Ich sprach ihn nicht an, ärgerte mich über meine seltsame Schüchternheit und lief weiter. Immer noch auf der Suche nach Mr. Unbekannt, der Alex hieß.
Am Bahnhof stand niemand, der auf mich wartete.
Aber um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht zu genau hingucken. Es gehörte nicht zu meinem Talent, offensiv nach Personen Ausschau zu halten und zu suchen.
Es dauerte nicht lange, und der Bahnhof leerte sich wieder. Die Leute aus dem Zug tummelten sich auf den Wegen des Hafengeländes und strebten mit Essen in der Hand zum Wasser.
Ich ging woanders hin und setzte mich auf eine Steinmauer. Es war ziemlich kalt, der Wind zog durch meinen Parka und kroch unter mein sommerliches Blumenshirt. Ich fror so sehr, dass ich spürte, wie ich blass anlief und wieder dieses ungesunde Aussehen annahm, das durch die Nutella-Woche noch verstärkt wurde.

Mein Handy lag immer noch unbeachtet in der Handtasche. Als mir immer kälter wurde, stand ich auf, irrte verfroren zum Bahnhof zurück und landete dort auf einer Bank aus Metall. Die kältere Steigerung. Der nächste Zug kam und wieder stiegen zig Leute aus, die alle spazieren gehen und Fischbrötchen essen wollten. Viel mehr konnte man in Warnemünde im Frühling nicht machen. Essen, Shoppen und Wasser, das waren die Hauptattraktionen. Gefolgt von Kaffeetrinken und den beliebten Schlagerpartys im Sommer.

Dann schaute ich auf mein Handy.
Die letzten beiden Nachrichten von Alex waren zwanzig Minuten her.
„Schwarzer Parka.“
„Warte am Bahnhof auf dich!“
Okay, hätte ich vielleicht doch mal früher mein Handy benutzen sollen.
Ich schrieb: „Hab dich vorhin gesehen.. bin vorbeigelaufen..zu spät…wo bist du nun?“
Danach wartete ich auf seine Antwort. Er war eine ganze Weile online, las meine Nachricht, aber nichts kam. Seltsam.
Ich versuchte ihn anzurufen, aber die Computerstimme am anderen Ende meinte, dass er gerade nicht erreichbar wäre. Noch komischer. Zum Schluss sendete ich ihm eine altertümliche SMS und hatte somit alles unternommen, um Kontakt aufzunehmen. Aber keine Antwort.

Wollte er mich jetzt etwa verarschen? Ich fand das alles sehr merkwürdig. Aber dennoch störte es mich nicht besonders. Schließlich störte mich überhaupt nichts mehr. Ich nahm es so hin, wie es war. Was soll mich an einem Fremden stören? Diese anonyme Funkstille passte doch super zum Image eines Fremden! Der Krimi konnte beginnen. Aber mir wurde diese Situation schnell zu blöd.

Ich ging zum Ticketautomaten und kaufte die Rückfahrt, denn länger einsam frieren wollte ich nicht. Die Bahn fuhr in zwei Minuten und als ich mich auf den Weg dorthin machte, meldete sich Alex plötzlich.
„Sorry, mein Handy ist abgestürzt.“
Wie kann denn so etwas passieren, dachte ich mir. Welch ungewöhnlicher Zufall.
„Hmm, ich wollte gerade nach Hause, weil ich dachte, das wäre alles nur ein Scherz.“
„Waaaas? Quatsch…hatte am Bahnhof gewartet und als ich dich nicht sah, bin ich woanders hingegangen.“
Er schickte mir seinen aktuellen Standort, der sich in der Nähe befand. Trotzdem wusste ich erst einmal nicht genau, wie ich dort hinkam und lief in die entgegengesetzte Richtung. Navis waren nämlich nicht so mein Ding.
„Sitze draußen im Café.“
„Na gut, ich komme gleich.“
Das Café war nach einigen Orientierungsfehlversuchen schnell gefunden, aber ich wollte nicht über diesen menschenbesiedelten Vorplatz laufen und ihn irgendwo in der Menge suchen.
„Trink du mal deinen Kaffee aus, ich sitze an der Seite bei den Büschen.“
Ich fand es gut, dort zu sitzen und zu warten, was passiert. Sonst hatte ich mit Büschen ja nicht viel zu tun.

Nach einer Minute kam Alex schon die Straße entlang gelaufen und fand mich. Er lachte. War mein verlorener Anblick etwa so lustig?
Keine Spur von Aufregung bei mir, weil seine Sonnenbrille zu schwarz war und ich insgesamt nicht viel von ihm erkennen konnte, bis auf die Größe und seine Stimme, die ziemlich normal war. Er war schließlich erst dreißig. Was sollte ich also erwarten?
Alles war unauffällig und seine schwarze Mütze versteckte den Rest. Alles schwarz, bis auf die Jeans. Damit hatte er mit gewissen Branchen doch gar nichts zu tun.
Außerdem war er viel dicker angezogen, als ich. Konnte Mann eigentlich noch mehr übertreiben? Ich dachte immer, Männer wären nicht solche sensiblen Frostbeulen. Als er dann noch sagte, es ist ganz schön kalt und windig, rollte ich heimlich mit den Augen.

Wir gingen am Hafen entlang und endeten an der Ostsee vorm Leuchtturm. Sein Blick fiel gleich auf die Wassersportler, die seine vollste Aufmerksamkeit erregten. Alex war schließlich ein vielfältiger Abenteurer, der mit wenig Geld auskam und sogar auf ein richtiges Zuhause verzichtete. Das war ihm alles nichts, er wollte Freiheit und in den Tag hineinleben. Immer woanders sein, ohne richtigen Job und ohne Verpflichtungen. Außerdem war das Meer seine Leidenschaft. Alex war ein moderner Robinson Crusoe und somit wieder jemand, der völlig anders tickte.
Man denkt immer, man kennt alle Arten von Typen, bis man neu überrascht wird. Ich hörte zu, ohne mir ein Urteil zu bilden. Einfach nur zuhören mit keinen Zwischentönen im Kopf. Ich verhielt mich entspannt.
Bis er mir eine Frage stellte: „Und du so?“
„Ich bin deine Nicht-Wellenlänge“, antwortete ich knapp, weil mein Leben komplett anders war.
Daraufhin folgte ein Schweigen, das erst an einem Fischbrötchenstand wieder gebrochen wurde.
„Kannst du mir eine Sorte empfehlen? Du musst doch Ahnung haben, wenn du am Meer wohnst.“
„Nein, ich hab da keine Vorlieben. Ich esse alles, was aus dem Wasser kommt. Auch Muscheln und Mini-Hummer.“
Muscheln gab es am Stand leider nicht.
Alex guckte von links nach rechts und war sichtlich überfordert mit der Auswahl.
Dann nahm er ein geräuchertes Makrelenfischbrötchen.
„Und was möchtest du?“
„Nichts, danke.“
„Wie nichts?“
„Ich hab keinen Hunger, weil ich noch satt bin.“
„Wirklich nicht?“
„Nein, danke, hab vorhin zu Hause Mittag gekocht.“ Mein Mittag war eine Tüte Gummibärchen und zwei Kekse.
„Na gut..ich kann jedenfalls immer sehr viel essen und hab immer Hunger.“
Wie unterschiedlich Männer und Frauen doch ticken. Frauen sind Künstlerinnen in Zurückhaltung und Disziplin. Manchmal jedoch auch im Lügen.
„Willst du dich nicht hinsetzen beim Essen?“
„Nein, stört mich nicht, wenn wir laufen.“

Dann liefen wir einfach ohne Ziel und ohne Plan durch Warnemünde. Zusammen mit einer Menge Gesprächsstoff, trotz der Ungemeinsamkeiten.
Alex wollte gerne Kaffeetrinken und bevorzugte den besten Laden, den es gab. Er wollte den besten Kaffee und guckte sich jede Kaffeemaschine von draußen an.
Nach all der Sucherei setzten wir uns doch in ein recht einfaches Bäcker-Café. Dann nahm er endlich mal seine Brille ab. Ich hatte schon Angst, dass er sie nie abnehmen würde. Es gab schließlich keinen Grund, so undercover unterwegs zu sein.

Erst, als er die Brille abnahm, begann für mich das richtige Date. Er hatte so tolle Augen, dass ich nicht verstand, warum er sie so versteckte. Gerade, weil die Sonne an dem Tag gar nicht schien. Alex hatte ungewöhnlich strahlend blaue Augen. Fast so, als würde sich das Meer permanent darin befinden.
Ich bestellte einen schwarzen Kaffee und Alex einen Cappuccino.
„Mist, ich hab so gut wie nie Bargeld dabei“, gestand ich Alex, als ich nachguckte, wie viel Geld ich überhaupt mit hatte. Es waren 5 Euro.
„Ich bezahle sowieso alles, ist doch selbstverständlich.“
„Wollen Sie den Kaffee hier trinken, oder mitnehmen“, fragte die Frau, die neben Getränken auch Kuchen und andere Backwaren verkaufte.
„Zum hier trinken“, sagte ich fix, bevor Alex die aktivere Variante vorschlug. Denn ich hatte keine Lust, den Kaffee beim Spazierengehen im Wind zu trinken.
Alex nahm das Tablett mit den beiden Tassen und als wir den Tisch erreichten, floss die oberste Schicht meines Kaffees auf dem Tablett und umarmte den Boden der weißen Porzellantasse.
Sein Cappuccino hingegen blieb in Topform, denn der Schaum beschützte den wertvollen Inhalt.

Dann kam wieder diese Situation: Das intime Gegenübersitzen zwischen zwei Fremden. Oft erlebt, aber immer wieder unterschiedlich. Jeder Mann ist nicht gleich und schenkt mir diverse Erfahrungen im Bereich meiner persönlichen Männerpsychologie.
Ich konnte nicht anders, als Alex genau zu beobachten und starrte ihn regelrecht an. Vor allem seine Augen, die so toll waren mit den dunklen dichten Augenbrauen. Faszinierend! Diese Augen zogen mich an. Danach analysierte ich seine Mimik und Gestik, obwohl ich mir das langsam einmal abgewöhnen sollte, da ich mich nicht auf der Arbeit befand. Dabei möchte ich meinen Job so gerne heiraten.

Alex trank seinen Cappuccino, obwohl er noch heiß war. Dann stand Alex plötzlich auf und ging nicht zur Toilette, sondern holte sich einen Löffel, damit sich der Schaum besser essen ließ. Er stippte den Löffel in den Schaum und leckte den Löffel ab. Ich empfand das als interessantes Schauspiel und ließ meinen penetranten Blick nicht von ihm. Scheinbar hatte Alex auch kein Problem damit. Mein limbisches System hatte sich schon etwas auf Alex eingeschossen, denn ich fand ich einfach richtig toll, ohne es erklären zu können. Es war eben so. Plötzlich auftretende Gefühle unterliegen keiner Rechtfertigung.

Ich trank meinen Kaffee, der nicht so heiß war, wie ich dachte. Alex erzählte währenddessen von seiner letzten aufregenden Weltreise und von Kopi Luwak, den ich auch gerne mal trinken wollte.
Als ich sah, dass Alex mit seinem Cappuccino fertig war, trank ich meinen Kaffee umso schneller aus.
Alex musste lachen, als er feststellte, dass in Warnemünde nur alte Leute in Funktionskleidung herumliefen, das kannte er gar nicht. Und meist trugen sie diese Kleidung im Partnerlook.

Das Kaffeetrinken war unser kurzes Hauptdate. Innerlich fühlte ich mich zwar euphorisch, aber diese Euphorie sprudelte nicht über, sondern ebbte schnell ab. Alex passte nicht zu mir, meine Begeisterung für ihn lebte nur kurz. Es war komisch und ich merkte, wie sehr mich meine innere Schutzmauer im Griff hat und meine Emotionen immer mehr abschwächt, damit nichts zu stark für mich wird. Ich spürte diese Schutzmauer zum ersten Mal in ihrer vollsten Intensität und fühlte mich beschützt.
Alex zog seine Jacke an und ließ das Tablett einfach auf dem Tisch stehen, bis ich es nahm und es in die dafür vorgesehene Ablage schob. Als Gast kann man sich schließlich auch benehmen und selber den Tisch abräumen. Zumal wir uns auch nicht in einem Restaurant befanden.

Draußen war es immer noch windig und bewölkt. Nicht gerade mein Lieblingswetter.
„Ich muss noch mal zur Sparkasse. Ich brauche Bargeld“, sagte ich.
„Okay, danach können wir ja wieder zum Strand.“
„Gerne!“
Ich ging in die Sparkasse und Alex spielte draußen mit seinem Handy. Es war ein gutes Gefühl, wieder echtes Geld bei sich zu haben, als immer nur mit Kreditkarten unterwegs zu sein, obwohl es bequemer ist, weil man seltener nachdenkt.

Die Sparkasse war leer und geräumig. Ich schaute mich um und danach zu Alex, der beschäftigt war.
Dann sah ich noch einen zweiten Ausgang. Ich musste nicht lange überlegen, was ich als nächstes tun würde. Der zweite Ausgang rettete mich und ich schlich mich unbemerkt aus diesem weniger erfolgsversprechenden Dating-Verhältnis. Es handelte sich um einen einseitigen Kompromiss, dessen Folgen nicht weiter schlimm sein würden. Ich wollte nicht wieder mit Vollgas im nächsten Gefühlschaos landen. Vor allem lohnte sich dieses Chaos bei diesem chaotischen Typen noch nicht einmal. Außerdem war mir Alex bedeutend zu jung.

Ich suchte mir ein anderes Café zum Verweilen und hoffte, dass Alex mich nicht suchen würde. Aber da er Warnemünde eh nicht kannte, hatte er schon verloren. Ich bestellte mir wieder einen großen Kaffee und ein Stück Quarkkuchen. Mein Handy bekam natürlich keine Beachtung.
Im Café war nicht viel los, da die Saison noch nicht begonnen hatte. Deswegen konnte ich die Ruhe um mich herum genießen. Ich nahm mein Notizbuch aus der Tasche und schrieb die wichtigsten Gedanken, die mir in den Kopf kamen, wie gewöhnlich auf. Diese Notizen sind oft nützliche Bruchstücke, die mein Leben mit neuen Inspirationen füllen. Zumal ich auch nervös werde, wenn ich mein Notizbuch nicht dabei habe. Zu Hause hatte ich 184 volle Notizbücher, die sich seit meinem 9. Lebensjahr ansammelten. Ich hatte schon eine Menge Gedanken.

Was Alex jetzt wohl machte? Inzwischen musste er bemerkt haben, dass ich nicht mehr anwesend war und mir einen anderen Ausweg suchte.
Ich schaute kurz auf mein Handy, auf dem ‚Wo bist du?‘ stand. Zwar war es gemein, einfach abzuhauen. Aber ob man nun abhaut oder gleich sagt, dass man kein Interesse hat, ist doch das gleiche. Das Band zwischen zwei Fremden ist unverbindlich und ich wollte daraus nicht mehr werden lassen, weil ich wusste, dass es nicht gut ist. Alex ist ein Weltenbummler. Dem macht es sicher nichts aus, wenn er kein menschliches Souvenir mit sich herumtragen muss. Wenn er stets Unabhängigkeit wollte, so durfte er diese auch behalten. Bindung wäre eine Sackgasse mit Zaun auf seiner Reise.

Nach einer Stunde ging ich zurück zum Bahnhof und da die Züge ständig fuhren, musste ich auch nicht warten. Alex sah ich nirgendwo. Wahrscheinlich fuhr er zu anderen Freunden, da er überall jemanden kannte, der ihn aufnahm und sich freute, ihn zu sehen. Schließlich war er selten in Deutschland. Im Zug war ich wie erstarrt, da mein Zustand immer noch vage zwischen Begeisterung und Ablehnung pendelte. Wenn aus zwei extrem gegensätzlichen Gefühlen ein Gefühl wird, dann ist es meistens die feine Apathie. Eine gute Lösung, um mit emotionalen Widersprüchen klarzukommen und um wieder zu sich zu finden. Apathie macht alles ein wenig einfacher, da man Dinge so hinnimmt, wie sie sind und oft anfängt, zu träumen.

Als ich zu Hause war, schmiss ich mich auf die Couch, lag minutenlang einfach so da und schaute mir das surreale Ölbild mit den Schafen an. Das drückte meine Stimmung immer perfekt aus, da es nach meinen Vorstellungen gemalt wurde.
Danach schaute ich mir einen Film an und freute mich mit einem Glas Champagner auf den Rest des Abends.
Alex schrieb: „Was ist denn los mit dir? Geht’s dir gut? Was machst du?“
Dann schaute ich den Film weiter, ohne weitere innere Regung und ohne Antwort. Meine Konzentration galt nur dem Film, der war spannender und wirkte bei mir besser, als Alex.
Anschließend machte ich noch ein bisschen Bauchtraining und ging duschen. Ich verblieb eine ganze Weile im Bad, da ich regelmäßig einen Wellnesstag mit Komplettprogramm einlegte. Gerade nach dem Date mit Alex war das auf jeden Fall nötig.
Als ich im Bett lag, beschloss ich, Alex zu antworten, damit er sich keine Sorgen machte.
„Mein Herz ist woanders“, schrieb ich, machte die Augen zu und schlief bald darauf ein.

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Ich wisch dich weg

  
Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich Dating immer mehr zum Trend entwickelt. Zum oberflächlichen Trend, in dem es kaum noch um echte Gefühle geht, sondern um ein knallhartes Auswahlverfahren, welches durch spezielle Apps verstärkt und erleichtert wird. Der Slogan ‚…wisch und weg‘ bekommt dabei eine ganz neue Bedeutung. Wenn ein Bild mit einem Mann erscheint, habe ich die Wahl, was als nächstes passiert. Wer mir nicht gefällt, wird unliebsam weggewischt, als ob es sich dabei um ein Objekt handelt und nicht um einen Menschen. Es ist, als würde man jemanden in die stinkende Mülltonne schmeißen..minderwertige Ware, sozusagen. Ignoranz. Oder der Gedanke: Hoffentlich meldet der sich nicht zurück. Gefällt mir hingegen jemand, wird er angeklickt und als grünes Häkchen in den Dating-Warenkorb gelegt. Oder in der Merkliste für später gespeichert. Immer nach Reihenfolge, da man nicht mehrere Dates gleichzeitig haben kann. Dann heißt es: Abarbeiten. Die richtig interessanten Leute zuerst und danach die, die sympathisch sind oder in echt richtig gut aussehen könnten, denn Bilder täuschen natürlich oft. Zumindest bei Frauen. Männer haben mehr Talent, sich auf Selfies authentischer darzustellen, da sie es einfach zu kitschig finden, die Bilder danach mit verschiedenen Filtern aufzubessern. 
Wie man sieht, könnte man Dating via App ein bisschen mit Shopping vergleichen. Kostenlos oder auf Kosten der Gefühle des anderen oder der eigenen Gefühle, sofern sich etwas entwickelt und Enttäuschung durch einseitiges Verknalltsein droht. Das kann alles vorkommen und es gibt zig Varianten, wie es nach einem Date weitergeht. 
Aber kann sich überhaupt etwas entwickeln, wenn man immer die Hoffnung hat, noch jemand Besseren zu finden?
Ich denke, dann würde man ewig suchen oder nie richtig glücklich sein, mit dem, den man gerade hat.
Allerdings können Dating-Apps tatsächlich Hoffnungen aufrechterhalten. Schließlich melden sich jeden Tag genug neue Leute an und dann geht das Klick-Auswahlverfahren von vorne los. 
Wisch – wisch – wisch – klick – wisch – wisch – wisch ….
Stellt sich die Frage: Was macht man mehr – klicken oder wischen?

Langweilige Arschkriecher

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So sind Männer am schlimmsten. Für mich.

Ich schaue auf mein Handy. Ein Blick genügt, um es genervt wieder in die Hosentasche zu stecken.
Schon wieder fünf neue Nachrichten, obwohl ich gerade mal vor drei Stunden geantwortet habe!
Es sind Antworten auf immer die selben Fragen. Und meine Antworten auf seine Fragen ändern sich auch nach drei verdammten Stunden nicht gravierend.

Um einige beliebte Beispiele zu nennen:

‚Na, wie geht’s dir?‘
‚Was machst du gerade?‘
‚Bist du immer noch auf Arbeit?‘
‚Was machst du nach der Arbeit?‘
‚Schläfst du schon?‘
(-> situationsbedingte Frage, wenn ich spät abends nicht mehr antworte, obwohl ich selbstverständlich noch wach bin, da ich erst sehr spät ins Bett gehe)

Was sollen all diese belanglosen Fragen?
Es sind Fragen von einem Kerl, den ich eigentlich kaum kenne. Aber er tut alles dafür, um mich besser kennenzulernen und er tut es auf die anhängliche Art, die ich nicht leiden kann.
Ich hingegen habe ihn längst durchschaut, ohne viele Fragen stellen zu müssen. Und trotzdem bin ich mir sicher, ihn inzwischen bestens zu kennen.
Ein Mann aus Glas. Ich muss ihn nur anschauen, um das Wichtigste zu wissen.

Wie es mir geht, ist oft undefinierbar. Zwischen gut und schlecht ist alles möglich.
Aber ich mache fast jeden Tag die selben Dinge.
Nämlich 12-14 h arbeiten, und mich nebenbei um Hobbys und Freunde kümmern.
Deshalb bekommt er jeden Tag die selben Antworten von mir. Nur er checkt es nicht. Er checkt nicht, dass ich Ziele und Pläne habe, die ohne einen Mann genauso gut funktionieren. Das nennt man Unabhängigkeit.
Das Beste an der Sache ist, dass wir nicht mal ein Paar sind. Er hat nicht das Recht, mich mit seiner Nähe und seiner Neugier zu bedrängen.
Er ist wie ein Teddybär, der geknuddelt werden will. Am besten auf der Couch vor dem Fernseher. Mit einer Tüte Chips und einer Cola.
– Ohne mich.

Er passt genau in die Schablone: Liebevoller Langweiler, der eine durchgeknallte Frau braucht, um sich nicht mehr zu langweilen.
Vor allem spielt er sich wie ein verklemmter Kumpel auf, der bei dem Wort ‚Sex‘ gleich rot anläuft, weil es ihm peinlich ist, darüber zu reden.
Geht gar nicht, da kann ich nur verachtend den Kopf schütteln.
Kuscheln statt Sex? – No way.
Ich bin nur sein platonischer Zeitvertreib, damit sein Leben wieder ein bisschen mehr Sinn macht.
Mein Leben macht auch ohne ihn Sinn und ich bin mir nicht sicher, wozu ich ihn überhaupt brauche.

Er macht auch jeden Tag das Gleiche – sich langweilen, was sonst.
Weil er keine gescheiten Hobbys hat und seine Freunde anscheinend auf Abstand gehen, wenn er nicht gerade auf deren Hochzeiten eingeladen wird.
Warum wohl?
Vielleicht weil er nervt und alleine mit sich nichts anfangen kann?
Er hat kein eigenes Leben, das ist das Problem.

Ich finde es schlimm, wenn jemand mit sich alleine nicht klarkommt und gar nicht weiß, was er vor lauter Langeweile tun soll. Für mich gibt es eigentlich nichts Schlimmeres, als solche Menschen. Leider gibt es viele von denen und ich akzeptiere es, aus der Ferne betrachtet.
Und wenn es sich dabei um Männer handelt, ist das noch viel schlimmer.
Ist doch bescheuert, wenn Männer bei ihrer Freizeitgestaltung auf das Mitwirken von Frauen hoffen und auf nette Worte warten.
Andersrum wäre es, meiner Meinung nach, deutlich spannender.

Wäre er ein ignorantes Arschloch, würde er bestimmt etwas mehr Beachtung von mir kriegen.
Mit Provokation und Rebellion könnte er mich mehr beeindrucken.
Und natürlich sollte er einen interessanten Job haben und so gut wie nie erreichbar sein.
Das wären für mich sehr zufriedenstellende Umstände.

Also: Wer mich haben will, der sollte mich lieber in Ruhe lassen.
Oder abwarten, bis ich konkrete Wünsche äußere oder aus Eigeninitiative anzügliche Annäherungsversuche mache.
Alles andere zieht bei mir nicht.