Sehnsucht (Oktober 2013)

Ich sitze fast wie erstarrt und still in meinem Zimmer. Es ist Abend und ich bin allein. Das einzige Geräusch ist der Regen, der gegen das Fenster schlägt. Mein Blick fällt auf einen großen Stapel Zeitungen, die in meinem Schrank ungeordnet aufeinander liegen. Wenn ich auf das Datum schaue, überkommen mich Wehmut und Sehnsucht. Die Zeitungen sind alt, aber wenn ich darin blättere, könnten sie von heute sein. Jedes Bild ist mir bekannt, kein Text ungelesen.

Das Zimmer ist auf einmal gefüllt mit Melancholie und gemischten Gefühlen. Gefühle von heutigem Zweifel und früherer Vorfreude, sowie Glück. Es gab Zeiten, in denen alles perfekt schien. Diese Zeiten liegen heute in Scherben in der Vergangenheit und existieren nur noch in dunkler Erinnerung.

Wird es diese Zeiten je wieder geben – zwar in anderer Form, aber vielleicht ähnlich? Ich werde nachdenklich. Schwer, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Nichts wird wieder so, wie es mal war. Veränderungen kommen, bleiben und gehen. Nie wieder wird Vorfreude so sein, wie sie einst war, die Enttäuschungen der Zeit hat sie vertrieben.

Und wo ist die Unbeschwertheit, die mich stets begleitet hat? Auch sie hat sich im Laufe der Erfahrungen schleichend verabschiedet.

Draußen ist es nass, kalt und bunt. Der Herbst steht vor der Tür. Die Jahreszeit, die trüben Gefühlen die Tür öffnet und sie traurig begrüßt. Ich bin gerne allein und genieße es, mich in meiner Sehnsucht nach dem Vergangenen zu suhlen und alte Jahre wieder aufleben zu lassen.

Eine einzige Kerze brennt nur noch, die anderen sind bereits abgebrannt. Um mich herum ist es halbdunkel, aber warm.

Meine Gedanken wechseln zwischen gestern, heute und morgen. Alles ist möglich. Nur ich entscheide in welcher Realität ich leben möchte und was ich will.

Meine Entscheidung ist: Loslassen und mit einem Lächeln durch den Regen und durch die Pfützen zu springen. Durch das Herbstlaub zu rascheln und mit dem Moment eins zu sein.

Die Kerze erlischt mit einem Hauch, das Zimmer wird dunkel. In mir kehrt Frieden ein, Zweifel verschwinden in der Dunkelheit und verstecken sich. Es liegt an mir, ob ich sie morgen suchen möchte, um sie dann erneut in mein Leben zu holen.

Ich werde müde und schaue im silbernen Mondlicht an die runde verzierte Deckenlampe meiner Oma. Draußen bellt ein Hund in der Nacht, während ich in dem alten Gäste-Bett liege und auf meine Eltern warte, die noch spät in der Küche sitzen und sich mit meinen Großeltern über alte Zeiten unterhalten.

Ich wünschte, die Zeit würde stillstehen oder wiederkommen. Oder wird es eine andere, neue Zeit geben, die dieser ähnelt? Läuft das Leben nicht in einer Endlosschleife, in der sich alles nach einer Weile ähnlich wiederholt?

Der Gedanke lässt mich hoffen und ich werde müde.

Dead Nico

Nico

Eine kurze dramatische Abhandlung über meinen verstorbenen Hamster.

Im Alter von 8 Jahren wusste ich schon, wie man spannende Geschichten schreibt.

Eventuell ein kleines bisschen makaber.

Unter blauem Himmel

Manchmal ist das Leben mehr Schein als Sein, genau wie bei Caro: Sie war ein scheinbar lebensfroher Mensch, der gern lachte und unangenehme Situationen mit einem lässigen Achselzucken wegsteckte, und ein Mensch, der Herzenswärme ausstrahlte und jeden damit einhüllte. Sie war eine starke Frau, die selbstbewusst war und ihre kindliche Neugier nie verloren hatte. 
Mit ihren goldblonden Haaren, den frechen grünen Augen und ihren vollen kirschroten Lippen zog sie oft die Blicke auf sich.
Wer würde daran denken, dass sie ein dunkles Geheimnis hatte, welches mit tiefster Traurigkeit gefüllt war?
Als Caro an jenem Morgen aufwachte, weil die Sonne sie weckte, spürte sie die pure Lust aufs Leben. Durch das offene Fenster kam ihr der Geruch von frisch gemähtem Gras entgegen und das Gezwitscher der Vögel, die in den Apfelbäumen saßen. Es war ein erfrischender Frühlingstag im Mai. Caro setzte sich auf die Fensterbank, atmete die Luft ein und sog alle Eindrücke tief in sich auf. Der perfekte Tag für einen Neuanfang, denn Caro wusste, dass nur Veränderungen helfen.
Ihr war bewusst, welch Anblick sich in ihrer Küche bieten würde. Eine mit Geschirr überfüllte Spüle. So viel Geschirr, als hätte sie Freunde zum Essen eingeladen. Caro schaute sich in der Küche um und war entsetzt, als sie das Ausmaß ihres seelischen Hungers sah, denn sie litt an regelrechten Fressanfällen, wenn sie traurig war und sich innerlich leer fühlte. Sie stopfte Lebensmittel maßlos in sich hinein und ließ die leeren Verpackungen danach unbeachtet in der Küche liegen. Auf dem Herd stand noch ein Topf mit geronnenem Pudding, den sie kochte, obwohl sie längst satt war. Aber ihr seelischer Hunger konnte kaum befriedigt werden.
Im Küchenschrank stand der geliebte Schokoaufstrich, auf den sie morgens nie verzichten konnte. Sie nahm ihn, zögerte kurz und schmiss ihn entschlossen in den Müll, als ihr Blick zum letzten Mal auf die Kalorienangaben fiel. Sie hatte alle Zahlen und Zutaten im Kopf und trotzdem kamen die Fressattacken unkontrolliert über sie. Nun war sie bereit, einen Schlussstrich zu ziehen, denn jeder Tag konnte ein Neuanfang sein.
Caro stellte ihre Wohnung völlig auf den Kopf, räumte auf und entfernte alles, was ihr nicht guttat.
Danach ging sie einkaufen und füllte ihre Küche mit Vitaminen. Der erste Schritt war getan. Caro war glücklich und stolz.
Sie machte einen erholsamen Spaziergang in den Park und setzte sich auf eine Bank neben einen Blumenkübel mit weißen Rosen.
Die Rosen lösten Kindheitserinnerungen in ihr aus. Früher war sie mit ihrem Vater oft im Park und sie hatten viel gemeinsam unternommen, wie auch das Bootfahren im Sommer. Sie hatten immer großen Spaß, als sie abends bis zum Sonnenuntergang am See grillten und die Grillen zirpten.
Caro hatte ihren Vater damals sehr geliebt, er war etwas Besonderes für sie und er zeigte ihr, wie schön das Leben war.
Alles änderte sich, als eines Tages dieser Anruf kam. Ein Anruf mit der Nachricht, dass ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Das hatte Caro nie verkraftet. Als Kind konnte sie tagelang nichts essen und zog sich zurück. Als sie sich an die Sprüche ihres Vaters und an seine sprudelnde Lebensfreude erinnerte, rappelte sie sich jedoch bald wieder auf. Ihr Vater hatte immer gesagt: „Niemand soll hungern und frieren“, und Sätze wie: „Essen ist Liebe“. Denn ihr Vater war ein Genussmensch, der alles genoss, vor allem aber das Leben.
Seitdem  versuchte sie, ihr Leben mit Essen zu füllen, denn das gab ihr Wärme und das Gefühl von Liebe, wenn sie sich traurig und allein fühlte. Besonders warme und süße Mahlzeiten vermittelten ihr für kurze Zeit Wohlbefinden. Nach dem Essen kamen meist die nagenden Schuldgefühle, weil sie wusste, dass sie viel zu viel gegessen hatte. Oft fühlte sie sich danach voll und hässlich. Der Magen war gefüllt, aber ihre Seele war es nicht. Irgendetwas fehlte – nur, was genau? Es konnten viele Dinge sein.
Caro rief ihren Arzt an und vereinbarte einen Termin, um mehr Klarheit in ihr Leben zu bringen und den Ursachen auf die Spur zu kommen. Danach  pflückte sie vorsichtig eine Rose ab, stand auf und ging zum See, wo sie sich ein kleines Holzboot vom alten Bootsverleih mietete. Sie paddelte langsam auf den See hinaus und genoss das erlösende Gefühl, frei zu sein. Denn heute begann ein neues Leben, in ihrem Boot auf dem Weg aus der Vergangenheit. Caro nahm die Rose und ließ sie auf dem See sanft davontreiben, denn ihr Vater hatte Rosen geliebt. Caro schaute hinauf in den Himmel und war glücklich. Ihr Vater wird in ihrem Herzen weiterleben und ihre Seele nicht mehr mit Trauer erfüllen.