Kapuzi-Pause

Kapuzi-Pausen waren die Pausen, die mich auf der Busreise am meisten nervten.
Was Kapuzi überhaupt heißt?- Kapuzi = Kaffee, Pullern, Zigarette.
Die drei häufigsten Aktivitäten von Reisegästen im Busfahrerjargon.

Während alle bei der nächsten Gelegenheit wie verrückt zum Klo rannten, wusste ich mit der Zeit nichts anzufangen. Saß im Bus, schaute aus dem Fenster oder stand draußen im Abseits des Geschehens.
…Ich musste nicht zur Toilette oder weigerte mich, zu müssen.
…Ich wollte keinen Kaffee und trank sowieso nichts. Vermeidungsverhalten, um bloß nicht zur Toilette zu müssen.
…Ich rauchte nicht, sondern kaute auf harten vegetarischen Lakritzdreiecken, die an den Zähnen klebten. Meine Ersatzbefriedigung gegen Langeweile.

Außerdem schaute ich den anderen geduldig dabei zu, wie sie sich liebevoll um ihre Grundbedürfnisse kümmerten.
Sie standen kontaktfreudig in langen Reihen vor den Toiletten und tranken danach einen Becher starken Maschinen-Kaffee, um dies bald wieder tun zu können.
Anstehen. Pullern. Trinken. Warten. Pause.
Der Bus hielt alle zwei Stunden, ein perfektes Blasentraining für all die älteren Damen. Hatte der Busfahrer das nicht gut geplant? Ihn selber sah ich nie auf der Toilette. Mir fiel generell auf, dass sich die Männer weniger um die Toiletten drängelten und sich lieber die Beine an der frischen Luft vertraten, auch wenn es nur auf einer Stelle vor dem Bus war. Irgendwie waren sie toilettenmäßig einfach besser trainiert, als die Frauen. Ihnen war es wichtiger, sich mit dem Busfahrer über technische Details zu unterhalten und fragten ihn, ob es schwierig war, auf der linken Straßenseite zu fahren. Die Männer waren fasziniert von seinem Können, den Bus seitenverkehrt zu beherrschen.
Der Busfahrer erntete viel Anerkennung und ließ sich davon abhalten, zwischendurch ein bisschen Privatsphäre zu genießen.

Mehrmals wagte ich es dennoch, mir die Toiletten genauer anzuschauen. Machte aber gleich wieder kehrt, wenn es nicht so war, wie ich es mir wünschte. Ich wünschte mir Ruhe und Einsamkeit.
Die quackelnden Warteschlangen vor der Tür machten mich nervös, obwohl ich sie in der Klokabine gar nicht sehen konnte. Aber ich hörte das unruhige Schaben ihrer Schuhe auf dem matten Fliesenboden, ihre wirren Stimmen und das Rascheln von Papier oder das Klirren der Gürtelschnalle in der Nachbarklokabine.
Mann, warum konnten diese Räume nicht völlig geschlossen sein? Dieser Schlitz unten am Boden machte mich wahnsinnig. Ich bekam alles mit, was nebenan geschah, sah bewegende Schatten und konnte mich dabei nicht mehr auf mich konzentrieren. Schlimm.
Zudem kam ich mit dem Druck nicht klar, dass alle Frauen vor der Tür darauf warten, dass ich ENDLICH fertig war, nur damit sie ihren bohrenden Strahl schnell ins Klo schießen konnten. Was ich unter diesen Umständen, wie Hektik, niemals konnte.
Ich hasste öffentliche Toiletten! Und noch viel mehr, wenn alle Frauen aus dem Reisebus zur selben Zeit pullern mussten.

Deswegen waren diese Kapuzi-Pausen nicht mein Ding. Für mich waren es Pausen des Verzichts und des Leidens. Die Pausen waren zu kurz, um als Letzte in absoluter Stille aufs Klo zu gehen. So musste ich weiterhin auf die perfekte Gelegenheit warten.
Fast alle Frauen hatten es geschafft, an jeder schottischen Raststätte erfolgreich ihren Kaffee auszupullern. Sie nahmen jede Klobrille mit.

Klar trank ich auch gerne Kaffee. Aber nicht, um anschließend in gestörter Umgebung aufs Klo zu müssen. Die damit verbundenen Strapazen waren es mir nicht wert.
Und klar rauchte ich auch ganz gerne mal. Nur leider hat es Nikotin im ungünstigsten Fall an sich, ebenso den Harndrang zu fördern.
Tja.

Der fürsorgliche Busfahrer sorgte in den Mittagspausen für Verpflegung, indem er Dosensuppen und Würstchen warm machte. Dazu gab es eine Scheibe Toastbrot aus Vollkorn. Klang eigentlich ganz gut. Er bot alle möglichen Suppen an und ich dachte, dass mir eine Kartoffelsuppe vielleicht ganz gut tun würde. Ich bestellte sie vorher für 2,50 €. Aber als ich sah, wie die anderen gierig mit ihrem Essen abmaschierten, überlegte ich es mir sofort anders und stand verzichtend am Straßenrand wie ein bockiges Kind. Die anderen guckten mich fragend an, sagten aber nichts. Mir war klar, was sie dachten: Die Jugend ist verwöhnt und mäkelig. Von Vegetarierin erwähnte ich erst gar nichts. Die anderen taten so, als würde ihnen der Billigeintopf in der sterilen Plastikschale schmecken. Wahrscheinlich war es auch so. Alles wie zu Hause. Oder sie hatten zu großen Hunger vom langen Sitzen.

Diese Kapuzi-Pausen machten mich unglücklich.
Für die anderen wiederum waren sie eine Erlösung, sie wirkten danach meist deutlich entspannter, als ich. Aber ich konnte damit leben, war ja meine Schuld, dass ich mich so ‚verklemmt‘ und kompliziert anstellte.

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Anfangsende des Urlaubs

Heute vor genau zwei Wochen ging es los. Die langersehnte Reise nach Schottland, auf die ich knapp ein Jahr wartete. Dank meiner Lebenserfahrung wusste ich, dass die Dinge, auf die man sich am meisten und am längsten freut, fast sofort wieder zu Ende sind.
Deswegen setzte ich den Anfang und das Ende gleich auf eine Stufe.
Am Tag der Abreise wusste ich, dass ich viel zu schnell wieder zu Hause sein würde, obwohl ich acht volle Tage vor mir hatte. Acht Tage sind viel. Das merkt man besonders, wenn man täglich zur Arbeit geht.
Im Urlaub sollte man jeden einzelnen Moment bewusst auskosten, denn dort tickt die Zeit anders.

Meine Taschen waren rechtzeitig gepackt. Bemüht, nur das Nötigste einzupacken, denn die Tasche würde nach dem Urlaub doppelt so schwer werden. So etwas sollte man vorher bedenken. Man braucht genug Platz für landestypische Andenken, Whiskey-Flaschen haben auch ihr Gewicht.
Ich hatte eine bescheidene Teenie-Reisetasche, einen süß bedruckten Beutel als Handgepäck für die Nacht auf der Fähre und meine Handtasche, in der sich reichlich wichtige Dinge befanden. Natürlich hatte ich wie immer nichts vergessen.

Die Reise ging erst um fünf nach Mitternacht los. Deswegen teilte sich meine Aufregung am Tag in kleineren Portionen auf, gut dosiert.
Eine Stunde vor der Abreise war Schluss mit dem Frieden. Ich konnte nicht mehr still vor dem Fernseher sitzen und zog meine neuen Schuhe an, die ich mir am Nachmittag noch spontan kaufte und darüber sehr glücklich war. Sie hatten einen kleinen Absatz und übertrafen meine langweiligen Sneakers, die ich im Sommer noch unentbehrlich fand. Nun hatten sie schon ihren dritten Nachfolger.

Die Abreise sollte bequem per Haustürabholung stattfinden, so war es vereinbart. Eine halbe Stunde vor dem Termin stand ich samt Gepäck vor der Haustür und war angetan von der milden Nachtluft. Kein Hauch Wind, eine laue Spätsommernacht im September.
Ich erwischte mich dabei, wie ich im Minutentakt auf meine Uhr schaute. Warten war nicht unbedingt meine Stärke, sondern eher Ungeduld und Nervosität.

Die Straße war leer und es regte sich nirgendwo etwas um diese Zeit. Auch um Punkt Mitternacht und zehn Minuten später nicht. Meine Ungeduld wuchs und ließ mich bald zur hypochondrischen Drama Queen werden, die nach Gründen für diese Situation suchte.
Was war, wenn sie mich vergessen hatten? Oder die Adresse nicht gefunden wurde? Hatte ich mich vielleicht im Datum geirrt? Warum kam dieser verdammte Zubringermensch nicht? Was war hier nur los?
Hatte der etwa kein Navi? Vielleicht ein Unfall, der die Straßen versperrt?
Oh Mann, ich wurde irre vor Angst, in Vergessenheit geraten zu sein. Schließlich hatte ich mich so auf den Urlaub gefreut, der konnte jetzt nicht platzen! Auf gar keinen Fall! Mir fiel ein, dass solche Vorfälle schon vorkamen. Leute freuten sich auf ihren Urlaub und standen plötzlich vor dem Nichts. Alles umsonst.

Ich starrte dauernd auf die Straße und beobachtete jedes Licht, das in der Ferne erschien und beim Abbiegen wieder erlosch. Das konnte doch alles nicht wahr sein, denn ich verließ mich strikt auf Pünktlichkeit. Verspätung erwartete ich höchstens von der Bahn.
Es fuhren paar Autos an mir vorbei. Jeder auftauchende Scheinwerfer erweckte neue Hoffnung und zerstörte sie gleich danach.
Langsam bekam ich schlechte Laune und regte mich über die Unzuverlässigkeit seriöser Unternehmen auf. Wie konnte das nur sein, was erlauben die sich und so weiter.
Als ich schon fast aufgab und den Urlaub gedanklich halb hingeschmissen hatte, blitzten neue Scheinwerfer auf, die sich verdächtig langsam näherten. Es konnte sich nur um ein Auto handeln, das sich hier nicht auskannte. Als es zögerlich immer näher kam, erkannte ich den Kleinbus und war überglücklich! Ich winkte ihm wild zu.

Ein äußerst temperamentvoller Mann mit polnischem (oder italienischem?) Akzent sprang aus dem Wagen und hievte das Gepäck mit Schwung in den Kofferraum.
Endlich, endlich, endlich! Ich freute mich und begrüßte die anderen Mitreisenden.
Nach dem anfänglichen Schock konnte die Reise beginnen. Eine Reise durch die Nacht, in der ich schon nach einer Stunde die erste Reisetablette gegen Übelkeit schlucken musste. Ohne Wasser, denn das hatte ich vergessen.

Wenn ich nun daran denke, dass all die Freude und Erlebnisse schon zwei Wochen her sind, wird mir komisch. Wo ist die Zeit geblieben?
Sie ist tatsächlich so schnell vergangen, wie ich es hervorgesehen hatte. Schade, dass das Leben keinen Slow-Motion-Modus hat.

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