Inkognito Nachbarn

Da stehen sie, genau vor meiner Tür und tratschen. Zwei ältere Damen die sich im hörbarem Flüsterton auf dem Hausflur miteinander unterhalten und die Pausen mit einem herzlichen Lachen füllen.
So, wie es die Leute früher im Dorf eben taten. Das redselige Verhalten der Frauen ist geblieben, nur findet dieses emsige Gerede heute in moderner Umgebung statt. Nämlich vor meiner Tür in einem Mehrfamilienhaus mit hallenden Betonwänden.

Ich möchte eigentlich gar nicht wissen, worum es geht.
Aber die Neugier treibt mich doch dazu, kurz an der Tür zu lauschen und durch den Spion zu gucken. Die Gesprächspartner wechseln von Woche zu Woche. Mal eine Nachbarin von oben oder mal die adrette Dame von nebenan.
Meine Nachbarn haben eine Gemeinsamkeit – sie alle sind Rentner.
Aber ihre Gesprächsthemen ähneln sich jedes Mal.
Meist geht es um den Untergang der gesitteten Jugend, neue Häuser, Bluthochdruck/Diabetes/Medikamente und tote Leute, die frisch verstorben sind. Und natürlich geht es um Krankenhäuser.
Oder es geht um mich, da ich der Dorn in diesem verblümt betagten Haus bin.
Vor allem sind meine Bekanntschaften der Fokus ihrer abendlichen Fensterrunde. Die sind nämlich spannender, als Rentner-Krimis, wie z.B. die Lindenstraße, Rosamunde Pilcher und der Bergdoktor.

Denn den alten Herrschaften entgeht nichts, so lange sie den ganzen Tag hinter ihrer zugezogenen Küchengardine am Fenster sitzen und freie Sicht auf die Eingangstür haben. Im Sommer sind sie mutiger und stützen sich auf ihrem ergonomisch geformten Ellenbogenkissen weit aus dem Fenster, um auch die anderen Eingangstüren im Blick zu haben.
Da wird keine Rücksicht auf Privatsphäre genommen. Nein, sie mischen sich aus ihrer Beobachterperspektive ordentlich in vage Begebenheiten ein, damit es beim nächsten Tratsch auf dem Flur interessante (aber falsche) Neuigkeiten gibt, die in meiner Abwesenheit unter drei Augen besprochen werden besprochen werden, dank grünem Star.

Manchmal komme ich während ihrer tüchtigen Gespräche überraschend aus der Tür, sage freundlich hallo und bringe eine halbvolle Tüte Müll nach draußen, um ein Alibi zu haben.
Die Aussage ihrer Blicke kann ich schwer zuordnen. Sie versuchen, mich nett und aufrichtig anzuschauen, aber ihr gespielter gut gemeinter Blick bleibt irgendwo bei entsetzt und abwertend stecken.
Aber sie versuchen zumindest, ein gezwungenes Lächeln auf ihre schmalen Lippen bekommen.

In ihren Augen bin ich rund zehn Jahre jünger und schleppe jede Woche einen neuen Typen mit nach Hause, mit dem ich mich bei lauter Musik restlos besaufe, bis mein Bett Probleme mit der Statik kriegt.
Denken sie.
Weil sie nicht in der Lage sind, zwischen Kumpel, Lover und Freund zu unterscheiden. Denn früher gab’s nur den Einen. Den einen Ehemann mit zwanzig, weitere männliche Freundschaften völlig ausgeschlossen.

Deswegen nehmen sie auch keine Pakete für mich an.
Weil ihre festgefahrenen Vorurteile mein wahres Ich sprengen.
Knappe Klamotten, Bandshirts, Schminke, roter Nagellack und dünne Strumpfhosen, teils mit Laufmaschen.
Das reicht für Oma schon aus, um nicht unter die Oberfläche tauchen zu wollen.
Und nicht zu vergessen: Die Mischung aus Zigarettenduft, ein bisschen Chemie und Parfüm.
Fertig ist das Klischee eines fragwürdigen Lebensstils.

Vorfreude

Das warme Licht der Sonne streichelt mein Gesicht, als ich im Auto sitze und auf der Fahrt nach Hause bin.
Noch erschöpft von letzter Nacht, schließe ich meine Augen und träume müde im Halbschlaf vor mich hin. Wenn ich an die letzte Nacht denke, muss ich innerlich schmunzeln und freu mich insgeheim auf irgendetwas, das zwar nicht greifbar, aber trotzdem da ist.
Es ist unbeschreiblich. Und schön.
Bunte Gedanken kommen und gehen, sie fliegen auf mich zu.
Manche versuche ich festzuhalten, um sie weiter auszumalen und ihnen mehr Fülle zu geben.
Und manche blühen einmal kurz auf, bevor sie im Nu wieder verwelken und verschwinden.
Ein Gedanke hält mich fest und bringt mich zum Lächeln. Dieser Gedanke ist inzwischen besonders bunt und kehrt immer wieder zurück, ohne mich je loslassen zu wollen.
Es ist die Vorfreude auf ein Erlebnis, das nie stattfinden wird.
Wahrscheinlich. Vielleicht.
Manchmal ist man glücklicher, wenn man sich auf Dinge freut, die man nie kriegen wird.
Denn wenn man sie hat, nimmt man sie bald nicht mehr als Glück wahr. Alles verschwimmt in normaler Selbstverständlichkeit und das Besondere verliert seinen Reiz.

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Alte Wege

Heute war ich zu Besuch in meiner alten Heimatstadt.
Eine Stadt, in der ich meine Freiheiten genoss, wie nie zuvor und in der ich vier Jahre emotionale Achterbahn fuhr.
Ein Auf und Ab zwischen Ausbildung, erster großer Liebe, erster Arbeitsstelle, Unabhängigkeit und ersten Liebeskummer. Der normale Teenie-Alltag.
Es war eine Stadt, in der ich erwachsen wurde, mich Herausforderungen stellen musste und alle Entscheidungen alleine traf.

Ich stieg aus dem Zug und schon waren sie da, die alten Gefühle und Eindrücke. Ein Bild nach dem anderen kam mir ins Gedächtnis. Diese kleine Stadt war voll mit Erinnerungen, die an jeder Ecke lauerten und auf mich warteten. Wiedersehen und Abschied geliebter Menschen und der Blick vom Bahnhof auf meine erste Wohnung, die nur paar Meter entfernt lag. Aber ich beschloss, nicht dorthin zu gehen, weil ich wusste, was ich mir damit antue. 
Wehmut an verlorenes Glück und Schmerz, sowie schöne Momente im Sommer und schlechte Laune im Winter, wenn ich mein Fahrrad durch den matschigen Schnee schieben musste.

Der Bahnhof hatte sich kaum verändert, selbst die Baustellen sind geblieben. Die ganze Stadt war eine ewige Baustelle.
Mit jedem Atemzug atmete ich einen Hauch Vergangenheit ein, es roch nach Frühling und nach Veränderung. 
Der Frühling steht für Neuanfang und ich bin froh darüber. 
Die Bäume waren hier schon viel grüner, als zu Hause und ich war überrascht. 
Die Sonne schien und ließ das helle Grün der Bäume in ihrem Licht strahlen. Die Vögel zwitscherten und leiteten mit ihrem Gesang den Frühling ein. Es war schön, alles war so wie früher. 
Die Gerüche, die Luft und die Menschen, die sich um mich herum tummelten, in ihrem Stress, in den Zug zu kommen und sich die besten Plätze zu sichern. 

Ich spazierte durch den nahe liegenden Park, in dem ich mich früher gerne aufhielt und ging die Wege, die ich damals mit meinem Freund ging. Meistens war das abends, als die Frösche aufwachten und lautstark ihr Froschkonzert im dunklen Teich gaben. Tagsüber war von ihnen nichts zu hören, nur das leichte Plätschern des Wassers oder Geräusche aus dem Tierpark.
Heute ging ich diese Wege alleine und jeder Schritt erinnerte mich daran, wie es damals war und welche Gespräche wir führten. An manchen Stellen konnte ich mich sogar noch genau an einige Sätze erinnern, die er sagte. Absurd.

Und all das soll schon fast zehn Jahre her sein? Ich konnte es kaum glauben und war ein bisschen entsetzt. Alles fühlte sich so an, als wäre es erst gestern gewesen. Die Erinnerungen sind im Gedächtnis frisch geblieben und jederzeit abrufbar.
Das machte mich nachdenklich und ich fragte mich, wie es wohl heute wäre? Zu zweit, mit ihm.
Und vor allem: Warum habe ich damals eigentlich Schluss gemacht?

Lecker, Schuhsohlen-Schokokuchen

 

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Wochenende. Und ich war mal wieder nicht rechtzeitig einkaufen, da ich beschäftigt und zu faul war. Der Wochenendeinkauf gehört immer noch zu den Tätigkeiten, die ich lieber vermeide und die ich gerne von meiner Einkaufs-Liste streichen würde.

Am Samstag war noch alles in Ordnung, da ich die letzten Vorräte als Ressource für meinen Hunger nutzen konnte. Aber dann kam der Sonntag. Ich wachte mit knurrendem Magen auf und wusste, was mir bevorstand: Ein leerer Kühlschrank und trockene Zutaten, die in ihrem Rohzustand geschmacklich kaum verwertbar waren. Es setzte ein hohes Maß an Kreativität voraus, um daraus ein schmackhaftes Essen zaubern zu können. Leider bin ich der falsche Ansprechpartner, wenn es um kulinarische Lebensmittel-Künste in der Küche geht und somit stand ich vor einem Problem: Hunger.

Ich hatte Appetit auf Brötchen, aber mir fehlten Hefe, gesundes Vollkornmehl und andere unverzichtbare Kleinigkeiten. Mein Schrank hatte bis auf Mehl, Zucker, Kakao und paar anderen untergeordneten Zutaten nicht viel zu bieten.

Dann kam ich auf eine Idee, deren Ursache mein steigender Heißhunger war: Schokokuchen. Das Schlagwort für eine Recherche im Internet, mit der Hoffnung, fündig zu werden.
Und siehe da, eine lange Liste mit Rezepten öffnete sich prompt vor meinen Augen. Darunter auch ein Rezept mit der vielversprechenden Bezeichnung ‚einfacher Schokokuchen‘.
Die Zutatenliste passte fast perfekt zu den Inhalt meines Küchenschranks und auch die einfache Zubereitung wurde in den ersten Zeilen des Rezepts bestätigt.
Super, wie sich trotz Zutatenmangel ein leckerer Kuchen herstellen lässt. Mahlzeiten sind auch mit Defiziten möglich.
Ich bin immer froh, wenn ich einfache Kuchenrezepte finde, denn so kann in der Herstellung weniger schiefgehen und ich brauche weniger Geduld.

Für den Kuchen benötigte ich nur:
Mehl, Zucker, Backpulver, Wasser, Öl, Kakao und Salz. Weitere eher unscheinbare Zutaten, die ich nicht hatte, hätten die Sache zusätzlich aromatisch abgerundet. Das zarte Vanille-Aroma wurde zwangsläufig durch die sanfte Härte einer Zitrone ersetzt.
Dann wurde fix alles zusammengerührt und der flüssige Teig landete in einer Kastenform, die ich mit Backpapier auslegte, da ich keine Margarine zum Einfetten hatte.
Der vorgeheizte Backofen wartete schon auf mein Kunstwerk. Ich war gespannt, was passiert und beobachtete das Geschehen aufmerksam. Zwischendurch stach ich den Kuchen mit einer kleinen Gabel an, um den Fortschritt der Konsistenz zu testen. Der Kuchen steigerte sich von flüssig auf halbflüssig und von halbfest auf fest. Dieser Vorgang dauerte, wie auch in der Backanleitung angegeben, eine Stunde. Danach befreite ich den Kuchen aus seiner Form und pulte an einigen Stellen das angebrannte Backpapier ab.

Äußerlich sah mein Werk gelungen aus, nur etwas dunkel und flach.
Und innerlich?
Ich entschloss mich gleich für einen Geschmackstest, so lange der Kuchen noch warm war, denn so mochte ich ihn am liebsten.
Die ersten Mängel kamen schnell ans Licht, als ich das erste Stück abschnitt.
Der Kuchen war zäh wie Gummi und ließ sich schlecht schneiden. Am Rand hatte er die Struktur eines Brotes und innerlich sah er aus wie Knete mit einem matten Glanz. Keine Spur von Kuchen. Aber warum? Hätte ich die Backzeit etwa verlängern müssen? Oder war ich zu großzügig/oberflächlich mit den Mengenangaben?
Ich hatte Probleme, den wirklichen Fehler zu finden.

All das hinderte mich aber trotzdem nicht daran, den Kuchen zu probieren, denn bei Kuchen kann ich nicht NEIN sagen. Absolut nicht.
Als Glasur streute ich Zucker drüber, der sorgte für mehr Harmonie und Vollständigkeit.
Damit alles auch seine Richtigkeit hatte, setzte ich das Kuchenstück elegant auf einen verzierten Glasteller und betrachtete es mit viel Optimismus. Von weitem hätte man denken können, da liegt ein leckerer Brownie.

Der erste Happs war einzigartig anders und hatte mit gewöhnlichem Kuchen nicht besonders viel gemeinsam. Aber er war auf jeden Fall zumutbar – für mich. Letztendlich hatte ich ihn ja auch nur für mich gebacken und mir war es egal, wonach er schmeckte. Hauptsache süß und sättigend. Diese wichtigen Kriterien wurden zweifellos erfüllt.
Ich freute mich über den Kuchen. Die Minderwertigkeit von Optik und Geschmack konnten mir den Appetit nicht verderben.
Denn: Es war ein Kuchen. Und ich liebe Kuchen, ob gut oder schlecht.

Schokolade – ich liebe und hasse dich so sehr!

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Jetzt beginnt sie wieder. 

Die Zeit, in der man überall in den Läden von grinsenden Osterhasen angeschaut wird. Und wer kann einem Lächeln schon widerstehen? Ich leider nicht.

Vorhin war ich einkaufen, das erste Mal in dieser Woche und heute ist schon Donnerstag. Eingeplant waren nur Getränke, da ich pünktlich vor Frühlingsbeginn immer mit meiner obligatorischen Fastenkur starte. In der Zeit schlucke ich also alles, was flüssig ist. Trotz Hunger.

Inmitten der unzähligen Rentner, die sich morgens alle gleichzeitig zum Einkaufen verabredet haben, nachdem sie beim Arzt waren, sah ich ein Regal vollgepackt mit Osterhasen, welches sich penetrant in den Vordergrund drängelte.
Es stand wie ein Signal im Eingangsbereich als Erinnerung für jeden, dass in paar Wochen/Monaten Ostern ist.
Als ich die Umrisse der Osterhasen schon von weitem erkannte, strengte ich mich an, sie zu übersehen und meinen Flüssigeinkauf diszipliniert weiterzuführen. Aber es war zu spät, die Osterhasen kämpften bereits mit meiner Willensstärke und ließen meine Selbstdisziplin elendig dahinfließen. Immerhin ließ ich die schadenfrohen Osterhasen stehen und nahm zwei Tafeln Schokolade. So musste ich mich zu Hause wenigstens nicht noch von denen auslachen lassen.

Vor lauter Wut über meine eigene Schwäche, ließ ich dann die Wasserflaschen auf die Schokolade im Korb knallen. Die Schokolade war so hart, dass sie heil blieb und war somit stärker als mein Wille. Es war die reinste Demütigung.
Dann bezahlte ich diesen Schwächeanfall an der Kasse und ging frustriert nach Hause. Wobei ich andererseits auch glücklich war.
Zum einen, weil es meine Lieblingsschokolade war und zum anderen, weil es das letzte Mal war.
Ich mache endgültig Schluss mit Schokolade. Man soll immer aufhören, wenn es gerade am schönsten ist.

Die Schokolade war viel zu schnell gegessen, der Genuss zu kurz und das schlechte Gewissen danach währt ewig. Bis man erneut einkaufen geht. Am besten erst nach Ostern. Aber dann kommen ja auch schon die gut gelaunten Weihnachtsmänner. Shit.