Das 5 Minuten Date

 

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„Ich dachte, du wohnst in Warnemünde“, schrieb Alex.
Ich saß auf meiner Couch und schaute Nachrichten, als die Mitteilung als vibrierendes Glockenping eintraf. Normalerweise schaltete ich mein Handy meist auf stumm, um nicht genervt zu werden. Aber diesmal wartete ich auf Ablenkung, egal in welcher Form. Inzwischen war ich auf alles gefasst und der Unterschied zwischen guten und schlechten Erfahrungen verwandelte sich allmählich in neutrale Oberflächlichkeit. Eine Mischung aus großem Interesse und dem nötigen Abstand zur unnötigen Vorfreude. Denn letztendlich muss man sich auf nichts freuen, was im Herzen noch gar nicht existiert.

„Nee, aber fast“, antwortete ich nach ein paar Minuten. „Warum?“
„Na weil ich jetzt in Warnemünde auf dich warte. Hab die richtige Straße im Navi eingegeben, aber den falschen Ort. Und nun bin ich hier gelandet.“
Okay, das bedeutete spontane Planänderung.
„Na gut, ist nicht schlimm. Bin in einer Stunde in Warnemünde, falls du so lange warten willst.“
„Sehr gut, dann kann ich noch einige Dinge besorgen, mein Wagen ist leer.“
„Würde vorschlagen, wir treffen uns am Bahnhof. Okay?“
„In Ordnung! Bis später.“

Kurz darauf klingelte mein Handy wieder. Meine beste Freundin schickte mir ein Video von unserem letzten gemeinsamen Urlaub in Moskau, als ich vor Lachen kaum noch atmen konnte.
Sie schrieb: „Ich liebe dein Lachen, mein Herz! Du machst mich so glücklich!“
„Ich liebe dich auch, Süße“, schrieb ich grinsend zurück und freute mich.
Wir machten uns fast täglich Liebeserklärungen, das war normal.
Aber von meinem Blinddate erzählte ich ihr nichts. Irgendwie wollte ich nicht darüber reden. Weil ich noch selber nicht wusste, was ich davon halten sollte. Immerhin war der Typ nur zwei Jahre älter als ich. Das hieß, es war das erste Date mit einem Gleichaltrigen und entsprach absolut nicht meinem Schema. Aber ich wollte mal sehen, wie es ist.

Natürlich finde ich es immer besser, wenn man sich nicht zu Hause trifft.
Ich mag es nicht, wenn jemand in mein kreatives Revier eindringt und die Harmonie meiner Wohnung stört. Allerdings wollte ich es diesmal wagen und wissen, wie es ist, einen fremden Mann direkt in meiner Wohnung kennenzulernen. Einfach aus Neugier, Bequemlichkeit und um mir zu beweisen, wie extrem locker ich sein kann. Als Frau sollte man eigentlich auf solche gefährlichen Experimente verzichten. Immerhin kann man durch fremde Typen schnell umgebracht werden, falls man versehentlich seinen Mörder datet. Dennoch kamen mir solche Ängste nie ins Bewusstsein, weil ich nicht ängstlich bin und nicht Monika heiße.

Also schnappte ich mir noch ein paar Gummitiere und machte mich fertig. Zehn Minuten stand ich nachdenklich im Flur, weil mir die letzten Entscheidungen unglaublich schwer fielen: Welche Jacke? Welche Schuhe? Vielleicht sollte ich meinen Konsum endlich einmal einschränken. Viel zu haben macht das Leben nicht unbedingt leichter. Ich entschied mich für bequeme Strand-Schuhe und einer femininen Militärjacke, die ich erst eine Woche hatte. Die liebte ich sofort, weil sie unvernünftig teuer war.

Bevor ich aus dem Haus ging, fragte ich mich, ob man es mir ansah, dass ich innerhalb einer Woche ein Glas Nutella vernichtet hatte. Jeden Tag Nutella zwischen zwei Scheiben Weizenbrot mit Vollkornanteil. Meine ausgelaugten Fettzellen freuten sich bestimmt. Ich zog abrupt mein Shirt hoch, kniff mir in den Bauch und stellte beruhigt fest, dass meine Figur perfekt ist.
Danach plante ich trotzdem eine Detox-Woche mit viel Sport, um den ganzen Müll wieder aus dem Körper zu spülen. Ich kaufte mir die wichtigsten Detox-Produkte und war begeistert, was diese Dinge nach wenigen Tagen im Körper bewirkten. Ich fühlte mich besser und glücklicher, als sonst. Detox-Tee und Detox-Creme gehörten von da an zum Alltag dazu, obwohl ich nicht behaupten würde, dass es bei mir einen gewöhnlichen Alltag gibt.

Ich fuhr mit der Straßenbahn, weil ich keine Lust auf den Feierabendverkehr hatte. Außerdem brauchte ich mein Auto nur für die Arbeit und für die Insel, wenn ich mal einige Tage frei hatte.
In der Straßenbahn saßen einige Menschen, die auch ohne Feierabendverkehr gestresst wirkten. Vielleicht hatten sie nicht so tolle Arbeitsstellen oder Stress mit ihren Partnern oder waren mit sich unzufrieden. Wie auch immer. Beobachten mochte ich gerne. Die Aktionen auf meinem Handy beobachtete ich allerdings kaum. So kam es, dass ich in Warnemünde ankam und nicht wusste, nach wem ich eigentlich Ausschau halten soll. Ich suchte einen Fremden.

Mir kamen viele Leute entgegen und alle wuselten um mich herum. Dazwischen ein Mann, der mir gleich auffiel. Groß, mit Sonnenbrille, Mütze und schwarzem Parka. Ich sprach ihn nicht an, ärgerte mich über meine seltsame Schüchternheit und lief weiter. Immer noch auf der Suche nach Mr. Unbekannt, der Alex hieß.
Am Bahnhof stand niemand, der auf mich wartete.
Aber um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht zu genau hingucken. Es gehörte nicht zu meinem Talent, offensiv nach Personen Ausschau zu halten und zu suchen.
Es dauerte nicht lange, und der Bahnhof leerte sich wieder. Die Leute aus dem Zug tummelten sich auf den Wegen des Hafengeländes und strebten mit Essen in der Hand zum Wasser.
Ich ging woanders hin und setzte mich auf eine Steinmauer. Es war ziemlich kalt, der Wind zog durch meinen Parka und kroch unter mein sommerliches Blumenshirt. Ich fror so sehr, dass ich spürte, wie ich blass anlief und wieder dieses ungesunde Aussehen annahm, das durch die Nutella-Woche noch verstärkt wurde.

Mein Handy lag immer noch unbeachtet in der Handtasche. Als mir immer kälter wurde, stand ich auf, irrte verfroren zum Bahnhof zurück und landete dort auf einer Bank aus Metall. Die kältere Steigerung. Der nächste Zug kam und wieder stiegen zig Leute aus, die alle spazieren gehen und Fischbrötchen essen wollten. Viel mehr konnte man in Warnemünde im Frühling nicht machen. Essen, Shoppen und Wasser, das waren die Hauptattraktionen. Gefolgt von Kaffeetrinken und den beliebten Schlagerpartys im Sommer.

Dann schaute ich auf mein Handy.
Die letzten beiden Nachrichten von Alex waren zwanzig Minuten her.
„Schwarzer Parka.“
„Warte am Bahnhof auf dich!“
Okay, hätte ich vielleicht doch mal früher mein Handy benutzen sollen.
Ich schrieb: „Hab dich vorhin gesehen.. bin vorbeigelaufen..zu spät…wo bist du nun?“
Danach wartete ich auf seine Antwort. Er war eine ganze Weile online, las meine Nachricht, aber nichts kam. Seltsam.
Ich versuchte ihn anzurufen, aber die Computerstimme am anderen Ende meinte, dass er gerade nicht erreichbar wäre. Noch komischer. Zum Schluss sendete ich ihm eine altertümliche SMS und hatte somit alles unternommen, um Kontakt aufzunehmen. Aber keine Antwort.

Wollte er mich jetzt etwa verarschen? Ich fand das alles sehr merkwürdig. Aber dennoch störte es mich nicht besonders. Schließlich störte mich überhaupt nichts mehr. Ich nahm es so hin, wie es war. Was soll mich an einem Fremden stören? Diese anonyme Funkstille passte doch super zum Image eines Fremden! Der Krimi konnte beginnen. Aber mir wurde diese Situation schnell zu blöd.

Ich ging zum Ticketautomaten und kaufte die Rückfahrt, denn länger einsam frieren wollte ich nicht. Die Bahn fuhr in zwei Minuten und als ich mich auf den Weg dorthin machte, meldete sich Alex plötzlich.
„Sorry, mein Handy ist abgestürzt.“
Wie kann denn so etwas passieren, dachte ich mir. Welch ungewöhnlicher Zufall.
„Hmm, ich wollte gerade nach Hause, weil ich dachte, das wäre alles nur ein Scherz.“
„Waaaas? Quatsch…hatte am Bahnhof gewartet und als ich dich nicht sah, bin ich woanders hingegangen.“
Er schickte mir seinen aktuellen Standort, der sich in der Nähe befand. Trotzdem wusste ich erst einmal nicht genau, wie ich dort hinkam und lief in die entgegengesetzte Richtung. Navis waren nämlich nicht so mein Ding.
„Sitze draußen im Café.“
„Na gut, ich komme gleich.“
Das Café war nach einigen Orientierungsfehlversuchen schnell gefunden, aber ich wollte nicht über diesen menschenbesiedelten Vorplatz laufen und ihn irgendwo in der Menge suchen.
„Trink du mal deinen Kaffee aus, ich sitze an der Seite bei den Büschen.“
Ich fand es gut, dort zu sitzen und zu warten, was passiert. Sonst hatte ich mit Büschen ja nicht viel zu tun.

Nach einer Minute kam Alex schon die Straße entlang gelaufen und fand mich. Er lachte. War mein verlorener Anblick etwa so lustig?
Keine Spur von Aufregung bei mir, weil seine Sonnenbrille zu schwarz war und ich insgesamt nicht viel von ihm erkennen konnte, bis auf die Größe und seine Stimme, die ziemlich normal war. Er war schließlich erst dreißig. Was sollte ich also erwarten?
Alles war unauffällig und seine schwarze Mütze versteckte den Rest. Alles schwarz, bis auf die Jeans. Damit hatte er mit gewissen Branchen doch gar nichts zu tun.
Außerdem war er viel dicker angezogen, als ich. Konnte Mann eigentlich noch mehr übertreiben? Ich dachte immer, Männer wären nicht solche sensiblen Frostbeulen. Als er dann noch sagte, es ist ganz schön kalt und windig, rollte ich heimlich mit den Augen.

Wir gingen am Hafen entlang und endeten an der Ostsee vorm Leuchtturm. Sein Blick fiel gleich auf die Wassersportler, die seine vollste Aufmerksamkeit erregten. Alex war schließlich ein vielfältiger Abenteurer, der mit wenig Geld auskam und sogar auf ein richtiges Zuhause verzichtete. Das war ihm alles nichts, er wollte Freiheit und in den Tag hineinleben. Immer woanders sein, ohne richtigen Job und ohne Verpflichtungen. Außerdem war das Meer seine Leidenschaft. Alex war ein moderner Robinson Crusoe und somit wieder jemand, der völlig anders tickte.
Man denkt immer, man kennt alle Arten von Typen, bis man neu überrascht wird. Ich hörte zu, ohne mir ein Urteil zu bilden. Einfach nur zuhören mit keinen Zwischentönen im Kopf. Ich verhielt mich entspannt.
Bis er mir eine Frage stellte: „Und du so?“
„Ich bin deine Nicht-Wellenlänge“, antwortete ich knapp, weil mein Leben komplett anders war.
Daraufhin folgte ein Schweigen, das erst an einem Fischbrötchenstand wieder gebrochen wurde.
„Kannst du mir eine Sorte empfehlen? Du musst doch Ahnung haben, wenn du am Meer wohnst.“
„Nein, ich hab da keine Vorlieben. Ich esse alles, was aus dem Wasser kommt. Auch Muscheln und Mini-Hummer.“
Muscheln gab es am Stand leider nicht.
Alex guckte von links nach rechts und war sichtlich überfordert mit der Auswahl.
Dann nahm er ein geräuchertes Makrelenfischbrötchen.
„Und was möchtest du?“
„Nichts, danke.“
„Wie nichts?“
„Ich hab keinen Hunger, weil ich noch satt bin.“
„Wirklich nicht?“
„Nein, danke, hab vorhin zu Hause Mittag gekocht.“ Mein Mittag war eine Tüte Gummibärchen und zwei Kekse.
„Na gut..ich kann jedenfalls immer sehr viel essen und hab immer Hunger.“
Wie unterschiedlich Männer und Frauen doch ticken. Frauen sind Künstlerinnen in Zurückhaltung und Disziplin. Manchmal jedoch auch im Lügen.
„Willst du dich nicht hinsetzen beim Essen?“
„Nein, stört mich nicht, wenn wir laufen.“

Dann liefen wir einfach ohne Ziel und ohne Plan durch Warnemünde. Zusammen mit einer Menge Gesprächsstoff, trotz der Ungemeinsamkeiten.
Alex wollte gerne Kaffeetrinken und bevorzugte den besten Laden, den es gab. Er wollte den besten Kaffee und guckte sich jede Kaffeemaschine von draußen an.
Nach all der Sucherei setzten wir uns doch in ein recht einfaches Bäcker-Café. Dann nahm er endlich mal seine Brille ab. Ich hatte schon Angst, dass er sie nie abnehmen würde. Es gab schließlich keinen Grund, so undercover unterwegs zu sein.

Erst, als er die Brille abnahm, begann für mich das richtige Date. Er hatte so tolle Augen, dass ich nicht verstand, warum er sie so versteckte. Gerade, weil die Sonne an dem Tag gar nicht schien. Alex hatte ungewöhnlich strahlend blaue Augen. Fast so, als würde sich das Meer permanent darin befinden.
Ich bestellte einen schwarzen Kaffee und Alex einen Cappuccino.
„Mist, ich hab so gut wie nie Bargeld dabei“, gestand ich Alex, als ich nachguckte, wie viel Geld ich überhaupt mit hatte. Es waren 5 Euro.
„Ich bezahle sowieso alles, ist doch selbstverständlich.“
„Wollen Sie den Kaffee hier trinken, oder mitnehmen“, fragte die Frau, die neben Getränken auch Kuchen und andere Backwaren verkaufte.
„Zum hier trinken“, sagte ich fix, bevor Alex die aktivere Variante vorschlug. Denn ich hatte keine Lust, den Kaffee beim Spazierengehen im Wind zu trinken.
Alex nahm das Tablett mit den beiden Tassen und als wir den Tisch erreichten, floss die oberste Schicht meines Kaffees auf dem Tablett und umarmte den Boden der weißen Porzellantasse.
Sein Cappuccino hingegen blieb in Topform, denn der Schaum beschützte den wertvollen Inhalt.

Dann kam wieder diese Situation: Das intime Gegenübersitzen zwischen zwei Fremden. Oft erlebt, aber immer wieder unterschiedlich. Jeder Mann ist nicht gleich und schenkt mir diverse Erfahrungen im Bereich meiner persönlichen Männerpsychologie.
Ich konnte nicht anders, als Alex genau zu beobachten und starrte ihn regelrecht an. Vor allem seine Augen, die so toll waren mit den dunklen dichten Augenbrauen. Faszinierend! Diese Augen zogen mich an. Danach analysierte ich seine Mimik und Gestik, obwohl ich mir das langsam einmal abgewöhnen sollte, da ich mich nicht auf der Arbeit befand. Dabei möchte ich meinen Job so gerne heiraten.

Alex trank seinen Cappuccino, obwohl er noch heiß war. Dann stand Alex plötzlich auf und ging nicht zur Toilette, sondern holte sich einen Löffel, damit sich der Schaum besser essen ließ. Er stippte den Löffel in den Schaum und leckte den Löffel ab. Ich empfand das als interessantes Schauspiel und ließ meinen penetranten Blick nicht von ihm. Scheinbar hatte Alex auch kein Problem damit. Mein limbisches System hatte sich schon etwas auf Alex eingeschossen, denn ich fand ich einfach richtig toll, ohne es erklären zu können. Es war eben so. Plötzlich auftretende Gefühle unterliegen keiner Rechtfertigung.

Ich trank meinen Kaffee, der nicht so heiß war, wie ich dachte. Alex erzählte währenddessen von seiner letzten aufregenden Weltreise und von Kopi Luwak, den ich auch gerne mal trinken wollte.
Als ich sah, dass Alex mit seinem Cappuccino fertig war, trank ich meinen Kaffee umso schneller aus.
Alex musste lachen, als er feststellte, dass in Warnemünde nur alte Leute in Funktionskleidung herumliefen, das kannte er gar nicht. Und meist trugen sie diese Kleidung im Partnerlook.

Das Kaffeetrinken war unser kurzes Hauptdate. Innerlich fühlte ich mich zwar euphorisch, aber diese Euphorie sprudelte nicht über, sondern ebbte schnell ab. Alex passte nicht zu mir, meine Begeisterung für ihn lebte nur kurz. Es war komisch und ich merkte, wie sehr mich meine innere Schutzmauer im Griff hat und meine Emotionen immer mehr abschwächt, damit nichts zu stark für mich wird. Ich spürte diese Schutzmauer zum ersten Mal in ihrer vollsten Intensität und fühlte mich beschützt.
Alex zog seine Jacke an und ließ das Tablett einfach auf dem Tisch stehen, bis ich es nahm und es in die dafür vorgesehene Ablage schob. Als Gast kann man sich schließlich auch benehmen und selber den Tisch abräumen. Zumal wir uns auch nicht in einem Restaurant befanden.

Draußen war es immer noch windig und bewölkt. Nicht gerade mein Lieblingswetter.
„Ich muss noch mal zur Sparkasse. Ich brauche Bargeld“, sagte ich.
„Okay, danach können wir ja wieder zum Strand.“
„Gerne!“
Ich ging in die Sparkasse und Alex spielte draußen mit seinem Handy. Es war ein gutes Gefühl, wieder echtes Geld bei sich zu haben, als immer nur mit Kreditkarten unterwegs zu sein, obwohl es bequemer ist, weil man seltener nachdenkt.

Die Sparkasse war leer und geräumig. Ich schaute mich um und danach zu Alex, der beschäftigt war.
Dann sah ich noch einen zweiten Ausgang. Ich musste nicht lange überlegen, was ich als nächstes tun würde. Der zweite Ausgang rettete mich und ich schlich mich unbemerkt aus diesem weniger erfolgsversprechenden Dating-Verhältnis. Es handelte sich um einen einseitigen Kompromiss, dessen Folgen nicht weiter schlimm sein würden. Ich wollte nicht wieder mit Vollgas im nächsten Gefühlschaos landen. Vor allem lohnte sich dieses Chaos bei diesem chaotischen Typen noch nicht einmal. Außerdem war mir Alex bedeutend zu jung.

Ich suchte mir ein anderes Café zum Verweilen und hoffte, dass Alex mich nicht suchen würde. Aber da er Warnemünde eh nicht kannte, hatte er schon verloren. Ich bestellte mir wieder einen großen Kaffee und ein Stück Quarkkuchen. Mein Handy bekam natürlich keine Beachtung.
Im Café war nicht viel los, da die Saison noch nicht begonnen hatte. Deswegen konnte ich die Ruhe um mich herum genießen. Ich nahm mein Notizbuch aus der Tasche und schrieb die wichtigsten Gedanken, die mir in den Kopf kamen, wie gewöhnlich auf. Diese Notizen sind oft nützliche Bruchstücke, die mein Leben mit neuen Inspirationen füllen. Zumal ich auch nervös werde, wenn ich mein Notizbuch nicht dabei habe. Zu Hause hatte ich 184 volle Notizbücher, die sich seit meinem 9. Lebensjahr ansammelten. Ich hatte schon eine Menge Gedanken.

Was Alex jetzt wohl machte? Inzwischen musste er bemerkt haben, dass ich nicht mehr anwesend war und mir einen anderen Ausweg suchte.
Ich schaute kurz auf mein Handy, auf dem ‚Wo bist du?‘ stand. Zwar war es gemein, einfach abzuhauen. Aber ob man nun abhaut oder gleich sagt, dass man kein Interesse hat, ist doch das gleiche. Das Band zwischen zwei Fremden ist unverbindlich und ich wollte daraus nicht mehr werden lassen, weil ich wusste, dass es nicht gut ist. Alex ist ein Weltenbummler. Dem macht es sicher nichts aus, wenn er kein menschliches Souvenir mit sich herumtragen muss. Wenn er stets Unabhängigkeit wollte, so durfte er diese auch behalten. Bindung wäre eine Sackgasse mit Zaun auf seiner Reise.

Nach einer Stunde ging ich zurück zum Bahnhof und da die Züge ständig fuhren, musste ich auch nicht warten. Alex sah ich nirgendwo. Wahrscheinlich fuhr er zu anderen Freunden, da er überall jemanden kannte, der ihn aufnahm und sich freute, ihn zu sehen. Schließlich war er selten in Deutschland. Im Zug war ich wie erstarrt, da mein Zustand immer noch vage zwischen Begeisterung und Ablehnung pendelte. Wenn aus zwei extrem gegensätzlichen Gefühlen ein Gefühl wird, dann ist es meistens die feine Apathie. Eine gute Lösung, um mit emotionalen Widersprüchen klarzukommen und um wieder zu sich zu finden. Apathie macht alles ein wenig einfacher, da man Dinge so hinnimmt, wie sie sind und oft anfängt, zu träumen.

Als ich zu Hause war, schmiss ich mich auf die Couch, lag minutenlang einfach so da und schaute mir das surreale Ölbild mit den Schafen an. Das drückte meine Stimmung immer perfekt aus, da es nach meinen Vorstellungen gemalt wurde.
Danach schaute ich mir einen Film an und freute mich mit einem Glas Champagner auf den Rest des Abends.
Alex schrieb: „Was ist denn los mit dir? Geht’s dir gut? Was machst du?“
Dann schaute ich den Film weiter, ohne weitere innere Regung und ohne Antwort. Meine Konzentration galt nur dem Film, der war spannender und wirkte bei mir besser, als Alex.
Anschließend machte ich noch ein bisschen Bauchtraining und ging duschen. Ich verblieb eine ganze Weile im Bad, da ich regelmäßig einen Wellnesstag mit Komplettprogramm einlegte. Gerade nach dem Date mit Alex war das auf jeden Fall nötig.
Als ich im Bett lag, beschloss ich, Alex zu antworten, damit er sich keine Sorgen machte.
„Mein Herz ist woanders“, schrieb ich, machte die Augen zu und schlief bald darauf ein.

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Oma Irmgard


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Diese alte Frau saß mir die ganze Zeit wie versteinert gegenüber. Ich hatte natürlich nichts gegen alte Frauen, nein. Aber auf mich wirkte sie merkwürdig. So, als ob sie hier nicht hingehörte. Sie sah zwar aus, wie eine typische Oma, nur ihr Blick war wunderlich und abschweifend. Immer wieder guckte sie ins Leere oder durch mich hindurch, mit ihren dunkelblauen Augen, die aussahen, wie der Sommer am Meer. Dieser Zug war nicht der richtige Ort für sie, das spürte ich. Mich beschlich das Gefühl, als würden viele Leute im Altenheim sie schon verzweifelt suchen und musste gleich an meine liebe Oma zu Hause denken, die schon mit selbstgebackenem Kuchen auf mich wartete, der immer sehr lecker war. Ich schaute, ob die Oma auch irgendetwas dabei hatte und sah nur einen netzartigen Beutel. Man konnte alles durch die Maschen sehen: zusammengeknüllte Stofftaschentücher, dreieckig gefaltete Servietten, ein Stück Brot und einen Apfel, der nicht mehr ganz frisch aussah. Außerdem gab es noch einen größeren Klumpen aus Alufolie. Es sah aus, als würde die Oma Dinge für schlechte Zeiten sammeln, die inzwischen kaum mehr genießbar waren. Ich fragte mich, wo sie wohl hinwollte, an diesem grauen Wintertag und beobachte die Schneeflocken, die sanft gegen die Fensterscheibe flogen und Kristalle bildeten. Die Oma guckte stattdessen an die Taschenablage über ihr, wie verloren.
Ein knielanger Rock und hautfarbene Strumpfhosen mit Laufmaschen, waren die einzigen Kleidungsstücke, die ihre mageren Beine bedeckten und auf den Knien schimmerten blaue Flecken. Ihre Schuhe waren platt und ausgelaufen. Wahrscheinlich besaß sie nur dieses eine Paar Schuhe, welches kaum noch Sohle hatte. Mir tat die Oma Leid, die in diesem Winter scheinbar schon mehrmals den Boden mit ihrem gebrechlichen Körper berührte und trotzdem so robust war, um immer wieder aufzustehen. Sie gehörte wohl zu der Kategorie ‚dünn und zäh‘. Sonst würde sie nicht in diesem Zug sitzen, sondern im Krankenhaus liegen. Die Oma merkte nicht, wie ich sie die ganze Zeit neugierig beobachtete. Ihr Blick blieb fern und unnahbar, dennoch trafen sich unsere Blicke manchmal. Vielleicht, weil ich es darauf ankommen ließ und ihr Wärme mit einem Lächeln schenken wollte. Sie wirkte so einsam. Aber ihre Mundwinkel zeigten keine Veränderung, sie blieben gerade, wie ein schmaler blasser Strich, der sich durch das eingefallene Gesicht zog und fast gar nicht auffiel. Wahrscheinlich hatte sie gar kein Gebiss im Mund. Auf ihrem Wollpullover mit der hübschen Rosenstickerei entdeckte ich einen roten Marmeladen-Klecks, vom letzten Frühstück und auch paar kleine Brotkrümel hingen noch in der Wolle fest. Sie hätte sie einfach nur abstreifen müssen. Aber ihre nestelnden Finger waren zu sehr mit sich beschäftigt. Sie berührte immer wieder ihren Fingerring, schob ihn auf und ab, drehte ihn oder pulte nervös an ihren Nägeln, die schon rau und gerötet waren. Der Rest ihres Körpers wirkte friedlich.
Ich fragte mich, was die Oma bei der Kälte ohne Gepäck und in ihrer dünnen Bekleidung vorhatte. Nicht einmal eine Jacke hatte sie dabei. Jedenfalls konnte ich keine finden. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal den Schaffner bemerkte, der die Fahrausweise kontrollierte. Erst, als er mir auf die Schulter tippte, nahm ich ihn wahr. „Die Fahrausweise bitte“, sagte er monoton. Danach war die Oma dran und ich war gespannt. Sie schaute ihn stumm an, ohne Reaktion und etwas bizarr. Mehr kam von ihr nicht und der Schaffner war ebenso verdutzt. Egal, was er sagte, die Oma tat nichts. Als ob sie gar nichts verstand und von einer anderen Welt wäre. Sie sagte keinen Ton und versuchte es nicht einmal. Ich malte mir langsam aus, dass die Oma taubstumm und verwirrt war. Aber sicher sein konnte ich mir nicht. Jedenfalls stimmte etwas nicht mit ihr.
Nach einigem Zögern fasste der Schaffner den Pullover der Oma an und suchte nach etwas. Er fand wie erhofft ein Etikett auf dem Name und weitere Zeilen standen: Irmgard Birnbaum, Pflegeheim ‚Unvergessen‘.
„Sie brauchen keine Angst haben“, sagte der Schaffner, „Sie werden wieder nach Hause gebracht, wo Sie sicher schon eifrig gesucht werden.“ Oma Irmgard zeigte weder Freude noch Enttäuschung. Sie saß da, ganz zurückhaltend und reglos. Bis auf ihre Finger, die keine Ruhe fanden.

Sugar Mummy

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Sandy träumte schon lange von Veränderungen. Sie lebte jahrelang mit ihrem älteren Sohn Jan alleine im Haus und sehnte sich nun nach einer stabilen Partnerschaft. Alle Frauen in ihrem Alter waren glücklich verheiratet und hatten Familie. Bisher hatte sie immer nur Pech mit Männern und gab die Suche langsam auf. Sie passte eher in die Rolle der erfolgreichen Geschäftsfrau, in der Liebe anscheinend keinen Platz fand.
Eines Tages lernte sie jedoch endlich einen Mann kennen – im Supermarkt an der Kasse. Er stand hinter ihr und als ein Apfel vom Fließband kullerte, trafen sich ihre Blicke. Sandy hatte sich sofort verguckt und der Mann, namens Kurt, wirkte auch sehr entzückt. Die beiden trafen sich von nun an regelmäßig. Sandy hatte das Gefühl, dass Kurt sie so akzeptierte, wie sie war und seine Nähe fühlte sich gut an. Genau danach hatte sie sich so lange gesehnt.
Außerdem verstand Kurt sich super mit Jan. Aber das war noch nicht alles. Kurt hatte auch einen Sohn, der Paul hieß und in Jans Alter war. Sandy hatte damit überhaupt kein Problem. Schließlich änderte es nichts an ihren Gefühlen und Paul war wirklich nett, wenn auch ein bisschen faul. Aber das würde sich sicher noch ändern, wenn er erst einmal eine Ausbildungsstelle finden würde.
Nach einem halben Jahr war Sandy sich sicher: Kurt und sie gehörten zusammen, und zwar richtig.
Warum sollten sie es also nicht wagen, zusammenzuziehen? Immerhin war Sandy’s Haus groß genug und viele Räume standen sowieso leer und warteten auf Leben.
An jenem Abend lud Sandy Kurt zum Essen ein, um das Thema bei Kerzenlicht anzusprechen. Sie war gespannt, wie Kurt darauf reagierte. Ob er auch bereit wäre, sein Leben zu verändern?
Sandy war überglücklich, als Kurt sagte, dass er insgeheim auch schon davon geträumt hatte. Jetzt würden sie eine moderne Patchwork-Familie werden und ein ganz neues Leben anfangen.
Kurz darauf zogen Kurt und Paul auch schon in das Haus ein. Alles verlief ganz stressfrei.
Paul hatte sein Zimmer gleich neben Jans. Wobei Sandy schon schmunzeln musste, wie unterschiedlich die beiden Jungs waren. Ihr Sohn hatte viel mehr Elan, war aktiv und machte eine anspruchsvolle Ausbildung. Paul hingegen war eher passiv, einsam und hockte am liebsten vor dem Computer oder vor einer seiner vielen unterschiedlichen Spielkonsolen, von denen Sandy keine Ahnung hatte.
Am Anfang war alles spannend und aufregend, da sich Sandy und Kurt noch nach Monaten im Kennlernprozess befanden und immer wieder neue Seiten an sich fanden. Manches war positiv, manches eher negativ.
Sandys Wunsch nach Veränderung schlug mit dem Einzug von Kurt und Paul wie ein Donnerschlag ein. Auf einmal war nichts wie vorher und Sandy genoss diesen frischen Aufschwung, zuerst.
Nach und nach kehrte allmählich Routine ein, wobei die Rollenverteilung immer deutlicher wurde. Sandy war alleine für den Haushalt verantwortlich und Kurt sorgte sich um die handwerklichen Sachen. Kurt war nicht nur ein kleiner Macho, sondern ein großer. Sandy tröstete sich damit, dass Männer nun mal so sein müssen und dass sie den Haushalt ohnehin lieber alleine schmiss, bevor Kurt irgendetwas falsch machte oder nicht gründlich genug war.
Kurze Zeit nach dem Einzug wurde Kurt arbeitslos. Sandy hatte zwar einen gut bezahlten Job, aber die Situation machte ihr bald Sorgen, als sie spürte, dass Kurt die freie Zeit genoss und gerne den ganzen Nachmittag vor dem Fernseher auf der Couch schlief. Allein der Gedanke, dass sie den ganzen Tag arbeitete und er faul zu Hause seine Zeit verbrachte, machte sie innerlich wütend, denn sie verachtete Faulheit. Aber sie behielt ihre Wut für sich, um den Frieden nicht zu stören und hoffte, dass Kurt sich bald neue Arbeit suchte.
Als Sandy eines Abends nach Hause kam und in den Kühlschrank guckte, war sie fassungslos. Im Kühlschrank herrschte völlige Leere, obwohl sie vor zwei Tagen erst einkaufen war. Bis auf Butter und Milch gab es nichts mehr.
Als sie entschlossen und schnellen Schrittes in die Wohnstube lief, um Kurt energisch darauf anzusprechen, erwartete sie das nächste Szenario: Kurt und Paul schliefen friedlich auf der Couch und mittendrin ruhte der dicke Familienkater Felix von Nachbarin Kathi, der sich obendrein noch übergeben hatte.
Sandy wusste nicht, ob sie bei diesem Anblick lachen oder weinen sollte, da alles so dämlich aussah. Alle schienen satt und glücklich zu sein, nur Sandys Bauch war gefüllt mit Wut, die langsam anfing zu brodeln.
Sie würde die Herren später zur Rede stellen, bevor sie ihrem Ärger freien Lauf ließ und vielleicht überreagierte. Stattdessen beschloss sie, sich beim Einkaufen abzureagieren. Der Einkauf war anders als sonst. Sie schmiss die Ware lieblos in den Wagen und riss frustriert die Blätter vom Blumenkohl, den, außer sie, eh niemand aß, da die Männer lieber Fast Food verzehrten. Als Sandy an der Kasse stand, ließ sie ihrem Frust freien Lauf und sagte überreizt: „Ja, ich kaufe viel mehr ein als sonst. Wir haben ja auch jetzt zwei Mäuler mehr zu stopfen.“ Jan kaufte auch manchmal ein, wenn die Vorräte zu knapp wurden.
Einige Leute schauten sie voller Mitleid an, da Sandy in dem Moment pures Unglück ausstrahlte.
Als Sandy mit vollbeladenen Kofferraum wieder im Auto saß, stiegen ihr die Tränen in die Augen und ihr wurde klar, dass Veränderungen zwar interessant sein können, aber nicht immer schön sind.

Ein Tag Frühling

März

Als ich heute Morgen aufwachte, durchfluteten bereits warme Sonnenstrahlen mein Zimmer und in mir machte sich ein befreiendes Gefühl der Freude breit. Endlich Sonne, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr so intensiv gespürt habe, weil sie hinter dicken Wolken schien und ihre Wärme verborgen blieb.

Ich war glücklich, mal keine dunklen Wolken zu sehen, denn das ständige Grau ging mir mittlerweile auf die Nerven und drückte negativ auf meine Stimmung. Jede Jahreszeit ist schön, aber zu viel Winter gefährdet meine Laune und legt mich lahm, vor allem emotional. Dabei habe ich als Kind den Winter geliebt und das nicht nur wegen der Schneeflocken. Eigentlich bin ich ein Winterkind. Allerdings ist davon nicht mehr viel übrig geblieben, bis auf den schlafenden Steinbock in mir, der nur noch als symbolisches Sternzeichen in Erscheinung tritt und nahezu passiv agiert.

Ich schaute aus dem Fenster und sah zum ersten Mal den zarten Frühling in diesem Jahr, obwohl er noch nicht begonnen hatte. Aber heute zeigte er sich für einen Tag in seiner ganzen Schönheit. Die Luft, die leicht durch mein angekipptes Fenster zog, war mild und sanft. Keine Spur von harter Kälte und schroffem Wind. Einige Vögel zwitscherten schon vereinzelt, die sich irgendwo in den Bäumen zwischen den anderen Häusern versteckten. Draußen liefen übermütige Leute im dünnen Pullover herum, als sei es völlig selbstverständlich und man konnte denken, dass es in den nächsten Tagen nicht anders sein würde. Denn heute war Frühling. Außerdem hörte ich kaum ein Auto auf der Straße. Alles war ungewöhnlich ruhig und friedlich, wie es sich für einen anständigen Sonntag gehörte.

Das helle Licht in meiner Wohnung sorgte für Tatendrang und das merkte ich unmittelbar nach dem Aufstehen. Alles ging viel leichter von der Hand und ich musste nicht lange nachdenken, ob ich heute z.B. putze oder nicht. Schließlich wurde der Staub von der Sonne gut erkennbar angestrahlt und zeigte mir die Schwachstellen in den Ecken, ohne meine Augen dabei anstrengen zu müssen. Alles war easy und machte Spaß, nichts kostete Überwindung oder gar Ärger. Ich schmiss den Haushalt mit Euphorie und Enthusiasmus.

Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Es gab nichts anderes, als die Farbe Blau, gefüllt mit Wärme und Licht. Wenigstens für einen Tag.

Als ich meine Balkontür öffnete, um Wäsche aufzuhängen, konnte ich es kaum fassen, wie warm es dort war. Durch die aufgestaute Wärme fühlte es sich an, als hätte mir der Hochsommer gerade einen flüchtigen Besuch abgestattet. Ich freute mich über diesen kurzen sommerlichen Vorgeschmack, der hoffentlich nicht mehr allzu lange auf sich warten ließ.

Ich atmete den Duft der frisch gewaschenen Wäsche ein, die angeblich nach Orchideen roch. Ja, es wurde Zeit, dass sich der Frühling blicken ließ, denn so viele Dinge sorgten für Sehnsucht. Wie der falsche Duft von künstlich hergestellten Blumenaromen aus dem Weichspüler.

Nach einer Tasse Kaffee, drängte sich der Aktivitätstrieb noch stärker in mir auf. Koffein und Sonne zeigten ihre energetische Wirkung und ließen mich nicht mehr still sitzen. Mir war jedoch auch ohne Kaffee klar, dass ich heute unbedingt raus musste. Ich als Fahrrad-Junkie hatte nur auf diesen Moment gewartet: Schönes Wetter, ohne viel Wind, der mir fies ins Gesicht pustete und versuchte, mich unlieb vom Fahrrad zu drücken. Ich hasste Wind von einer Stärke ab 21 km/h.

Was nur noch fehlte war witterungsangepasste Frühlings-Kleidung. Also entschied ich mich für Shorts aus Webstoff und blickdichten Leggings. Darüber ein T-Shirt mit Blumen und eine dünne Baumwolljacke in schwarz, um es nicht zu übertreiben. Für die Füße gab es diesmal ausnahmsweise flache Sportschuhe, die ich sonst nie trug. Die Strickmütze durfte heute zu Hause bleiben, auch wenn es mir anfangs schwerfiel, auf dieses Lieblingsstück zu verzichten. Ich dachte, dass sie nicht nötig war und mich der Wind in Ruhe ließ.

Es war ein tolles Gefühl, nach langer Zeit endlich wieder meine geliebte bernsteinfarbene Retro-Sonnenbrille aufzusetzen. Welch geiler Moment, anders war es nicht zu beschreiben. In meinem Bauch kribbelte es, als ob ich verliebt wäre. Dabei war es nur die Freiheit, die ich nun wieder umso mehr spüren und nutzen konnte. Endlich wieder frische Luft und Natur, die ich so sehr vermisste.

Ich wurde ungeduldig, als ich ein paar Minuten vor der roten Ampel warten musste. Heute stand sie gefühlsmäßig viel länger auf Rot, als sonst. Als endlich grün war, konnte ich es kaum erwarten, loszufahren. Die letzte Tour war zwei Monate her – es war eisig kalt und ich inhalierte nur nebelige Luft. Heute war es anders, an diesem sonnigen Frühlingstag.

Auch andere Leute zog es nach draußen. Sie hatten ebenfalls keine Lust, faul und vollgefressen auf der heimischen Couch vorm blöden Fernseher zu liegen. Richtig so. Nach einigen Metern merkte ich allerdings schon, wie stark der Wind von vorne kam und mir das Fahren erschwerte. Aber es war mir egal, dafür hatte ich auf dem Rückweg weniger zu tun. Der Wind schaffte es nicht, meine Motivation zu stoppen. Ich suchte schließlich keine Ausrede, um Sport raffiniert aus dem Wege zu gehen. Nach einer Weile vergaß ich den Wind sogar, denn durch die Musik aus meinen Ohrstöpseln konnte ich ihn gut ignorieren, obwohl er sie mir beinahe aus dem Ohr blies.

Um mich herum war kein Winter zu sehen. Kein Schnee im Gebüsch, kein Frost in der Luft und kein vereister See in der Nähe. Das Gras war grün, aber die Bäume waren leider noch etwas kahl und wurden nicht von prächtigen Baumkronen geschmückt. Aus dem Gras in den Vorgärten schauten kleine Schneeglöckchen hervor, die sich noch nicht richtig heraustrauten. Die Krokusse blieben mir noch vorenthalten, denn ich sah sie nicht oder ich war zu blind, in meiner Wintersmüdigkeit, die mich derzeit noch mit ihrer unangenehmen Gesellschaft bedrückt und mich erst dann verlässt, wenn der Frühling in voller Montur ist. Bitte bald.

Als ich nach einigen Stunden wieder zu Hause war, wurde es schon langsam dunkel. Es machte mich etwas traurig, als mir bewusst wurde, dass dieser schöne Tag nun zu Ende war und ich nicht wusste, wann die Sonne zurückkehrt. Ich schloss alle Fenster, denn auf die abendliche Abkühlung in meiner Wohnung wollte ich lieber verzichten. Nur im Schlafzimmer durfte sie bleiben. Danach machte ich mir einen Tee und als ich mich hinsetzte, sah ich, dass meine Hose ein Loch hatte. Wahrscheinlich wurde sie nun endgültig vom Sattel aufgescheuert. Die Hose hatte schon einige Jahreszeiten erlebt und diese Tour war wohl ihre Letzte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kellermänner

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Nachdem ich mein Fahrrad sachgerecht im Keller verstaut hatte, merkte ich schnell, dass ich mal wieder nicht alleine dort war. Wie hätte es auch anders sein können..?
Als ich die Kellertür hinter mir schloss, hörte ich einen meiner Nachbarn in den anderen Kellergängen rascheln und hoffte inständig, dass ich ihm nicht über den Weg lief. Ich schaltete meinen iPod vorsichtshalber gleich auf lautlos, um mich auf eine unvermeidliche Begrüßung gefasst zu machen.
Sonntag ist Ruhetag, dachte ich immer. Normalerweise hielten sich viele ältere Leute strikt an dieses heilige Gesetz. Aber anscheinend hinderte das meinen Nachbarn nicht daran, auch sonntags in seinem Keller herumzukrauchen und Dinge zu machen, von denen ich nichts wissen wollte.

Dabei bietet ein Keller diverse erregende Möglichkeiten für Männer:
– ein Versteck für Schnaps und andere leckere Spirituosen
– Alibi/Zufluchtsort für anonyme Süchte = Suchtbunker
– heimlich trinken, damit es zu Hause keinen Ärger gibt
– Pornohefte angucken und in der hintersten Ecke im Aldibeutel horten
– auf interessante Nachbarinnen warten und im richtigen Moment freundlich vor der Tür erscheinen
– Konserven nach Haltbarkeitsdatum sortieren, obwohl man den Schimmel schon fühlen kann
– gucken, ob noch alle Schrauben im Werkzeugkasten sind und ob der Bohrer noch einwandfrei funktioniert
– sich vom modrigen Kellergeruch berauschen lassen – der feuchte Duft nach Rost, Öl und abgestandener Farbe, sowie Terpentin tut der Nase gut
– Sammellager für kaputte Geräte, die auf den übernächsten Sperrmüll warten..oder noch länger, da Mann sich nicht trennen kann – hatte ja alles mal viel Geld gekostet
– den Keller als letzten Ort der Ruhe nutzen – denn nichts ist schöner, als von altem Kram umgeben zu sein, der vergessene Erinnerungen und Wünsche hervorlockt
Zudem machen sich Männer oft durch hustende Brunftschreie bemerkbar, um allen anderen Mitgliedern des Hauses und Gästen ihre Anwesenheit im Keller zu demonstrieren.

Wahrscheinlich war es genau einer dieser Gründe, warum ich meinen Nachbarn im Keller antraf.
Ich kam gerade vom Sport und hatte keine Lust auf sinnlose Gespräche, die meinem Niveau nicht entsprachen. Unter anderem das Thema: Wetterphilosophie für Anfänger. Der Schnee vom letzten Abend hätte jedenfalls für guten Stoff gesorgt, wenn ich 70 Jahre älter gewesen wäre. Das Wetter ist der zweitwichtigste Gesprächsstoff der älteren Generation, die den Alltag sowieso gemütlich zu Hause vorm TV oder im geselligen Wartezimmer beim Arzt verbringen. Oder im Keller. Manchmal habe ich den Eindruck, als würden sich viele Männer aus oben genannten Gründen im Keller besonders wohl fühlen.
Es gibt so viele Hobbymagazine, aber eines fehlt noch: ‚Faszination Keller – Eldorado für Männer‘.

Tatsächlich kam mein Nachbar prompt aus dem Keller, als ich an der ersten Stufe der Treppe ankam und mich schon fast in Sicherheit wiegte.
Mein erster Gedanke war: Oh nein, bitte nicht…Lass mich doch in Ruhe jetzt. Du siehst doch, wie scheiße ich gerade aussehe..und dass ich kein Bock hab..Also quatsch mich nicht an. Du hast sowieso keine Chance bei mir, falls du das denkst..
Geh weg, bitte. Bitte. Schschsch…

Danach sprach mich der Kellermann an, während ich in meinen schwitzigen Sportklamotten und durchgefroren vor ihm stand. Er schaute mich an, als würde er gar nicht sehen, dass meine Schminke verwischt war.
Selbstverständlich nahm ich seine Gesprächsaufforderung mit einem Lächeln entgegen und begrüßte ihn herzlich defensiv.
Ich:“Hallo.“
Kellermann:“Guten Tag! Na, Sie sieht man ja kaum.“
Ich:“Ja, viel zu tun, viel unterwegs, viel arbeiten……“
Kellermann:“Kommen Sie gerade von der Arbeit?“
Ich:“Nee..ich war unterwegs.“
Kellermann guckte mich prüfend von oben bis unten an und merkte:“Ach, Sie kommen vom Sport? Bei dem Wetter? Och Gott, Sie kleines Ding quälen sich so ab. Das haben Sie doch gar nicht nötig.“
Kellermann wählte also die Strategie mit den schmalzigen Komplimenten, damit ich mich ihm gegenüber mehr öffnete und mich naiver verhielt. Aber das zog bei mir nicht, weil er nicht mein Typ war.
Ich:“Das Wetter stört mich nicht, es gibt kein falsches Wetter…“
Da Kellermann nun spürte, dass das Gespräch keinen Zweck hatte und er nicht in mein Beuteschema passte, konnte ich mit meinem Fuß andeuten, dass unser Zusammentreffen nun beendet war.
Apart setzte ich meinen Fuß auf die Treppenstufe und kündigte unsere Verabschiedung an.
Ich:“Tschüß, schönen Tag noch! Ich muss jetzt los!“
Kellermann:“Danke, ebenfalls! Auf Wiedersehen, junge Dame!“
Danach wurde Kellermann kleinlaut, machte keine weiteren Anstalten und verzog sich nach unserer Verabschiedung wieder zurück in seinen Keller.

Zum Glück war unsere Begegnung nur kurz und ich hatte noch nicht einmal eine Ahnung, wie er hieß, da ich jedes Mal andere Männer im Keller traf und angenommene Pakete für mich immer von deren Ehefrauen abholte, die sich treuherzig in der Wohnung aufhielten. Ich war froh, endlich in meine Wohnung gehen zu können, die sich gleich über dem Keller befand.
Zum Schluss nahm ich noch ein verräterisches Indiz wahr. Denn als ich den vollen Beutel mit leeren Flaschen und Einweggläsern hinter der Eingangstür sah, wusste ich: Alles klar, Kellermann.